Auf Deutsch sagt man "Sparpaket", auf Englisch "Austerity", auf Französisch sagt man gar nichts.

Sparen, sparen und nicht klagen

Kurz vor dem Europäischen Rat, bei dem die Wirtschaftslage Europas Hauptthema sein wird, haben mehrere Länder der Kommission ihre Sparprogramme vorgelegt. Die hauptsächlich auf Kürzungen beschränkten Pläne dürften aber kaum zur Rettung des Euro ausreichen, bemängelt die europäische Presse.

Veröffentlicht am 16 Juni 2010 um 17:48
Auf Deutsch sagt man "Sparpaket", auf Englisch "Austerity", auf Französisch sagt man gar nichts.

"Europa ist gerettet, die Bürger müssen mehr zahlen": so kommentiert dieRczespospolita die Atmosphäre in Brüssel, einen Tag nach dem Verdikt der Europäischen Kommission über die von einem Dutzend Mitgliedsländern vorgelegten Sparplänen von rund 300 Milliarden Euro. Diese Pläne sollen auf dem EU-Gipfel am 17. Juni diskutiert werden.

"Die Aussicht auf einen griechischen Staatsbankrott hat Europa schockiert und finanziell solide Länder zu Einsparungen getrieben", schreibt die polnische Tageszeitung. Die bisher in Europa vorgeschlagenen Sparpläne betreffen größtenteils den öffentlichen Sektor, beurteilt weiterhin die Rczespospolita. Die vorgesehenen Maßnahmen werden "zu noch mehr sozialen Spannungen und Protestaktionen führen", warnt die Zeitung. Als nächstes Land sei davon Großbritannien betroffenen, welches sein Sparprogramm für den 22. Juni angekündigt hat. Laut der Financial Times spart dieses Paket 20 Prozent mehr als das der vorherigen Regierung.

Spanien: unzureichend trotz Kahlschlag

Unter den anderen Ländern, die besondere Anstrengungen vornehmen müssen, befindet sich an vorderster Front Spanien. "Brüssel verlangt bis 2011 zusätzliche Einsparungen von acht Milliarden Euro", schreibt El Paísauf der Titelseite. Diese Summe kommt noch zu den bereits vorgesehen elf Milliarden Euro Einsparungen hinzu. Zusätzlich fordert Brüssel die sofortige Reform des Rentensystems und des Arbeitsmarktes, die am 16. Juni vorgelegt werden sollte. Aber all das "ist noch nicht ausreichend", schätzt El País. "Die Frage ist, ob Spanien in der Eurozone bleiben will",kommentiert seinerseits El Mundo. "Wenn auch spät hat Zapatero die richtige Entscheidung getroffen: Er hat sich den großen Ländern angeschlossen und Maßnahmen in die Wege geleitet, die uns aus der Krise helfen und uns größere Schwierigkeiten vermeiden könnten". Im benachbarten Portugal "reichen die von Lissabon angekündigten Sparpläne nicht aus, um das für 2011 angestrebte Ziel zu erreichen, stellt die Público fest. Nach Ansicht der Europäischen Kommission müsste das Land weitere 2,5 Milliarden Euro sparen.

Frankreich: mangelhaft

Trotz enormer Anstrengungen – einem Sparpaket von rund 100 Milliarden Euro über eine Laufzeit von drei Jahren und einer umstrittenen Erhöhung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre – beurteilt die Kommission "die französische Sparpolitik als unzureichend, um das zwischen Paris und den Finanzministern der Europäischen Union abgesprochene Ziel zu erreichen", berichtet Le Monde. "Die anderen elf Länder schneiden allerdings nicht besser ab", bemerkt Le Figaro. Brüssel wolle darum aber nicht zu viel Wind machen, denn die Krise zwinge eher zu einer ausgleichenden Strategie von Budgetrestriktionen und Haushaltssanierung.

