Europhoriker, unsere gefährlichsten Freunde

Es gibt die Euro-Skeptiker, die Euro-Hasser, und dann sind da noch die Europhoriker. Letztere finden sich sowohl unter Intellektuellen wie auch Politikern und sind mindestens genauso gefährlich wie erstere. Denn sie missbrauchen die EU als Weltanschauung. Auszüge.

Veröffentlicht am 22 Oktober 2012 um 15:13

Europa ist die letzte erlaubte Ideologie. Genauer: Es wird von einigen seiner vehementesten Propagandisten dazu gemacht. Das hat der Kontinent nicht verdient, er muss in Schutz genommen werden vor seinen schärfsten Befürwortern.

Denn zuallererst ist Europa ein filigranes Gebilde, so gediegen alt und zugleich so zerbrechlich, und dabei mitten in der Krise. Mit der Europäischen Union hat der Kontinent ein sich beständig umgestaltendes Gehäuse seiner Geschichte und seiner Zukunft gefunden. Wegen der Krise wird nun etwas mehr umgestaltet als üblich, nicht zuletzt beim Brüsseler Krisengipfel. Jetzt sollen die Provisorien durch einen soliden Rahmen ersetzt werden. Wie genau der aussehen soll, darüber wird – Europa halt! – viel gestritten. So weit, so gut.

Europa ist jedoch noch etwas anderes. Es dient als Feindbild vieler, denen die Globalisierung Angst macht, die keine Lust haben, für andere Länder und Regionen zu zahlen, auch für Leute mit einer inneren Dauerwut, die sich die EU zum Hassen ausgesucht haben. Schließlich gibt es noch ein drittes Europa, das der Europhoriker, jener, die immer möglichst viel Europa möglichst schnell haben wollen. Sie machen die EU zu einer Weltanschauung, missbrauchen sie als eine Ideologie.

Anders als europafeindliche Populisten wie Umberto Bossi aus Italien, Geert Wilders aus den Niederlanden oder die Basis-Finnen sind die Euro-Ideologen keineswegs marginalisiert, sie prägen die Debatten zentral mit, ihre Argumente kommen in etwas abgemilderter Form auch bei vielen Regierungspolitikern vor, beim Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker etwa oder bei [Finanzminister] Wolfgang Schäuble. Oft verderben ideologische Denkmuster die Diskussion, im schlimmsten Fall liefern sie den Populisten von rechts Munition.

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Die Wortführer dieser Europhoriker sind angesehene Intellektuelle wie Ulrich Beck, Robert Menasse oder Daniel Cohn-Bendit. Bei ihrem Versuch, durch ein vollständig integriertes Europa mit bedeutungslosen Nationalstaaten den Dämonen der Vergangenheit zu entfliehen, landen sie genau dort, in der Vergangenheit, in der Ideologie und im Wilhelminismus.

Der große Sprung nach vorn

Nun malen sie in ihrem Europa-Manifest den Kontinent in den schwärzesten Farben und raunen, dass es noch weit schlimmer komme, wenn nicht die sofortige vollständige europäische Einigung begonnen wird... Es droht „der Einfluss unserer zweitausendjährigen Kultur einfach weggefegt zu werden”. Doch nicht nur Europa selbst droht der Untergang, auch die Welt ist in allerhöchster Gefahr, es stehen uns nämlich „Handelskonflikte im großen Stil und neue internationale Kriege“ bevor.

Warum machen so besonnene Menschen so was? Zurzeit versuchen die Europhoriker etwas Paradoxes: Sie wollen am depressivsten und schwierigsten Punkt der EU den größten Sprung nach vorn bewerkstelligen. Ihr Argument lautet: Gerade weil es so schwierig ist, müssen wir umso schneller voranschreiten. Das ist natürlich extrem

kontraintuitiv, weil jeder gewöhnliche Bürger erst einmal sagt, wenn etwas nicht so gut funktioniert, lieber etwas Vorsicht walten lassen. Genau darum steigern Cohn-Bendit und Verhofstadt die apokalyptische Dosis.

Karl Popper, der große Philosoph der Nüchternheit, hat es als ein Kennzeichen von Ideologien bezeichnet, dass sie nicht falsifizierbar, also nicht widerlegbar sind. So verhält es sich auch bei den Europhorikern. Auf jede Störung in der EU, auf jeden vernünftigen Zweifel, ob man denn auf dem richtigen Weg sei, antworten sie: Gegen Schwächen der EU hilft nur noch viel mehr EU! Es ist offenkundig, dass die Menschen einem solchen Denken nur folgen, wenn sie sonst keinen Ausweg mehr wissen.

