Der aktuelle Gewaltausbruch im Gazastreifen zeigt, dass in dem Konflikt mittlerweile neue Akteure am Verhandlungstisch sitzen, die versuchen, den Schaden zu begrenzen und eine Waffenruhe zu erreichen: Ägypten, das mit der Mubarak-Ära gebrochen hat, vermittelt; die Türkei bestätigt ihre Rolle als Regionalmacht; Katar, dessen Mittel und (politische, strategische sowie religiöse) Interessen allein schon ausreichen, um eine Beteiligung zu rechtfertigen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich mit dem „arabischen Frühling“ viel verändert hat.
Und Europa? Es fehlt und wird auch von niemandem mehr erwartet. Seine Rolle im Konflikt bestand bis dato darin, die Zeche zu bezahlen, welche die Palästinenser schlicht überforderte und welche die Israelis eigentlich oft hätte begleichen müssen. Eine Rolle, die den Europäern im Grunde sehr genehm war, weil sie vermied, sich den Kopf zerbrechen zu müssen. Auch derzeit besteht das Problem nicht darin, dass Brüssel nicht gewillt wäre, ins Portemonnaie zu greifen, sondern dass man sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen kann.
Als am 19. November die EU-Außenminister es versuchten, wollten Großbritannien und Frankreich durchsetzen, Israel dazu aufzufordern, auf den Einsatz von Bodentruppen zu verzichten. Durchgesetzt hat sich allerdings – unterstützt von Deutschland – die Position der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.
Sie verurteilte als erstes die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, dann verteidigte sie das Recht Israels auf Selbstverteidigung und zu guter Letzt sagte sie, Israel müsse sicherstellen, dass seine Antwort auf die Angriffe „angemessen“ sei und dass sie „sehr besorgt um den Verlust von Menschenleben“ sei. In keinem Wort wurde Israels Embargo gegenüber dem Palästinensergebiet erwähnt, das immerhin das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Welt ist.
Offiziell hat die Militäroperation der Israelis das Ziel, die Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen und von Schiffen vor der Küste zu beenden. In Wirklichkeit sind bei dem Einsatz bisher bereits 130 palästinensische Zivilisten ums Leben gekommen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Mehr als 900 Menschen wurden verletzt und mehrere Schiffe versenkt, bei denen es sich keineswegs um Kriegsschiffe handelte. Wenn wir uns den Schaden und die Opfer des palästinensischen Beschusses in Israel ansehen (drei Tote), dann wird klar, dass hier nichts „angemessen“ ist, wie von Europa gefordert.
Der „arabische Frühling“ hat Europa ins Abseits gestellt. Nachdem man wiederholt die Notwendigkeit der Demokratie betonte, aber sich gleichzeitig mit Diktatoren arrangierte, die man für weniger gefährlich hielt als die Fundamentalisten, wussten die Europäer nicht, wie sie auf die Welle von Aufständen reagieren sollten. Diesmal ist es ähnlich. Abgesehen von Erklärungen, welche die Wirklichkeit sogleich als leere Worte entlarvt, verzichtet die Europäische Union diesmal faktisch darauf, sich an der Lösung eines Konflikts zu beteiligen, der sich vor ihrer Haustür abspielt.