„Bereit zum Arbeiten“: eine Demonstration im Rahmen der Battlefront Campaign vor einer Arbeitsagentur, die auf die Jugendarbeitslosigkeit im Vereinigten Königreich aufmerksam macht. London, Oktober 2011.

Wir brauchen ein Erasmus-Programm für Arbeit

In den EU-Haushaltsdiskussionen verliert keiner ein Wort darüber, dass die Krise vierzehn Millionen jungen Europäern den Arbeits- oder Ausbildungsplatz genommen hat. Vielleicht sollten wir deshalb ein bisschen mehr Geld dafür ausgeben, ihnen den Zugang zur europaweiten Arbeitswelt zu ermöglichen, schlägt ein französischer Wirtschaftsberater vor.

Veröffentlicht am 29 November 2012 um 12:13
„Bereit zum Arbeiten“: eine Demonstration im Rahmen der Battlefront Campaign vor einer Arbeitsagentur, die auf die Jugendarbeitslosigkeit im Vereinigten Königreich aufmerksam macht. London, Oktober 2011.

Dank der Subprime-Krise wissen Sie, was die Amerikaner mit Ninja meinen: „No income, no jobs, no assets“ [„Kein Einkommen, kein Job, kein Vermögen“]. Kennen Sie aber auch die NEET Europas?

Die NEET sind zwischen 15 und 29 Jahre alt und befinden sich irgendwo im nirgendwo: Keine Arbeit, kein Studium, keine Ausbildung. Man muss nicht lange suchen, um einem NEET in seiner Familie, in seinem Freundeskreis oder in seinem Stadtviertel über den Weg zu laufen. Europa beheimatet ganze vierzehn Millionen von ihnen. Jeder sechste Jugendliche [ist ein NEET]. Und die NEETs kosten langsam aber sicher richtig viel Geld: Laut einer Studie der europäischen Stiftung Eurofound sorgen sie jedes Jahr für einen Gewinnausfall von 153 Milliarden Euro, das ist mehr Geld als der Haushalt der Europäischen Union (142 Milliarden Euro).

Haben die europäischen NEETs in jüngster Zeit eigentlich die grotesken und nichtsbringenden Diskussionen um den Haushalt für die kommenden sechs Jahre verfolgt? Wissen sie, dass Brüssels Europa, anders als in den momentanen Krisen- und Sparzeiten zu vermuten wäre, unendlich reich ist? So reich, dass es sogar mit dem Gedanken spielt, in den nächsten sechs Jahren mit nicht weniger als 1.000 Milliarden Euro um sich zu schmeißen?

420 Milliarden Euro für die Landwirtschaft. 300 Milliarden Euro für die „Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und Beschäftigung“, im Klartext also für den Transfer von sogenannten reichen Regionen in sogenannte arme Regionen: Ganz egal ob (a) das BIP von fünfzehn französischen Départements niedriger ist als das Griechenlands, und (b) die in den vergangenen sechs Jahren ausgegebenen 350 Milliarden Euro absolut fragwürdige Ergebnisse im Bereich der Kohäsion (siehe Griechenland), des Wachstums (die Prognosen für 2012 rechnen mit -0,3 Prozent) und der Beschäftigung (die Union zählt 25 Millionen Arbeitslose) ausgelöst haben.

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58 Milliarden für „Europa, den globalen Akteur“, obwohl [die EU] mangels einer gemeinsamen Verteidigungspolitik global eigentlich vor allem durch Abwesenheit glänzt. Insbesondere wenn es darum geht, Konflikte wie die jüngsten Ereignisse (in Libyen, Syrien, Israel, Palästina und im Iran) zu lösen.

Und vergessen wir nicht die 56 Milliarden, die uns die Verwaltung der Union kostet.

Erasmus ist unser einziger Erfolg

Dabei ist eine alternative Haushaltspolitik möglich. Dafür müsste man aber damit aufhören, weiterhin Geld in die Fehler und die Vergangenheit der Union zu pumpen, und endlich einmal den Blick in die Zukunft wagen. Im Klartext bedeutet das, sich um die Jugend zu kümmern, und ganz besonders um die NEET.

