Geldautomat der Eurobank, Athen, Juli 2010

Vergesst den Stresstest

Die am 23. Juli veröffentlichten Resultate der Banken-Stresstests sind sehr positiv. Zu positiv, finden die meisten europäischen Zeitungen und befürchten, dass die politische Absicht, die Märkte zu beruhigen, ins Gegenteil umschlagen könnte.

Veröffentlicht am 26 Juli 2010 um 15:41
Geldautomat der Eurobank, Athen, Juli 2010

91 getestete Banken, davon 84 von den Aufsehern genehmigt. Die Ergebnisse der von den Finanzbehörden der EU und der einzelnen Staaten durchgeführten Stresstests, die am 23. Juli veröffentlicht wurden, zeichnen das Bild eines stabilen, gesunden Bankensektors in Europa.

"Alle waren vom guten Zustand der Banken überrascht", betont etwa der stellvertretende Direktor vonEl Mundo, Casimiro García Abadillo, und wundert sich, dass die Tests einen Finanzierungsbedarf von "nur 3,5 Milliarden Euro" ergaben. Und dennoch scheint die Aktion trotz der Zufriedenheit, die von der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und den einzelnen EU-Regierungen an den Tag gelegt wird, die Beobachter nicht überzeugt zu haben.

Stresstests - ein Propaganda-Erfolg

"Die europäischen Länder erzielten das Gegenteil von dem, was sie eigentlich wollten", stellt De Volkskrant fest. "Anstatt wieder Vertrauen und Ruhe herzustellen, riefen die Stresstests Misstrauen und neuen Stress im europäischen Finanzsektor hervor. Denn solange die Qualität des Tests nicht einstimmig gutgeheißen wird, gibt es auch keine Gewissheit über die Stabilität der europäischen Banken. Jenseits des Ozeans lächeln die Amerikaner darüber."

"Tests ohne Stress, oder wie sich die Banken selbst in Stimmung bringen", ironisiert die Gazeta Wyborcza, für welche die Tests nichts anderes sind als "ein Propaganda-Erfolg". Die Warschauer Tageszeitung ist der Ansicht, die ausgewählten Kriterien (Absinken der griechischen Euro-Anleihen um 20 Prozent, Einbruch der Börsenindices um 20 Prozent) seien unrealistisch und es sei zudem klar, dass die europäischen Aufseher die Bedingungen so festgesetzt haben, dass sie "den europäischen Banken nicht schaden". Wenn sie sich dadurch erhofften, dass die Investoren anbeißen und mit dem Kauf von Banktiteln anfangen würden, dann haben sie sich getäuscht: Die Glaubwürdigkeit der Banken wird nicht zunehmen. "Schlimmer noch", warnt die Zeitung, "manche Investoren könnten meinen, dass sich die europäischen Veranwortlichen nur so viel Mühe bei der Veranstaltung dieser Show gegeben haben, weil die europäischen Banken ein paar Leichen im Keller haben müssen."

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Eine zynische Übung

Wolfgang Münchau in der Financial Times ist noch strenger. "Ziel dieser zynischen Übung war es, so zu tun als sei die EU dabei, ein Problem zu lösen, während sie dies nicht tut", schreibt der Chronist, der den Aufsehern vorwirft, manche Finanzinstitute vom Test ausgeschlossen und vor allem keine strikten Kriterien festgelegt zu haben. Insbesondere findet Münchau jedoch, wie viele andere Kommentatoren auch, dass die Tests die – durchaus realistische – Hypothese eines Staatsbankrotts nicht genug berücksichtigten.

"Die Tests folgen einem Schema, das seit Ausbruch der akuten Phase der Finanzkrise im September 2008 offensichtlich ist", fügt der FT-Journalist hinzu. "Die Herangehensweise der EU an den Finanzsektor bestand darin, dem Problem ein paar Flicken aufzusetzen – pauschale Rettungsaktionen, einige nicht sehr seriöse Kapitalerhöhungspläne, dazu hohe Liquiditäten – anstatt es zu lösen. [...] In Madrid sind die Tests zwar in ein politisches Engagement zur Lösung der Probleme der Banken eingebunden, doch sonst ist dies nirgends der Fall. Ein Stresstest ohne Lösungsstrategie, wie überall außer in Spanien, ist völlig sinnlos." Dazu merkt auch Casimiro García Abadillo in El Mundo an, dass "die spanische Landesbank in diesem Szenario der positiven Offenheit den von den Regierungen der einzelnen Länder verlangten Striptease auf den gesamten spanischen Bankensektor ausgedehnt hat, während der EZB ein 'oben-ohne' gereicht hätte".

Eine überflüssige Beschäftigungsmaßnahme

Wenn die Bankenbehörden gestresst waren, dann weil den "Herren Oberaufseher[n] der Banken in Europa [...] von der Politik ein Test aufgezwungen wurde, dessen Aussagekraft beschränkt ist", stellt seinerseits das Handelsblatt fest. Die deutsche Wirtschaftszeitung bemerkt, dass nur durch "individuell auf jede einzelne Bank ausgerichtete Kontrollen" ihre Risikotragfähigkeit beurteilt werden kann. Daher auch die Hoffnung des Handelsblatts, "dass das Ganze ein einmaliger Fall war und niemand auf die Idee kommt, diese Art von Stresstest jährlich durchzuführen".

Im Endeffekt mag "die Veröffentlichung der Stresstests den Märkten wahrscheinlich ebensoviele Fragen wie Antworten geliefert" haben, doch La Tribune erkennt ihren Zweck dennoch an. Denn die Tests geben den Investoren äußerst detaillierte Informationen über 91 europäische Banken, insbesondere darüber, inwieweit sie verschiedenen Staatsschulden ausgesetzt sind. So werden die Investoren, nach Meinung der französischen Wirtschaftszeitung, "zwischen denen, die die Tests haushoch bestanden haben, und den anderen" zu unterscheiden wissen. Und nun, schließt das Jornal de Negócios, "wird die Reaktion der Märkte in den kommenden Tagen zeigen, ob die Tests tatsächlich zu der sich in Europa abzeichnenden Aufschwungtendenz beitragen". (pl-m)

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