Draghi rettet was zu retten ist

Mit seiner Ankündigung, die EZB werde Anleihen klammer Staaten aufkaufen, kompensiert Mario Draghi die Untätigkeit der europäischen Politiker. Und einmal mehr präsentiert er sich als derjenige, der die Spielregeln ändert. Genau, was wir heute brauchen, meint El País.

Veröffentlicht am 7 September 2012 um 15:15

Schon seit einer Weile argumentieren manche, dass die einzige Lösung für die Eurozone in einem Kompromiss läge zwischen jenen, die eine strikte Haushaltsdisziplin fordern und jenen, die Hilfe beantragen oder für eine Vergemeinschaftung der Schulden plädieren. Mehr als drei Jahre lang hat sich die europäische Bürokratie als unfähig erwiesen, ausgeglichene Lösungen vorzuschlagen, welche beiden Seiten entgegenkommen.

In der Zwischenzeit übernahm die Europäische Zentralbank (EZB) die umstrittene Rolle des Notfall-Lieferanten von Liquiditäten, um den extremen Spannungen auf den Finanzmärkten zu entgegnen. Sobald die EZB außerordentliche Hilfen bereitstellte, versuchte die europäische Wirtschaftsregierung Zeit zu gewinnen, um neue Lösungsansätze zu suchen, was sie dennoch nicht davon abhielt, immer wieder in Untätigkeit und Lethargie zu versinken und damit die Stabilität der Gemeinschaftswährung zu gefährden. Dann kam Mario Draghi. Und mit ihm änderten sich die Spielregeln.

Der EZB-Präsident machte sofort deutlich, dass er, falls nötig, wie kein anderer vor ihm Liquiditäten einsetzen werde, und so startete er im Dezember 2011 und Februar 2012 zwei ehrgeizige, langfristige Refinanzierungsprogramme. Und als sich herausstellte, dass die europäische Politik nicht dementsprechend reagierte, schlug die EZB neue Töne an. In diesem Frühjahr und besonders in diesem Sommer hat die europäische Währungsbehörde neue Spielregeln durchgesetzt, welche die Ausrichtung der wirkungslosen europäischen Wirtschaftsregierung ändern sollte.

Zunächst einmal erinnerte die Behörde wiederholt daran, dass es nicht ihre Aufgabe sei, die Schuldenkrise zu regeln oder die gewünschte Balance zwischen Haushaltsdisziplin und finanzieller Solidarität herzustellen. Und dann machte die EZB einen gewagten Schritt nach vorne, indem sie der Eurozone eine Agenda aufzwang, welche die Politiker selbst nicht willens waren zu verabschieden. Schon ab diesem Sommer ging Draghi mit gutem Beispiel voran, indem er sich zum wahrhaften Schöpfer neuer Spielregeln mauserte, zu genau dem Game Changer, den der Euro benötigte. Am 6. September hat die EZB viel aufs Spiel gesetzt, jedoch auf eine stimmigere Art all das, was ansonsten verzweifelt versucht wurde. Manche erinnern heute daran, dass Draghi Anfang dieses Sommers ankündigte, dass er alles tun werde, um den Euro zu retten. Und er hat es getan.

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Der Anfang vom Ende der Agonie?

Zunächst einmal, weil er manche gezwungen hat, die dafür notwendigen Bedingungen zu akzeptieren: für Spanien heißt das konkret, ein neues Rettungspaket und für die anderen, dass es ohne finanzielle Solidarität für niemanden in der Eurogruppe eine Zukunft gibt. Der Name des Kaufprogramms von Staatsanleihen – Outright Monetary Transactions – spricht in dieser Hinsicht Bände. Es legt den Grundstein für etwas, was bis dato unmöglich schien; eine Einigung zwischen den Ländern des Nordens und des Südens der Eurozone. Die EZB verspricht eine „unbegrenzte“ und „absolute“ („outright“) Hilfe, was nicht zu unterschätzen ist.

Darüber hinaus zeigt sich die EZB weiterhin währungspolitisch vorsichtig, denn die Anleihekäufe sollen „sterilisiert“ werden, um eine Monetarisierung der Schulden zu vermeiden, will heißen, die EZB wird die zusätzlichen Liquiditäten aufgrund der Anleihekäufe an anderer Stelle wieder vom Markt nehmen. Es geht darum, Hilfen unter Auflagen zu gewähren, was seit vielen Monaten schon vergeblich versucht wurde. Der Deal ist klar: eine vorsichtige oder „moderate“ Hilfe (mit vermutlich strengeren Auflagen als für Spanien, die aber in keinem Vergleich mit jenen für Irland oder Griechenland stehen) als notwendiger Schritt in eine bessere Zukunft.

Und wenn alles nach Plan funktionieren sollte, ist eine glaubwürdige Unterstützung des Euro zu erwarten und damit einhergehend eine mögliche Senkung der Finanzierungskosten für die klammen Länder.

Das sind notwendige, aber noch nicht ausreichende Bedingungen, damit Länder wie Spanien wieder das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen können. Bleibt zu hoffen, dass das Programm nicht scheitert. Spanien muss in der Tat verantwortungsvoll mit diesem Rettungsangebot umgehen. Eine folgenreiche Entscheidung, mit der unser Land unabsichtlich dazu beitragen wird, dass die Länder der Eurozone wieder zusammenfinden und sich die Spekulanten beruhigen, die behaupten, die Zukunft der Eurozone sei wegen der Länder Südeuropas gefährdet. Nach uns ist Italien an der Reihe, dass auch seine Verantwortung übernehmen muss.

Ein Prozess, der Zeit brauchen wird, aber selbst wenn es optimistisch scheint: Wir stehen vielleicht am Anfang vom Ende der Agonie. (j-s)

Aus italienischer Sicht

Der mutige Draghi

Il Sole 24 Ore tritt schon seit langem für einen Eingriff ein, wie ihn die EZB am 6. September angekündigt hat, und spart nicht an Lobfür ihren Präsidenten. Mario Draghi „hat Mut zur Unabhängigkeit bewiesen" und wird sein Versprechen halten, „alles Nötige zu tun, um den Euro zu retten“.

Der große Techniker aus Frankfurt hat seine Pflicht getan. Er hat Unabhängigkeit und politische Courage bewiesen – eine Eigenschaft, die in den heutigen Zeiten gehäufter Wahlen in Europa Seltenheitswert hat. Draghi hat nicht nur der Bundesbank und ihrer unverhohlenen Opposition, sondern auch der deutschen Öffentlichkeit ohne Zögern die Stirn geboten. [...] Nach drei Jahren politischer Fehlkalkulation in Europa, die den Euro an den Rand des Abgrunds geführt hatten, setzt er nun einen Flicken auf und stellt neue Weichen, um der gemeinsamen Währung eine stabilere Struktur zu geben und ihr eine sichere, konsistente, glaubwürdige Zukunft zu bieten.

„Nun sind die Regierungen am Zug“, schreibt die Wirtschaftszeitung. Viele befürchten, das Sicherheitsnetz der EZB werde die Staaten womöglich zu einer laxen Haltung verleiten. Doch da die Unterstützung durch den EFSF Bedingung ist, könnte dies ganz im Gegenteil „zur Einrichtung von Reformen und zur beschleunigten Anpassung der Staatshaushalte anregen und eine europäische Vormundschaft vermeiden, die man der Öffentlichkeit unmöglich verkaufen könnte.“

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