Niemandem ist entgangen, dass die Führungskräfte der Union mit dem Gedanken spielen, das Erasmus-Programm schlicht und einfach abzuschaffen. Nur um ihre nationalen oder verwaltungstechnischen Interessen zu bewahren, ziehen sie in Erwägung, das einzige Projekt zu Grabe tragen, das in den vergangenen Jahren in der ganzen Europäischen Union den einzigen wirklich konkreten, greifbaren und europaweiten Erfolg darstellt.

Seit der Schaffung des Erasmus-Programms 1987, konnten drei Millionen europäische Studenten dank dem durchaus bescheidenen Stipendium (von 250 Euro monatlich) in einem [anderen] Land der Union studieren. Dadurch bekamen sie ein Gefühl dafür, was europäische Wirklichkeit bedeutet. Also genau das Gegenteil von dem, was uns heute geboten wird: Nämlich der Rückzug hinter die Landesgrenzen, der Mangel von Projekten für die kommenden Generationen und die kurzfristige Handhabung finanzieller Notsituationen. Seitdem es Erasmus gibt, hat das Programm 4,1 Milliarden Euro gekostet. Das ist weniger Geld als die EU-Haushaltsfehler 2011 verschlungen haben (4,9 Milliarden Euro).

Ist dies nicht der richtige Zeitpunkt, um Erasmus auszubauen und ein Erasmus-Beschäftigungsprogramm ins Leben zu rufen, anstatt das Ganze zu begraben? Ein solches Programm könnte jedes Jahr eine Million einjährige Arbeitsverträge im Privatsektor subventionieren und so für echte Jobs in der Marktwirtschaft sorgen, indem es beispielsweise für die Sozialabgaben aufkommt.

Dadurch würden jedes Jahr eine Million junge Europäer die Chance bekommen, zu arbeiten und zudem in einem anderen EU-Staat tätig zu werden. Was das bedeutet? Reisen, in einer anderen Kultur zu arbeiten, eine andere Sprache zu sprechen. Dann würden kleinkarierte Nationalismen und lebenszerstörende Protektionismen endlich in Vergessenheit geraten und das Europa der Unternehmen aufleben können, um das Europa der Bürokratie [zu verdrängen].

Neue Hoffnung für junge Menschen

Gehen wir von einem fiktiven Durchschnittsgehalt von 20.000 Euro pro Jahr aus und rechnen mit 40 Prozent Sozialabgaben: Dann handelt es sich insgesamt um Subventionen in Höhe von acht Milliarden Euro. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass die Europäische Union sechs Prozent ihres Haushalts für eine solche Investition ausgibt?

Wenn wir das Ganze mit den Augen der Anhänger der Sparpolitik und der rigorosen Haushaltskontrolleure der Union betrachten, ist dieses 1000 Milliarden Euro schwere Budget natürlich ein Schlag ins Gesicht all jener Haushalte und Unternehmen, die drastische Kürzungen vornehmen mussten, um ihre Ausgaben zu drosseln und die Defizitziele einzuhalten.

Wenn es aber eine Sache gibt, die Investitionen wert ist und die wir bewahren und ausbauen müssen, so ist es unsere Zukunft. Ein Erasmus-Programm für Arbeit würde jungen Menschen wieder neue Hoffnung geben, Wachstumsdynamiken für alle Europäer schaffen und den europäischen Geist zu neuem Leben erwecken.

Außerdem würde ein solches Programm die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen verbessern, weil man ihnen bei den Abgaben für ihre Neuzugänge unter die Arme greifen würde. Und letzten Endes würden die europäischen Institutionen endlich wieder rechtfertigen können, warum es sie überhaupt gibt. Momentan scheinen sie nämlich jeden Sinn für die Wirklichkeit der Unternehmen und der Menschen verloren zu haben.

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