Madrid, 11. Juli 2010.

Land der Stürmer

Der WM-Sieg Spaniens unterstreicht die gute Form des Spitzensports in einem zweifelnden Land. Die konservative Tageszeitung ABC sieht darin die Chance zur konsensuellen Stärkung der nationalen Einheit.

Veröffentlicht am 12 Juli 2010 um 13:32
Madrid, 11. Juli 2010.

Die spanische Fußballnationalmannschaft ist gestern nach dem Sieg über die Niederlande Fußballweltmeister geworden. Es ist der größte Sieg in der Geschichte des spanischen Fußballs. Dieser Sieg kommt nach einer ganzen Reihe von weniger bedeutenden Erfolgen und platziert Spanien ganz vorne im Weltsport, sei es im Basketball, im Tennis, im Rad- oder Automobilsport. Längst sind die Adjektive erschöpft um Sportler zu beschreiben, die — vor allem durch Teamgeist — mit guten Beispiel vorangehen. Seit einigen Jahren schon bestätigt die spanische Mannschaft die Idee, dass Leistung das Ergebnis von guter Planung und einer Auswahl der Besten ist, wobei das Gemeinwohl Vorrang vor dem Individualismus hat. Die Arbeit von ausgezeichneten Sportfunktionären, sowie Verfolgung eines gemeinsamen Ziels wurde mit dem WM-Titel 2010 auf spektakuläre Weise gekrönt.

Die Siege der spanischen Nationalelf und die Verbesserung im Spielverhalten nach der Niederlage gegen die Schweiz führten zu Vergleichen zwischen der effizienten Führung der Nationalmannschaft und dem allgemein desolaten Zustand im Lande. Eine unvermeidliche Reaktion, denn in Krisenzeiten schenkt uns das Team ein paar Stunden Euphorie, währenddessen es vor und nach den Spielen im Land wenig Grund zur Freude gibt. Man kann sich berechtigterweise fragen, warum Spanien nicht wie die Nationalmannschaft funktioniert, warum die Werte des Teams nicht vom ganzen Land, der politischen Klasse oder der Gesellschaft im allgemeinen geteilt werden. Der Vergleich sollte zu einer Botschaft an die Bürger werden: eine Botschaft der Solidarität, des Teamgeists, des gesunden Ehrgeizes, des klaren Kopfes, die sich vor allem an die spanische Gesellschaft richtet.

"Land, das mehr zu sich stehen würde, hätte es die politische Führung, die es verdient"

Die WM-Mannschaft ist eine Metapher dessen, was Spanien erreichen könnte, vorausgesetzt, dass wir dieselben Prinzipien anwenden, die das Team von Sieg zu Sieg geführt hat. Es wäre wünschenswert, dass die kollektive Begeisterung dem Land den Ehrgeiz gibt, die derzeitigen Schwierigkeiten zu überwinden. Unser Land sollte diesen jungen Menschen gleichen — nicht zu vergessen Gasol Basketball, Nadal Tennis, Pedrosa Motorrad, Alonso Formel 1 Contador Radsport u. a. — , die die gesamte Welt quasi zwingen, von Spanien mit Bewunderung zu sprechen. Die Menschen sollten so arbeiten wie sie. Über die Vorbildfunktion hinaus, erlaubt uns der Erfolg der Nationalmannschaft, ohne Komplexe etwas Grundlegendes ausdrücken zu dürfen: den Stolz, Spanier zu sein. Es wäre bedauerlich, dieses Gefühl auf einen spanischen Nationalismus als Opposition zu den Nationalismen der Nachbarn zu reduzieren.

Aber es wäre auch nicht vernünftig, dass diese Wochen, in denen man die Nationalfarben zu Schau trug, gleich am Tag nach dem Sieg vorbei sein sollten, als sei die rot-gelbe Fahne die Flagge des Teams gewesen und nicht die Spaniens. Vielmehr sollte man einen positiven und konstruktiven Nationalismus in den Mittelpunkt stellen, Symbol der nationalen Einheit und der spanischen Identität. Dieser Ausbruch an Spanien-Begeisterung sollte von der gesamten Gesellschaft als Bereicherung verstanden werden in einer Zeit, in der Spanien ein starkes Fundament braucht, um sich — nicht nur ökonomisch — zu sanieren. Ein solcher Patriotismus sollte von den Politikern von links nach rechts als Ausdruck eines stolzen, fröhlichen und optimistischen Spaniens gedeutet werden, ein Land, das sicherlich noch mehr zu sich stehen würde, hätte es die politische Führung, die es verdient.

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Wir mussten auf einen WM-Titel warten, um uns erhobenen Hauptes den Widrigkeiten entgegenzustellen und um das Gefühl eines einenden Patriotismus zu empfinden. Ja. Es musste die Fußballnationalmannschaft kommen, um die Spanier zu lehren, dass sie als Nation nur jene Limits kennen, die sie sich selbst auferlegt haben. (js)

STANDPUNKT

Ein Gesellschaftsmodell

Durch die gelungene "perfekte Integration von acht katalonischen Fußballstars" hat die spanische Nationalmannschaft "ein gutes Beispiel dafür abgegeben, was für den spanischen Philosoph Ortega die Definition einer Nation ist: 'ein spannendes Projekt des Zusammenlebens'", schreibt Professor Ignacio García de Leániz in El Mundo. Für den Soziologen hat 'La Roja' "der Marke Spanien in kritischen Zeiten ein unschätzbares Prestige beschert", indem das Team "Produktivität, Qualität und Innovation bewies ..., drei Dimensionen die unserer Wirtschaft derzeit fehlen.“ Nationaltrainer Vicente del Bosque habe, laut García de Leániz "ruhige und besonnene Führungsstärke" bewiesen. Er stünde im krassen Gegensatz zum "Triumph des Scheins über das Sein", den Spanien in den letzten Jahren demonstrierte und "der die tiefe wirtschaftliche, soziale und institutionelle Krise, die wir derzeit erleben, erklärt."

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