Roma nach der Räumung eines Lagers in Evry bei Paris. Frankreich, 27. August 2012.

Roma zwischen Heimkehr und Aufbruch

Paris verschärft seine Abschiebe-Politik von Roma nach Rumänien oder Bulgarien, doch für einige wird das Hin- und Herreisen zum willkommenen Nebeneinkommen. Grund: unter anderem die Rückkehrprämie, die Frankreich ihnen für eine „freiwillige“ Ausreise zahlt.

Veröffentlicht am 18 September 2012 um 15:33
Roma nach der Räumung eines Lagers in Evry bei Paris. Frankreich, 27. August 2012.

Der französische Innenminister Manuel Valls erklärte [am 12. September, dem Vortag seiner Rumänienreise], dass sein Land nicht „alle Verdammten dieser Erde“, nicht „alle in ihrer Heimat Verfolgten“ aufnehmen könne. Er spielte damit auf die Busse mit Roma an, die zwischen Frankreich und Rumänien hin- und herpendeln.

Was hier fehlt, ist die Sicht der Betroffenen. Kein Verantwortlicher hat jemals die Roma gefragt, wie sie denn diese Abschiebungen erleben. Sicherlich werden die Roma nach Rumänien zurückkehren, doch ebenso sicher werden sie auch das Land wieder verlassen, solange die Franzosen ihnen dazu die Möglichkeit lassen.

Während des Besuchs des Ministers Valls demonstrierten die Roma vor dem Regierungsgebäude, um ihren Unmut darüber zum Ausdruck zu bringen, dass sie wie Pingpongbälle von den rumänischen Behörden und dem Rest Europas behandelt werden. Solange niemand beschließt, ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen, werden sie immer wieder sich für das Exil entscheiden.

Hunderte von „euro-deportierten“ Roma sind aus Frankreich heimgekehrt. Ein Zwischenstopp, um „die Batterien aufzuladen“ — und ihr Portemonnaie, dank der 300 Euro, die jeder einzelne für seine „freie und freiwillige“ Ausreise bekommen hat. Nach ein paar Wochen Aufenthalt in Rumänien reisen die meisten von ihnen zurück in das Land, aus dem sie gekommen sind und das sie eigentlich nie richtig verlassen haben.

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Pendler zwischen den Ländern

Gheorghe Victor ist Bürgermeister von Cojasca im Landkreis Dâmboviţa. Er kümmert sich um eine 7000-Seelen-Gemeinde, von denen 90 Prozent Roma sind. Die meisten leben im Dorf Fântânele. Viele von ihnen waren schon in einigen Ecken Europas: „Ich denke nicht, dass man sie als Einwanderer bezeichnen kann. Es sind EU-Bürger, die für ein, zwei Monate in Länder wie Frankreich, Italien oder England reisen, weil sei dort besser verdienen können. Es sind Bürger, die traditionell als Straßenmusikanten arbeiten.“

Der Bürgermeister ist sich sicher, dass seine Mitbürger ehrenwerte Menschen sind, und er ist bereit, seine Hand ins Feuer zu legen, dass sie niemals im Ausland sich etwas zu schulden haben kommen lassen: „99 Prozent gehören der Pfingstbewegung an. Sie trinken nicht, sie rauchen nicht, sie prügeln nicht, denn ihr Glauben verbietet das.“

Da gibt es zum Beispiel die Familie von Dan, genannt „der Franzose“. Dank des „Sarkozy-Gelds“ [Anspielung auf die „humanitäre Rückkehrhilfe“, die der damalige französische Staatspräsident im Zuge der ersten massiven Roma-Abschiebungen im August 2010 einführte] geht es ihr gut. Dan ist der typische Fall eines Roma, der zwischen Paris und Fântânele pendelt. Man kann sein Haus nicht verfehlen, da er mehr Kinder hat, als alle anderen Familien in seiner Gasse zusammengenommen.

Sie lungern vor dem provisorischen Zaun aus unterschiedlichsten Holzlatten. Wenn Eltern und Kinder gemeinsam ausgehen, kommt man auf stolze dreizehn Personen. Man merkt schnell, dass Dan sich an das Prinzip „Ein Kind pro Jahr“ gehalten hat. Dan hat den Spitznamen „Franzose“ oder „Bonjour“ bekommen, weil er in der letzten Zeit vor allem an in Paris an der Seine gewesen ist.

