Das Atomkraftwerk Boxberg (Sachsen). Im Vordergrund die Braunkohle-Mine, die sie mit Energie versorgt.

Adieu Atomenergie, Welcome Back liebe Kohle

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie ankündigte, hätten „grüne Energie“-Projekte allerorts wie Unkraut aus dem Boden sprießen müssen. Stattdessen sind nun aber neue – besonders umweltverschmutzende – Kohlekraftwerke geplant. Und das scheint nicht einmal die sonst so umweltbewussten Grünen zu stören.

Veröffentlicht am 5 September 2012 um 11:03
Das Atomkraftwerk Boxberg (Sachsen). Im Vordergrund die Braunkohle-Mine, die sie mit Energie versorgt.

Beginnt einer unserer deutschen Nachbarn seine Ansprache mit den Worten: „Die Deutschen haben das Recht...“, klingt das irgendwie immer unheimlich. Um welches Recht handelt es sich eigentlich? Um das [Recht], die Umwelt zu verpesten! Das zumindest heben die Experten der Heinrich Böll Stiftung in ihrem jüngsten Bericht hervor. Deutschland ist es in den vergangenen Jahren gelungen, seine Kohlendioxidemissionen in einem solchen Umfang abzubauen, dass es sie von nun an wohl wieder erhöhen kann. Warum sollte es seine Energie da also nicht aus Kohle gewinnen? Auch wenn diese Energiegewinnung die Umwelt fast genauso sehr verschmutzt wie die Verbrennung von Autoreifen! Deutschland hat eben das Recht dazu.

Wenn ein Land, das eigentlich als Vorreiter der Energiewende gilt, solche Erklärungen abgibt, dann sollte das doch wenigstens die Grünen auf die Palme bringen. Doch scheinbar stört das die deutschen Umweltschützer nicht. Ganz im Gegenteil: Sie haben den Bericht sogar selbst verfasst. Die Heinrich Böll Stiftung ist nämlich ein Think Tank der deutschen Grünen. Das ist dann wohl das Ende. Und obendrein geht den Grünen auch noch Umweltminister Peter Altmaier zur Hand. In einem Interview mit der Zeiterklärte er kürzlich, dass Deutschland 35 Prozent seines Stroms bis 2020 aus erneuerbaren Energien gewinnen will. Aber man müsse eben auch an die übrigen 65 Prozent denken.

Haben die deutschen Grünen den Verstand verloren?

Peter Altmaier hat ganz erheblich zur deutschen Rückkehr zur Kohle beigetragen. Kein anderes Land baut momentan so viele Koks-Kraftwerke wie Deutschland, das 23 Anlagen plant. Die meisten von ihnen werden den schmutzigsten fossilen Energieträger überhaupt verbrennen: Braunkohle. Für die Atmosphäre bedeutet das ganze 150 Millionen Tonnen ausgestoßenes Kohlendioxid. Und mit all dem sind die Grünen einverstanden.

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Sind die deutschen Grünen verrückt geworden?

Ja, irgendwie schon. Seit Angela Merkel im März 2011 nur wenige Tage nach der Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima erklärt hatte, dass sieben der siebzehn deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, hatten sie nur noch Augen für die Kanzlerin. Und als die Bundesregierung in einer offiziellen Entscheidung am 30. Mai 2011 bekanntgab, dass alle in Betrieb befindlichen Kraftwerke [bis 2022] abgeschaltet werden sollen, glaubten die Grünen, ihre Träume seien wahr geworden und die Grüne Revolution sei im Gange.

EU-Emissionshandel gescheitert

Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, aus der Atomenergie auszusteigen, hat nicht wirklich etwas mit politischem Heldentum zu tun. Nach der Katastrophe von Fukushima waren 70 Prozent der Deutschen gegen Kernenergie. Allerdings hätte man das Ganze reiflich überdenken und planen müssen. Genau das aber ist nicht passiert. Ursprünglich sollte Deutschland schrittweise aus der Kernkraft aussteigen und diese nach und nach durch erneuerbare Energien ersetzen. Stattdessen wird Deutschland innerhalb von zehn Jahren ein Fünftel weniger Strom produzieren können.

Dabei hatten anfangs alle damit gerechnet, dass Gas die Atomenergie auf ganz natürliche Weise ablösen würde. Diese Rechnung ging aber nicht auf, weil das gemeinsame System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (EU ETS) nicht das hielt, was man sich ursprünglich davon versprochen hatte. Das System setzt Unternehmen Höchstgrenzen für Treibhausgase und vergibt Treibhausgasemissionsgenehmigungen an Betriebe und Energieerzeuger. Die Unternehmen, die ihre Emissionen reduziert haben, können ihre unbenutzten Genehmigungen an diejenigen Betriebe verkaufen, die die Höchstgrenzen überschritten haben.

Würde das EU-Emissionshandelssystem funktionieren, hätte Kohle keine einzige Chance, als Energiequelle fortzubestehen. Erdgas produziert im Vergleich [zur Kohle] dreimal weniger Kohlendioxid. Allerdings hatten die ETS-Schöpfer nicht damit gerechnet, dass Europa in eine so schwerwiegende Wirtschaftskrise geraten würde, vor deren Hintergrund der Strombedarf beachtlich gesunken ist. Infolgedessen blieben die Stromerzeuger auf ihren unbenutzten Emissionslizenzen sitzen und deren Preise stürzten in die Tiefe. Derzeit kostet ein Zertifikat, das den Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid erlaubt, sieben Euro. Damit Elektrizität, die aus Erdgas erzeugt wird, billiger ist als Kohlestrom, müsste dieser Preis bei etwa 35 Euro liegen, errechnete das Karlsruher Institut für Technologie.

