Obama, Europa und die Rettung der Solidarität

Amerikas Präsident und seine europäischen Kollegen stehen vor derselben Herausforderung. Sie müssen beweisen, dass eine tolerante und solidarische Gesellschaft immer noch möglich ist.

Veröffentlicht am 9 November 2012 um 14:52

Die Amerikaner haben am Dienstag erneut einen Präsidenten gewählt, der für eine tolerante und solidarische Gesellschaft steht. Die Europäer haben diese Art von Gesellschaft seit Jahrzehnten zu ihrem Modell gemacht und sehen sich als Erfinder der Solidarität.

Heute müssen sich beide Lager durch einen Zufall der Geschichte den gleichen Kämpfen und Herausforderungen stellen: zeigen, dass dieses Gesellschaftsprojekt realistisch und weiterhin möglich ist.

Der amerikanische Präsident muss kämpfen, um diese Solidarität bei einem großen Teil der amerikanischen Gesellschaft durchzudrücken, die kein institutionalisiertes Sozialversicherungsnetz für alle will und leistungsabhängige Vorzüge bevorzugt. Die Europäer müssen sich ihrerseits anstrengen, um ihr für alle zugängliches Sozialversicherungssystem zu erhalten, dessen Modalitäten in jedem Land angekratzt werden.

Obama und die europäischen Politiker sollten besser ihre Kräfte und Ideen vereinen, um einen Weg zu finden, ihr politisches Projekt zu bewahren: Diese solidarische Gesellschaft, in der, wie Obama sagt, jeder eine Chance hat, egal ob reich oder arm, schwarz oder weiß, krank oder gesund, homo oder hetero.

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Sieg für die europäischen Obamas oder Romneys?

Ihre Widersacher sind dieselben: bodenlose Haushaltsdefizite, eine tiefe, strukturelle Wirtschaftskrise und die „Romneysierung“ unserer Gesellschaften. Der von der Wirtschaftskrise geschürte Individualismus wird heute beiderseits des Atlantiks auf dieselbe Art und Weise ausgelebt und veranlasst zu einer Auslese der sozialen „Vorteile“ zwischen denen, die sie verdienen, (also den Arbeitenden) und den anderen (den „Unterstützten“).

Welche Solidarität? Können wir uns diese Großzügigkeit leisten? Wie können wir sie modulieren, damit sie bezahlbar wird? Wer wird die Partie gewinnen, die europäischen Obamas oder Romneys?

Und kann man heute – wie Obama beteuert – noch daran glauben, dass die nötigen Kompromisse zur Fortentwicklung der Gesellschaft möglich sind, oder ist man da durch den Optimismus geblendet? Das ist derzeit das äußerst schwierige Dilemma. Die gute Nachricht seit Dienstag ist, dass die Europäer nicht mehr die einzigen sind, die daran glauben und eine Lösung finden müssen.

Kontra

Nicht begeistert von Obamas Wiederwahl

România liberă geht gegen den Strom der meisten europäischen Zeitungen und findet, „Obamas Wiederwahl ist eine schlechte Nachricht“ für die Vereinigten Staaten und für die Welt insgesamt. Die Tageszeitung aus Bukarest zieht eine negative Bilanz der ersten Amtszeit des US-Präsidenten, insbesondere in der Außenpolitik:

Die Obama-Regierung hat ihre führende Stellung in der Welt unter dem ideologischen Vorwand aufgegeben, dass es die amerikanische Beispielhaftigkeit nicht gibt [...] und die Zeit ist für sie gekommen, es anderen zu überlassen, Ordnung in die Welt zu bringen.

România liberă betont auch, das Image des „großen Verteidigers der Durchschnittsmenschen und kleinen Völker“ stehe in scharfem Gegensatz zu der von Obama praktizierten Realpolitik, die auf dem Einvernehmen mit den Staats- und Regierungschefs der Großmächte beruht, zu Lasten der Kleineren:

Die kaum verhüllte, aber völlig erwiesene Geringschätzung, die Obama während der letzten vier Jahre für die traditionellen Verbündeten der USA – Großbritannien, Polen, Japan – gezeigt hat, sowie der fast völlig Mangel an Interesse für die neuen Verbündeten wie uns, in Osteuropa [...] haben die zynische, aber naive Ansatzweise dieses Präsidenten gezeigt, der sich einbildet, dass er mit Putin ebenso Geschäfte machen kann, wie jeder beliebige Politiker aus Chicago mit den Mafiabossen Geschäfte macht.

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