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Italien: zufriedenstellend auf Kosten der Regionen

Die Sparmaßnahmen der italienischen Regierung haben dagegen in Brüssel Zufriedenheit ausgelöst, schreibt La Stampa, auch wenn sie den Unmut der Regionen geweckt haben, die glauben, den Großteil der Budgetrestriktionen schultern zu müssen. Außerdem drohe Italien, sein Veto bei der Ratssitzung einzulegen, sollte sein Schuldenkonzept nicht angenommen werden, ergänzt die Tageszeitung. Rom zähle auch private und öffentliche Schulden zusammen, während für Berlin "die Schulden rein öffentlich sind."

Zufriedenheit herrscht ebenso auf tschechischer Seite: Hospodářské noviny stellt fest, dass die Kommission das von der Übergangsregierung unter Jan Fischer verabschiedete Paket als "befriedigend" beurteile. Die Rczespospolita bemerkt noch, dass Polen eines der wenigen Länder sei, welches kein Sparprogramm vorgelegt habe. Aber das Land dürfte wohl nicht drum herumkommen, denn eine Erhöhung des Rentenalters und eine Reform des Sozialsystems im Agrarsektor stehen bereits auf der Tagesordnung.

Deutschland: Sanktionen für Exportüberschuss

"Noch mehr strenge Regeln für die Staatshaushalte sind noch kein Konzept", bemerkt Die Zeit. Die Hamburger Wochenzeitung schlägt Berlin vor, seinen absoluten Glauben an die Haushaltsdisziplin aufzugeben. So stellt die EU, ganz nach dem Willen Deutschlands "die Länder an den Pranger, die sich verschulden. Dabei gehören zur Verschuldung immer zwei: Schuldner und Gläubiger", schreibt Die Zeit weiter mit Blick auf Deutschland, das durch sein Exportverhalten zur griechischen und spanischen Misere beigetragen habe. Die EU müsste demnach nicht nur die Schuldenkönige, sondern auch die Länder mit zu hohen Exportüberschüssen sanktionieren.

Dies ist einer der Gründe, warum der Tagesspiegel der Regierung von Angela Merkel empfiehlt, "sich endlich um die Binnennachfrage zu kümmern", wenn "sie die Stabilität des Euro sichern will". Aber der Konsum wird nicht so schnell ansteigen, denn die Deutschen schnallen den Gürtel aus Angst vor einem sozialem Abstieg enger, berichtet Spiegel-Onlineund zitiert eine DIW-Studie, nach der die Mittelschicht langsam verschwindet: 2000 gehörten noch 66 Prozent der Deutschen zu ihr, heute sind es nur noch 60 Prozent.(mz)

Standpunkt

Eine Politik der kleinen Länder

Bisher "hat die Tyrannei der kleinen Länder der Europäischen Union gut gedient". Aber in der Makrowirtschaft sei sie kontraproduktiv, warnt Wolfgang Munchau in der Financial Times. Der Journalist meint, dass die kleinen Länder glaubten, sich verhalten zu können, als ob sie keinen Einfluss auf den Rest der Welt habe. Dabei sei die Euro-Zone eine der größten Wirtschaftsmächte der Erde. Zahlreiche Politiker und Wirtschaftsexperten sind über den deutschen "Sparzwang" beunruhigt, schreibt Munchau. Mit seiner Einschätzung, dass der Sparkurs zur Rezession führe, sei Frankreich der einzige Staat "mit der Mentalität eines großen Landes". Die Mentalität der kleinen Länder verleite Brüssel und Frankfurt dazu, die Bedeutung von Wachstum zu unterschätzen und es als ein rein strukturelles Problem zu betrachten. Die derzeitige Strategie in Brüssel, so Munchau, werfe zwei Probleme auf: sie ist mehr auf die Konkurrenzfähigkeit als auf das Wachstum orientiert und es fehle ihr an makroökonomischer Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedsländern. Und das schade dem Kampf gegen die Überschuldung.

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