Ein marokkanischer Einwanderer wird von der Gardia Civil eskortiert, Tarifa, an der Südküste Spaniens.

Arizona in Spanien

Obwohl sie etwas diskreter sind, als das vom US-Bundesstaat Arizona neu verabschiedete Gesetz gegen illegale Einwanderung, häufen sich die Massenverhaftungen auf spanischem Boden - eine von der Krise unterstützte Tendenz.

Veröffentlicht am 25 Mai 2010 um 13:02
Ein marokkanischer Einwanderer wird von der Gardia Civil eskortiert, Tarifa, an der Südküste Spaniens.

Der Staat Arizona schockierte letzten Monat die halbe Welt mit der Verabschiedung eines Gesetzes, welches es ermöglicht, jeden Ausländer zu verhaften, der des illegalen Aufenthaltes in den USA verdächtigt wird. Jetzt passiert das Gleiche hier in Spanien. Die Polizei führt eine regelrechte Jagd auf illegale Einwanderer durch und lässt in verschiedenen spanischen Städten eine Großrazzia nach der anderen folgen. Und sie macht auf Wusch des Innenministeriums weiter, denn mit Beginn der Krise ist es im Land der "Einwanderer ohne Papiere" zu großen Veränderungen sowohl in der Immigrationspolitik als auch bei der öffentlichen Wahrnehmung von Ausländern gekommen.

Unsere wetbacks [nasse Schultern], die mit Booten den Río Grande der Straße von Gibraltar überqueren oder über die Stacheldrahtzäune von Barajas oder El Prat [die Flughäfen von Madrid und Barcelona] springen, finden sich im Albtraum von Arizona in spanischer Version wieder: Polizisten, die sie bis in die U-Bahn, Internetcafes, Kantinen, Schulen, Arztpraxen oder NGOs verfolgen und sie einfach ihrer äußeren Erscheinung nach verhaften. In dieser Angelegenheit gerät die Regierung nicht nur mit Immigrantenorganisationen und sozialen Körperschaften in Konflikt, sondern auch mit der Polizei selbst, mit Juristen, Wirtschaftsexperten, Forschern und sogar politischen Persönlichkeiten der PP [Volkspartei, rechts-konservative Opposition].

Wachsende Ablehnung von Fremden

Alle sind sich darüber einig, dass die Maßnahmen und Regelungen in den letzten Jahren verschärft wurden und das Misstrauen gegenüber der immigrierten Bevölkerung stetig zugenommen hat. Die aktuelle Krise, die 2011 anstehenden Regional- und Kommunalwahlen und der Einfluss unserer ausländischen Nachbarn tragen ihren Teil dazu bei. Das vom Ministerium für Arbeit und Immigration abhängige Observatorium für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat in einer vor wenigen Monaten erstellten Studie herausgefunden, dass die Krise eine "Zunahme der Ablehnung" gegenüber Ausländern hervorgerufen habe. Die der sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) angegliederte Fundación Ideas hatte so vor kurzem in einem Bericht dazu aufgefordert, "vorsichtig" gegenüber diskriminierendem Verhalten zu sein und "zu handeln, bevor es zu spät ist".

"Die von der Gemeinde Vic [in Katalonien, Koalition zwischen dem CiU (bürgerlich-nationalistisches Parteienbündnis), den ERC (Linksnationalisten) und der PSC (unabhängige Linke)] mit der Entscheidung, alle illegalen Einwanderer statistisch zu erfassen, heraufbeschworene Polemik sollte ernst genommen werden, vor allem weil sie mit Unterstützung aus dem sozialen und selbst politischen Bereich rechnen kann", unterstreicht die Fundación Ideas. Auf der anderen Seite ergab die 2008 vom Institut Injuve durchgeführte Umfrage "Jugendliche und Einwanderung", dass 14 Prozent der Jugendlichen für eine rassistische Partei stimmen würden, während es 2002 nur elf Prozent waren.

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Unverständnis in der Polizei

Ist die Öffentlichkeit Einwanderern gegenüber immer feindlicher eingestellt? "Ich denke, ja", erklärt José Miguel Sánchez Tomás, Strafrechtsprofessor an der Universität Rey Juan Carlos von Madrid. "In wirtschaftlich starken Zeiten lassen wir uns vom Fieber der Solidarität anstecken, aber die Dinge ändern sich, sobald es auf dem Arbeitsmarkt zu einer Konkurrenzsituation kommt." Sánchez Tomás, Mitglied im Verein Grupo Immigrapenal meint, dass schon "bestimmte Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit in der öffentlichen Verwaltung" zu erkennen sind.

Auch die Polizeibeamten dementieren das nicht. Sie glauben, dass die Zwischenfälle in "Vic oder Llavaneras den Fremdenhass gegenüber Immigranten schüren". Dies bestätigt uns auch José María Benito, Sprecher der Polizeigewerkschaft (SUP), der die groß angelegten Polizeiaktionen verurteilt. "Wir sind immer noch dazu gezwungen, sie durchzuführen", berichtet Benito, "aber jetzt erhalten wir den Befehl von unseren Vorgesetzten nicht mehr schriftlich, sondern mündlich."

Schauprozesse für die Öffentlichkeit

Gleichzeitig stellt Sebastian Rinken, Wissenschaftler am CSIC [Zentrum für wissenschaftliche Forschung] fest, dass "die Stimmen um ungleiche Behandlung immer lauter werden" und bedauert, dass "es heute ganz leicht ist, relativ simple Positionen, die die Idee der Ungerechtigkeit zu Wahlzwecken einsetzen, in die öffentliche Diskussion einzubringen". Rinken, der auch technischer Leiter des andalusischen Observatoriums für Migration ist, versteht die massiven Polizeiaktionen als "Warnzeichen, um schnellstmöglich das Vertrauen im misstrauischen Teil der Öffentlichkeit wiederzuerlangen ". "Man versucht nicht, effizient zu arbeiten, sondern zu sagen, 'Sehen Sie, wir machen wenigstens etwas.' Und das ist keine gute Vorgehensweise", fügt er hinzu.

"Spanien hat keine klare Einwanderungspolitik", meint Pablo Vázquez, Präsident der Stiftung für angewandte Wirtschaftsstudien (FEDEA). "Die Regierung hat ihre Haltung seit Beginn der Krise verhärtet, aber niemand hier sagt, wie viele Ausländer und unter welchen Bedingungen wir sie wollen." Wie viele andere glaubt Vázquez, dass die Immigranten, die im Moment als Sündenböcke für die Krise herhalten, "für den wirtschaftlichen Aufschwung notwendig sind und es auch weiterhin sein werden" - wenn die Methoden à la Arizona sie bis dahin nicht alle vertrieben haben. (mz)

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