An roten Ampeln verkaufte er den Lufterfrischer für Autos „Wunderbaum“. Hatte er Schwierigkeiten mit den Ordnungshütern? „Na klar, wer denn nicht? Doch das hing immer von der Laune der Polizisten ab, die auf Streife sind. Manche sahen über uns hinweg, andere konfisizierten unsere Waren und unser Geld, ohne dass wir je eine Quittung bekommen hätten“.

Ohne Reisen herrschte die tiefste Armut

Dan „der Franzose“ sagt, er habe sich an das Pendeln gewöhnt, auch wenn er einräumt dass er die „Heimreisen“ in den Regel „auf Vorschlag der französischen Behörden“ angetreten hat. Er danke Gott, dass er bei guter Gesundheit sei und er „diese Frankreichreisen“ machen könne, denn sonst würden sie aller in tiefster Armut leben.

„Wir brauchen ungefähr 20 Brot pro Tag“ [Die Roma rechnen traditionell mit dem Kilopreis des Brots als Währungseinheit], klagt seine Frau und wiegt in ihren Armen das — vorerst — jüngste Kind. „Die Jungs sind schon nach Hause gekommen, doch als sie merkten, dass man hier nichts verdienen kann, sind sie wieder weggegangen“, fügt die Gattin hinzu.

“Bonjour“-Dan ist heimgekehrt, weil seine Kinder krank waren, und er bei ihrer Pflege helfen musste. Als er in Paris war, schlief er in seinem Auto, das er irgendwo im fünfzehnten Bezirk geparkt hatte. „Meine Pariser Zweitwohnung, wenn Sie so wollen...“

Heute wartet Dan darauf, dass seine Kinder, die in Paris geblieben sind, ihm Geld schicken, damit er die Busfahrt zurück bezahlen kann. Was, so Gott will, natürlich geschehen wird. Denn bis heute hat Gott seine Gebete stets erhört. (js)

Aus Frankreich

Wohin versickern die EU-Hilfen?

Bei ihrem jüngsten Besuch in Bukarest, wo sie über die Lebensbedingungen und die Rückführungen von Tausenden rumänischer Roma, die in Frankreich leben, diskutieren wollten, „bekamen Innenminister Manuel Valls und der Europa-Minister Bernard Cazeneuve einen äußerst kühlen Empfang“, berichtet Le Monde. Die rumänischen Behörden wehren sich gegen den Vorwurf aus Frankreich, sie würden die Roma vertreiben. Die französische Tageszeitung schreibt:

Ziel des Besuchs von Valls und Cazeneuves war es Lösungen zu finden, damit diese Bevölkerungsgruppe in ihren Ländern bleiben wollen, unter anderem mit Hilfe von Entwicklungsprogrammen. Und man wollte verstehen, warum die zahlreichen, von der EU konzipierten und finanzierten Integrationspläne fehlgeschlagen sind.

Den Aussagen der Gesprächspartner aus der Roma-Gemeinschaft zufolge, läge dies vor allem an der Unfähigkeit — und Korruption — der rumänischen Behörden. So erklärte Mihai Ion, Führer der Roma-Gemeinschaft von Târgu Jiu, gegenüber Le Monde:

„Wenn die Gelder, um unsere sozialen Probleme zu lösen, an die Regierung in Bukarest fließen, werden wir davon keinen Cent sehen. Die Lösung ist einfach: Lasst den rumänischen Staat außen vor und uns selbst die Hilfen verwalten.“ Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 belaufen sich allein die Hilfen an Rumänien auf insgesamt 3,7 Milliarden Euro. In sieben Jahren hat Rumänien nur 7 Prozent dieses Budgets ausgegeben. Mit nur einem Abgeordneten im Europaparlament, dem sie zudem Tatenlosigkeit vorwerfen, haben die Roma nur wenig Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.

„Die sozialistische Regierung ihrerseits ist derzeit mit den anstehenden Parlamentswahlen vom 9. Dezember beschäftigt. Ihr ist nicht danach, sich um die Roma zu kümmern“, schreibt die Pariser Tageszeitung.

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