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...aber einig im Cholesterol

Ösis und Piefkes, so nah und doch so fern

Sie sprechen — fast — dieselbe Sprache, teilen eine turbulente Geschichte und schauen immer häufiger dieselben TV-Sender. Sie können sich nicht ausstehen und kommen doch nicht einer ohne den anderen aus: Die Deutschen und die Österreicher bilden in Europa ein wundersames Paar.

Veröffentlicht am 3 Juni 2010 um 14:46
...aber einig im Cholesterol

"Was ist der Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Österreicher? Der Deutsche würde den Österreicher gerne verstehen wollen, kann es aber nicht. Der Österreicher versteht den Deutschen, will es aber nicht." Das ist nur einer der zahlreichen Witze, die das österreichisch-deutsche Ressentiment beschreiben. Das in diesem Jahr in Österreich erschienene Buch Streitbare Brüder hat die Debatte über die ruppigen nachbarschaftlichen Beziehungen beider Länder neu entfacht.

"Wenn man mich im Ausland für einen Deutschen hält, ist das fast schon eine Beleidigung. Ich will wohl als Kanadier, Norweger, Tscheche oder Chilene durchgehen, aber nicht als Deutscher", scherzt der österreichische Schriftsteller Franzobl, der an den Deutschen kein gutes Blatt lässt: "Sie verstehen unseren Humor nicht, nehmen alles ernst und meinen, immer Recht zu haben."

Das deutsche Boulevardblatt Bild verschont die Österreicher genauso wenig und listet dreißig Gründe auf, warum sie lächerlich seien: "Eure Flagge ist rot-weiß-rot, damit ihr sie nicht falsch herum halten könnt. Die berühmtesten Österreicher sind entweder tot oder ausgewandert wie Arnold Schwarzenegger." Die Unversöhnlichkeit zwischen Österreich und Deutschland spiegelt den historischen Gegensatz von Österreichern und Preußen wider. Die Ersten sind traditionalistische Katholiken, galant und zuvorkommend, die Zweiten strenge Protestanten, Prinzipienreiter mit Hang zur Besserwisserei.

Nach Nazi-Verbrechen ist es mit Germanophilie vorbei

Im 18. Jahrhundert hat Friedrich der Große den Österreichern fast ganz Schlesien abgejagt. 1866 schlug die Armee König Wilhelm I. bei der Schlacht bei Königgrätz die kaiserliche Armee Franz Josephs. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Niedergang von Österreich-Ungarn wünschten sich die Österreicher, deren Land nur noch ein Kleinstaat an der Donau war, zum Deutschen Reich dazu zu gehören. Es ist also nicht verwunderlich, dass zwanzig Jahre später der Anschluss an das Dritte Reich begeistert begrüßt wurde.

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Nach der Niederlage aber und der Aufdeckung der Naziverbrechen war es mit der Germanophilie vorbei. Die Österreicher haben versucht, ihren Teil der Schuld am Holocaust zu vertuschen, behauptet Hannes Leidinger, Co-Autor des Buchs Streitbare Brüder. Während des Wiederaufbaus achtete das Land auf seine Neutralität. Die politische Elite wie auch die Journalisten schufen unverdrossen den Mythos vom Land, das Hitler als erstes zum Opfer wurde. Als hätte man vergessen, wo Hitler geboren wurde. "Österreich hat der Welt eingeredet, dass Hitler Deutscher und Beethoven Österreicher wäre, und den Deutschen ist das wurscht", lautet ein weiterer Witz über die deutschen Nachbarn.

Deutsche wollen die Sprache nicht lernen

Die Wiener Wochenzeitschrift Falter schreibt ironisch, dass die Deutschen, nach den Türken die größte ausländische Gemeinschaft im Land, sich ebenso wenig wie Letztere in die österreichische Gesellschaft integrieren wollen, da sie sich weigern, die Sprache zu lernen… Der österreichische Dialekt unterscheidet sich in der Tat vom Deutsch eines Hannoveraners oder Berliners. Beim Palatschinken handelt es sich nicht um irgendeinen Schinken, sondern um einen Pfannkuchen. Und das deutsche Pflaumenmus heißt hier ganz slawisch Powidl. Nach dem Krieg achteten die Wiener Behörden darauf, sich sprachlich vom großen Bruder aus dem Norden zu unterscheiden. 1949 verschwand Hochdeutsch mehrere Jahre lang vom Lehrplan. Es wurde zwar noch gelehrt, aber nur als "Amts- und Schulsprache".

Heute verliert der österreichische Dialekt mehr und mehr seine Besonderheiten. Satelliten- und Kabelfernsehen sind daran nicht ganz unschuldig. Viele Österreicher gucken lieber die deutschen Sender RTL oder SAT1 anstatt das heimische ORF. Und die österreichischen Schlagersänger büffeln ganz brav Hochdeutsch, um auf dem attraktiven deutschen Markt überhaupt eine Chance zu haben.

Nie wieder Ferien in Österreich

"Nie wieder Ferien in Österreich!" schrieb 1994 Bild, als der deutsche Tennisspieler Michael Stich vom österreichischen Publikum ausgebuht wurde. Doch der Boykottaufruf verlief im Sande. 40 Prozent der Österreich-Touristen kommen aus Deutschland. "Ohne die ausländischen Touristen wäre die Alpenrepublik ein wirtschaftliches Krisengebiet", geben die Buchautoren zu.

Das Pro-Kopf-BIP in Österreich (ca. 46.000 Dollar) liegt heute über dem deutschen (weniger als 41.000 Dollar). Vorbei die Zeiten als die Österreicher den Deutschen ihre Gebrauchtwagen abkauften. Heute sind sie die Reicheren. Ihre Wirtschaft hat weniger unter der Krise gelitten als die deutsche. Die zankenden Nachbarn können noch so viele Witze reißen wie sie wollen, vertragen müssen sie sich trotzdem. (js)

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