Während einige Parlamentarier fordern, den Kernenergiebereich wenigstens teilweise am Leben zu erhalten, sprechen sich die Grünen für Kohle aus. Das hat es in der Geschichte einer Umweltpartei noch nie gegeben. Der Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Jürgen Trittin erklärte, seine Partei sei bereit, eine vorläufige Rückkehr zur Kohle als Energiequelle zu akzeptieren, um Deutschland vor den vernichtenden Folgen der Kernenergie zu bewahren. Letztendlich ginge es allen doch darum, die Umwelt zu schützen.

Geht es dabei wirklich noch um die Interessen des Planeten? Ist es nicht eher so, dass sich die Interessen der Energieschwergewichte hier in einer außergewöhnlichen Art und Weise mit dem angeblichen Wohlbefinden unserer Mutter Erde decken? Wie dem auch sei: Im Vordergrund stehen die Umweltinteressen jedenfalls ganz sicher nicht. Das wird auch aus dem traurigen Fall der deutschen Solarindustrie ersichtlich.

Deutschland: Sonne im Zenit

Zumindest kann man behaupten, die Deutschen lieben Solarenergie abgöttisch. Unseren westlichen Nachbarn erreichen ungefähr so viele Sonnenstrahlen wie Alaska. Und dennoch besitzt Deutschland Photovoltaik-Anlagen, deren Gesamtleistung etwa derjenigen entspricht, die alle anderen Anlagen auf der Welt zusammen produzieren. So als würden die Bewohner Alaskas plötzlich Ananas anbauen, scharfzüngelte der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs.

Den Deutschen kommen diese Ananas aber außerordentlich teuer zu stehen. Wie absurd es ist, in Solarenergie zu investieren, hat auch Wirtschaftsexperte Joachim Weimann längst erkannt und beschrieben. Seiner Meinung nach würde man mit den neun Milliarden Euro, die jedes Jahr in Solarenergie gepumpt werden, fünfmal mehr Energie erzeugen, würde man sie in Windenergieprojekte stecken. Vergleichbare Investitionen in Wasserkraftprojekte würden sogar sechsmal mehr Energie produzieren. Um eine Tonne Kohlendioxidemissionen einzusparen, würden fünf Euro ausreichen, die man für die Wärmedämmung von Gebäuden ausgibt. Oder aber man steckt 20 Euro in ein neues Erdgaskraftwerk, oder 500 Euro in Solaranlagen.

Trotz all dieser enormen Kosten subventioniert die Bundesregierung diesen Sektor schon jahrelang. Fragt man Weimann danach, was sie sich davon erhofft hat, bekommt man folgende Antwort: Die stark subventionierten deutschen Photovoltaik-Hersteller sollten irgendwann die Weltmärkte beherrschen. Vor zwei Jahren aber, als sich herausstellte, dass die Chinesen in der Lage sind, Solarzellen zum halben Preis herzustellen, strich Berlin die Hilfen und löste landesweit eine Konkurswelle aus.

Hätte man sich bei der Subventionierung erneuerbarer Energien tatsächlich Gedanken um den Umweltschutz gemacht, hätte Solarenergie in Deutschland nie das Licht der Welt erblickt. Die Wahrheit sieht nämlich so aus: Deutschlands Grüne Revolution beruht nicht so sehr auf der Überlegung, wie man die Umwelt schützen, sondern wie man den größten Profit schlagen könne. Im Grunde genommen ging es darum, hochspezialisierte Nischen zu schaffen, in denen deutsche Unternehmen unschlagbar werden würden.

Wenn es Bundeskanzlerin Angela Merkel gelungen ist, die Grünen von den Wohltaten der Kohle zu überzeugen, wird sie es wohl auch fertigbringen, sie zu einer atomaren Sinnesänderung zu bewegen. Allerdings würde das der deutschen Wirtschaft nichts nützen. Schließlich ist Atomstrom Frankeichs domaine reservé. Umweltschutz muss nämlich in allererster Linie rentabel sein. (j-h)

Erneuerbare Energien

Ein Gesetz, das zu gut funktioniert

Das Hauptproblem der ehrgeizigen, vor einem Jahr von Angela Merkel in die Wege geleiteten „Energiewende“ seien die Kosten für den Verbraucher, erklärt der Spiegel. Das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG), Dreh-und Angelpunkt des Großprojekts, funktioniert in der Tat folgendermaßen:

Betreiber von Wind-, Solar- und Biogasanlagen bekommen einen fixen Preis für den von ihnen produzierten Strom garantiert - über einen Zeitraum von vielen Jahren hinweg. Der Fixpreis liegt deutlich über dem tatsächlichen Preis, zu dem Strom verkauft wird. Die Differenz zahlen die Verbraucher über ihre Stromrechnung. Das EEG garantiert Leuten, die Geld in Ökostromanlagen investieren, eine satte Rendite - und macht den Bau solcher Anlagen attraktiv. … Das EEG hat nur ein Problem: Es funktioniert zu gut. Ökostromanlagen werden nicht allmählich gebaut, sondern im Eiltempo. Die Kosten steigen schneller als erwartet. 144 Euro pro Jahr zahlt ein Durchschnittshaushalt derzeit für die Förderung; 2013 dürften es mehr als 200 Euro sein. … Die Summen sind groß genug, um die sozialen Ungleichheiten in der Bundesrepublik zu verschärfen. So können Hartz-IV-Empfänger, die für Strom nur eine fixe Pauschale erhalten, sich keine energiesparenden Kühlschränke und Waschmaschinen kaufen.

Aus diesem Grund plane Bundesumweltminister Peter Altmaier eine grundlegende Änderung der Ökoförderung, schreibt der Spiegel.

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