Einmal so gefragt: Wenn Jesus Burka tragen würde, dürfte er dann noch am Kreuz in Klassen- und Amtszimmern hängen? Die Debatte um Ganzkörperverschleierung flammt heuer an ganz verschiedenen Orten auf. Begonnen hat sie mit mittlerweile beschlossenen belgischen und französischen Gesetzesinitiativen zum Verbot von Burka und Nikab im öffentlichen Raum, gefolgt von ähnlichen Vorstößen in Spanien und Großbritannien. Die Meldung, dass Syrien nun Gesichtsschleier an Universitäten verbiete, passt und passt doch nicht ins Bild, denn man muss zwischen den Argumenten, die im arabischen Raum gelten, und denen der Europäischen Debatte unterscheiden.
In Europa nämlich steht die Diskussion ums Burka-Verbot notwendig immer auch im Zeichen einer Konkurrenz der islamischen zur christlichen Kultur, es wird da gern mit zweierlei Maß gemessen. Durchweg Begeisterungsstürme lösen die Gesetzesinitiativen gegen Ganzkörperverschleierung zwar nicht aus, wohl aber Verständnis. Immerhin ist das viel beschworene "mobile Gefängnis", das in dieser Radikalität vom Koran nicht gefordert ist, weniger Ausdruck einer religiösen Pflicht als vielmehr horribles Instrument patriarchaler Gewalt. Frauen seien darin zu Insekten degradiert, so beschrieb es einmal die Journalistin Carolin Emcke als sie unfreiwillig in eine Burka schlüpfen musste und sofort begann, sich vor sich selbst zu ekeln wie vor einem Ungeziefer. Die Burka wirkt auf westliches Empfinden wie eine kafkaeske Verwandlung.
Wenn man es vergleicht, ist der morbide Charme des Christenkreuzes allerdings auch nicht so harmlos. Was heißt es eigentlich, dass eine Kultur ein Folterinstrument zu ihrem Wahrzeichen erhebt? Aus distanzierter Perspektive muss der exhibitionistische Leidensfetischismus der westlich-christlichen Bildtradition ebenso befremdlich wirken wie die absurden Verhüllungsgebote mancher islamischer Staaten. Zum Originalartikel im Standard...