Die Pussy Riot im Gerichtssaal. Moskau, 8. August 2012

Pussy Riot oder Zurück in die kommunistische Zukunft

Der Prozess um die drei Frauen der Punk-Band Pussy Riot, die am 17. August zu zwei Jahren Straflager verurteilt wurden, erinnert an das Verfahren gegen die tschechoslowakische Rockgruppe Plastic People in den 1970er Jahren. Es herrscht dieselbe Intoleranz gegenüber den „Unruhestiftern“ und Regimekritikern.

Veröffentlicht am 21 August 2012 um 10:24
Die Pussy Riot im Gerichtssaal. Moskau, 8. August 2012

In der vergangenen Woche konnten die Zeitzeugen des Kommunismus eine Reise in die Vergangenheit, genauer gesagt in den September 1976, machen. Sieben Jugendliche mit langen Haaren (vier in Prag und drei in Plzeň) wurden für ihr Verhalten, welches im damaligen Justizjargon als „rowdyhaft“ bezeichnet wurde, verurteilt.

In der Praxis bedeutete dies, dass der „Unruhestifter“ ganz gewöhnliche Dinge tat, die aber von den Kommunisten als Ungehorsam verstanden wurden: Er trug lange Haare, spielte Musik, organisierte mit seinen Freunden Privatveranstaltungen und vermied jegliche (kommunistischen) Rituale, deren Respekt im Allgemeinen als Zeichen der Loyalität gegenüber dem totalitären Regime verlangt wurde.

Die Affäre um die Rock-Band Plastic People of the Universe (auch wenn nur zwei von den sieben Angeklagten Mitglieder der Gruppe waren) ist beispielhaft. Die „Unruhestifter“ wurden ins Gefängnis gesteckt, weil sie in ihren Wohnungen oder in Bars Privatkonzerte organisieren wollten.

Der Prager Herbst 1976, der den entscheidenden Ausschlag für die Charta 77 [Forderungen nach liberalen Reformen in der Tschechoslowakei] geben sollte, scheint sich heute in vielerlei Hinsicht in Moskau zu wiederholen. Die jungen Frauen der Punk-Band Pussy Riot wurden am 17. August wegen „Hooliganismus“ und „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, in der Moskauer Erlöser-Kirche singend und tanzend für die „Vertreibung Putins“ gebetet zu haben.

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Ein Szenario mit kommunistischem Dekor

Zwischen den beiden Fällen gibt es aber große Unterschiede. Die Plastic People und ihre Freunde haben sich zu keinem Zeitpunkt spektakulärer Provokationen mit politischem Charakter schuldig gemacht und hatten nie vor, jemanden zu entmachten. Ihre Konzerte waren geheim. Wenn es irgendetwas Spektakuläres an dem gab, was sie taten, dann war es ihre Gleichgültig gegenüber allem, was in ihrem Land geschah. Sie wollten einfach nur so leben, wie es ihnen passte.

Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Die russische Richterin, die man dank der Fernsehübertragung des Prozesses kennenlernen durfte, sprach in einem Ton und mit einer Argumentation, die nur allzu sehr an den Prozess der „Unruhestifter“ in der totalitären Tschechoslowakei erinnern. Diesmal waren es keine langen Haare, sondern schamlos kurze Röcke.

Putins Regime (und auch der Machthaber selbst, glaubt man Experten des russischen Milieus) versteckt sich hinter diesem politischen Prozess, der uns vielleicht zum ersten Mal – wie es unsere eigene Vergangenheit zeigt – ein Szenario mit kommunistischem Dekor liefert.

Mit der Verhaftung und Verurteilung der jungen Mädchen der Gruppe Pussy Riot zeigt das Putin-Regime sein wahres Gesicht. Durch die Banalität des angeblichen Verbrechens und mit Hilfe des medialen Interesses haben wir einen klaren Beweis für die Willkür eines grausamen Herrschers. Von Rachegefühlen getrieben, will er augenscheinlich eine neue, aber moderne Version des Systems schaffen, dem er einst als junger Geheimagent diente.

Behandelt Putin als Feind unserer Werte

Skeptiker fragen sich vielleicht, warum die Pussy Riot in solch einem ersichtlichen Fall von Willkür nur so wenig Unterstützung von den Russen bekommen, wie es die schwachen Protestbewegungen und Meinungsumfragen zeigen. Wer weiß das schon… Das totalitäre Regime scheute nicht, vor Gericht eine Farce zu inszenierten, die live im Fernsehen übertragen wurde. Das heißt aber lange noch nicht, dass sich Putin sicher sein kann, die öffentliche Meinung hinter sich zu haben.

Hier ging es sichtlich darum, ein Exempel zu statuieren, das nicht dem Weltpublikum, sondern den russischen Bürgern galt. Seit seiner Wahl steht Putin einer nie dagewesenen Opposition gegenüber. Er muss seine Gegner einschüchtern.

Eines ist sicher: das große Interesse der Medien, Politiker und internationalen Künstler an diesem Fall wird bald nachlassen. Aber der politische Druck kann zumindest – wie es uns die kommunistische Tschechoslowakei gelehrt hat – verhindern, dass diese Frauen im Gefängnis vergewaltigt oder umgebracht werden.

Die Woge des Interesses und der Empörung über den Prozess der Pussy Riot, der besonders die Tschechische Republik erschütterte, sollte in einen konkreten politischen Druck umgewandelt werden. Und selbstverständlich müssten Putin und sein Regime als erklärte Feinde der Werte, die uns schon seit 22 Jahren heilig sind, behandelt werden. (mz)

Reaktionen

Schicksal von Pussy Riot lässt Russen gleichgültig

Während ein Großteil der internationalen Gemeinschaft — und auch Stars wie Paul McCartney und Madonna — die zweijährige Haftstrafe verurteilte, die in der vergangenen Woche in Moskau gegen Pussy Riot verhängt wurde, konnten sich die Russen selbst nur zögerlich für die Notlage der feministischen Punkband erwärmen, so The Independent. Dies ändert sich jedoch allmählich, fügt die Tageszeitung hinzu.

Das Konzert von Pussy Riot in der Moskauer Erlöser-Kathedrale war bei den meisten Russen nur auf wenig Sympathie gestoßen. Nach der aggressiven Verfolgung der Musikerinnen durch die Behörden haben sich die Führer der Oppositionsproteste gegen Präsident Wladimir Putin das Trio jedoch nach und nach als eines ihrer Anliegen auf die Fahnen geschrieben. Trotzdem schwiegen die meisten offiziellen Stimmen in Russland während des Prozesses.

Der ehemalige Finanzminister und Freund Putins Alexei Kudrin ist der Meinung, dass „dem Image des Landes schwerer Schaden zugefügt wurde“, während die Kreml-loyale Journalistin Tina Kandelaki den Umgang mit der Angelegenheit aus Public Relations-Perspektive als „Informationsselbstmord“ bezeichnet.

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