Wirklich, ich lebe vom Mindestlohn. Im Viertel von Lykabettus, Athen.

Steuerjagd bis in den Pool

Mit neuem Vorzeigepersonal, harten Sparmaßnahmen und hohen Strafen für Steuerbetrüger versucht Athen, seine internationalen Auflagen zu erfüllen. Doch noch immer wird getrickst, auch von Seiten des Staates, schreibt der Spiegel. Auszüge.

Veröffentlicht am 4 August 2010 um 13:44
ArkanGL  | Wirklich, ich lebe vom Mindestlohn. Im Viertel von Lykabettus, Athen.

Wenn Nikolaos Logothetis, 57, ein hochgewachsener Grieche mit gepflegtem Vollbart und Professorenbrille, Ziffern referiert, hört sich das an wie ein Liebesgedicht. "Die Wissenschaft der Statistik besitzt eine eigene Sprache", sagt er, "wir müssen ihr nur aufmerksam zuhören, wenn wir verstehen wollen, woran unser Land erkrankt ist." Das ist ein bemerkenswerter Satz in der Heimat der geschönten Zahlen. Logothetis, seit wenigen Stunden Vizechef der neuen, regierungsunabhängigen Statistikbehörde, sitzt in einem exklusiven Athener Restaurant und sagt, er wolle die Behörde radikal umgestalten. "Wir werden künftig nur noch dem Parlament Rechenschaft ablegen und endlich als unabhängige wissenschaftliche Institution arbeiten können."

"Greek Statistics" - das ist mittlerweile ein geflügeltes Wort. Es steht für politische Manipulation und kreative Buchhaltung, für die gesamte griechische Misere, für die statistischen Luftschlösser von Logothetis' Vorgängern. Einer von ihnen hat sich inzwischen ins Ausland abgesetzt. Denn es scheint sich etwas zu bewegen in dem Mittelmeerland, in dem nach Regierungsbeamten "so gut wie jeder betrügt ". Eine Art Kulturrevolution steht den Griechen bevor, notgedrungen.

Seit vergangener Woche ist sie wieder im Land, die sogenannte Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB). Die drei Kontrolleure sollen erneut entscheiden, ob die Anstrengungen der Papandreou-Regierung ausreichen, um Athen im September weitere neun Milliarden Euro zu überweisen. Im Luxushotel Grande Bretagne haben sie sich einquartiert, der Däne, der Belgier und der Deutsche. "Wir Griechen haben doch längst keine Souveränität mehr", sagt ein Hotelier, "die sind doch die eigentlichen Herrscher im Land."

Und es gibt da einen zweiten Mann, der für einen möglichen Neuanfang in Athen steht: Ioannis Kapeleris, Chef der im Dezember eingerichteten Steuerfahndungsbehörde SDOE. Kapeleris, 50, ist einer der zurzeit meistbeschäftigten Mitarbeiter der Regierung. Unausgeschlafen, rauchend, einen Kaffeebecher in der Hand, das Hemd weit aufgeknöpft empfängt er seine Besucher. "Schauen Sie sich das mal an", sagt er und zieht eine Excel-Tabelle heraus. "Hier sehen Sie, wie viele Fälle von Steuerbetrug der griechische Staat im Juni 2009 im Athener Tourismusgewerbe nachweisen konnte: 506. Und wissen Sie, wie viele wir im Juni 2010 gefunden haben? 4340." Zum Artikel auf Spiegel-Online...

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