Wir sind nicht der Klassenkasper

Der nationalistische Wettlauf, den sich die ungarische und slowakische Regierung bieten, schadet nicht nur den Völkern, sondern ist absurd, denn er fördert nur die Vorurteile Westeuropas gegenüber Zentraleuropa, bedauert ein ungarischer Journalist.

Veröffentlicht am 24 Mai 2010 um 12:37

Robert Fico und seine Partner der Nationalistischen Partei schlagen einen harschen Ton an. Behalten wir die Nerven, und versuchen wir einmal, Klartext zu reden. Das neugewählte Parlament erwägt die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft. Sie könnte allen Ungarisch sprechenden Menschen im Ausland — auf persönlichen Antrag — demnächst in einem Schnellverfahren zugesprochen werden Der Text könnte am 20. August, dem ungarischen Nationalfeiertag in Kraft treten.

Die Gesetzesänderung folgt dem Beispiel Rumäniens. Es sei auch angemerkt, dass diese Frage in der Slowakei, in Serbien und in vielen anderen europäischen Ländern genauso gehandhabt wird. Gewählte Vertreter der ethnischen Ungarn aus Siebenbürgen, der Slowakei, der Vojvodina und der Ukraine haben verlangt, dass man ihnen diese doppelte Staatsbürgerschaft gewähre. Die ungarische Regierung hat die moralische Verpflichtung, diesem nachzukommen.

Anti-ungarische Politik liegt nicht in slowakischem Interesse

Es ist nicht anekdotisch, dass allein Bratislava den Gesetzesentwurf kritisiert. Bukarest und Belgrad reagierten mit Verständnis, während Kiew die Vorlage stillschweigend absegnet. Die Politik, die Robert Fico mit seinem Koalitionspartner der rechtsextremen Nationalistischen Partei verfolgt, ließ solch ein Theater vorausahnen. Hier einen Angriff auf die nationale Sicherheit der Slowakei zu sehen, ist schlicht Unsinn. Im Gegensatz zum slowakischen Sprachgesetz das einzig Slowakisch als Amtssprache bei Behördengängen zulässt, außer in Kommunen mit mehr als 20 Prozent ethnischen Ungarn, benachteiligt die doppelte ungarische Staatsbürgerschaft niemanden. Viele haben das begriffen, und obwohl derzeit Wahlkampf ist, eifert die zentristische Opposition Fico nicht nach.

Vielleicht schon bald wird eine Mehrheit der slowakischen Wähler erkennen, dass die lautstarke Magyarophobie Ficos ihrem Land nicht dient, sondern nur jenen, denen die zentraleuropäischen Querelen ganz recht sind. Machen wir uns keine Illusionen: Die Europäische Union ist immer noch geteilt in Ost und West. Hinter dem Lächeln der westlichen Politiker verbirgt sich eine geringe Wertschätzung für die "postkommunistischen Völker." Für die Ersteren ist diese von der kommunistischen Ära geprägte Region vor allem ein vielversprechender Markt. Für Solidarität ist da kein Platz. Die westlichen Mächte führen die Union und den Kontinent nach ihren ureigenen wirtschaftlichen Interessen. Ein starkes, homogenes Zentraleuropa, das gemeinsam seine Interessen vertritt, würde sie nur verunsichern.

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Östliches Gegengewicht zu Westeuropa

Im vergangenen Herbst fühlte sich der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy übergangen und bedauerte, dass die vier Länder der Visegrád-Gruppe Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn sich im Vorfeld des EU-Gipfels trafen. Sarkozy riet ihnen davon ab, solch vorbereitende Treffen zur Regel zu machen. Die Besorgnis der Franzosen sollte aber für unsere Region eine Ermutigung sein. Die Länder auf einer Achse von Norden nach Süden, von Polen über Slowenien bis Rumänien, könnten mit einer Kooperation in den Bereichen Infrastruktur und Energie, sowie mit einer gemeinsamen Export- und Landwirtschaftsstrategie, ein echtes Gegengewicht im Osten der EU darstellen, was der gesamten Union nur gut tun könnte.

Wie viele Jahre wird es noch brauchen, bis unsere Politiker begreifen, dass sie es verpassen, die wirklichen nationalen Interessen zu wahren, wenn sie in die Falle der belanglosen Querelen tappen? Denn der ungarfeindliche Fico und die ewig gestrigen ungarischen Nationalisten verteidigen nicht die Interessen ihrer Länder, sondern nur jene, denen es nur allzu gelegen kommt, wenn sich diese Region niemals mit vereinter Kraft darum bemühen wird, den Platz in Europa zu bekommen, der ihr zusteht. (js)

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