Und genau diese Ausweglosigkeit, soll ihnen eingeredet werden. Sein oder Nichtsein, entweder – oder, jetzt oder nie, wer, wenn nicht wir? – so haben alle ideologischen Führer des letzten Jahrhunderts geredet. Bei den beiden erhitzten Europapolitikern Cohn-Bendit und Verhofstadt führt das zu einem fast schon kuriosen revolutionären Gestus, feurig rufen sie ihre imaginären Europagenossen auf: „Nur feige, faule und kurzsichtige Staats- und Regierungschefs können das nicht begreifen. Rüttele sie wach. Lass sie keinen Tag unbehelligt.“

Interessant ist das Wort „feige“, soll es doch suggerieren, dass Angela Merkel oder Frankreichs Staatspräsident François Hollande nur deshalb nicht den großen Sprung nach vorn wollen, weil sie Angst haben, abgewählt zu werden. Wenn das stimmt, dann aber nur, weil es in Europa für all das einfach keine Mehrheiten gibt, weil die Menschen noch nicht genug Angst haben und sich auch nicht machen lassen wollen.

Minderwertigkeitskomplex

Auch Robert Menasse gibt Einblick in seinen Wuthaushalt, er hat die Geduld verloren, möchte wegfegen: „Mittelfristig kann man auch die nationalen Parlamente abschaffen. In so einem Europa müssten wir uns nicht mehr mit so irrationalen Phänomenen herumschlagen, wie zum Beispiel, dass der Herr Cameron, obwohl seine Nation nicht einmal bei der Europäischen Währungsunion mitmacht, eine gemeinsame europäische Finanzpolitik blockieren kann, um seinen Finanzspekulationsmarkt London City zu schützen.“ Das also ist die Idee: Menasse glaubt, Interessen und Menschen zum Schweigen bringen zu können, wenn man ihnen nur die Chance nimmt, sich parlamentarisch zu äußern.

Auch der Antireformismus kehrt in dieser europäischen Ideologie wieder. Wie zu Weimarer Zeiten, als sich Sozialdemokraten von Kommunisten des Reformismus zeihen lassen mussten, so werden von Cohn-Bendit und Verhofstadt nun die revolutionären europäischen Massen aufgefordert, sich niemals vom System einschläfern zu lassen: „Eine radikale Umwälzung ist nötig. Eine veritable Revolution.“, „Verweigere allzu träge Reformen.“

Das Argument, nur ein vereinigtes Europa könne sich in einer veränderten Welt mit den Machtzentren USA, Indien, Brasilien, Russland und China behaupten, hat natürlich etwas für sich. Nur ist Selbstbehauptung eben ein eiskalt realpolitisches Argument, im Nachgeschmack etwas wilhelminisch, Europa will sich seinen Platz an der Sonne sichern, das kann es wollen, sollte darum jedoch nicht so viel Trara und Tätä machen. Zudem sind die Staaten, mit denen Europa da künftig zu tun hat, überwiegend Nationalstaaten.

Es geht also in Wirklichkeit nicht um die Frage, Nation oder nicht, es geht vielmehr um Größe und Geltung. Offenbar ist den Europhorikern der europäische Nationalstaat fast peinlich, während sie ihn woanders geradezu bewundern. Zu diesem Minderwertigkeitskomplex gesellt sich – leider wieder ähnlich wie bei Wilhelm II. – ein bisschen Größenwahn.

Wenn Europa sich nicht vereinigt, drohen ja angeblich, wir sahen es schon, weltweit Kriege, ohne Europa ist auch die Klimakatastrophe nicht zu verhindern, sagen etwa die Grünen. Kann man nicht einfach sagen, dass Europa seinen Weg sucht und die anderen ihren und dann mal sehen?

Wie seltsam, dass an sich vernünftige Leute heute wieder so ideologisch daherreden, und das ausgerechnet über Europa, unseren armen, durch allzu viel selbst gemachten Schaden einigermaßen klug gewordenen Kontinent. Man kann in Europa wirklich über alles sprechen, über jede noch so weitgehende Reform, kein Problem, wirklich. Aber nicht in diesem Ton. Hört auf damit!

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