"Wohnung zu Mieten für 1000 Euro kalt." Verlassenes Gebäude in Lissabons Zentrum.

Geisterstadt Lissabon

Zunehmender Verfall der Häuser und hohe Quadratmeterpreise: Immer mehr junge Menschen meiden die portugiesische Hauptstadt, die langsam zur Geisterstadt verkommt. Nur die zahlreichen Austauschstudenten des Erasmus-Programms scheinen noch Leben in die Stadt zu bringen.

Veröffentlicht am 10 August 2010 um 12:22
Pedro Moura Pinheiro  | "Wohnung zu Mieten für 1000 Euro kalt." Verlassenes Gebäude in Lissabons Zentrum.

Die Lissabonner Innenstadt verkümmert. Im historischen Stadtzentrum stehen Gebäude leer, selbst in den berühmten Stadtteilen Chiado, Baixa, Alfama Graça und Alcántara. Und sogar in den schicken Vierteln. Zwischen Luxusboutiquen, Hotels, Banken und Firmensitzen stehen hier und dort halbverfallene Häuser. Die städtischen Behörden sprechen von fünfzehn Gebäuden auf der Avenida de Liberdade, Lissabons Prachtstraße. Lissabon und Porto stehen an der Spitze der EU-Städte, die seit 1999 die meisten Einwohner verloren haben, und der Anteil der über 65-Jährigen ist mit 24 Prozent der Höchste in der EU.

Die Architektin Helena Roseta engagiert sich seit Jahren für eine bessere Wohnungspolitik. Im vergangenen Oktober wurde sie auf der Liste der sozialistischen Partei erneut in den Stadtrat gewählt. Sie verweist auf drei Gemeinsamkeiten im Stadtbild von Lissabon, Porto und Braga: Wohnungsleerstand, demografischer Rückgang, alternde Bevölkerung. Laut einer Zählung aus dem Jahr 2008 stehen in Lissabon 4000 der insgesamt 55.000 Gebäude der Stadt leer. "Ein Teil von ihnen profitiert bereits von einem städtischen Sanierungsprogramm. Aber andere können nicht mehr renoviert und müssen abgerissen werden", erklärt Manuel Salgado, ebenfalls Architekt und als Stadtrat zuständig für Stadtplanung.

Lästige Pendler

In den letzten 30 Jahren hat Lissabon alle zehn Jahre rund 100.000 Einwohner verloren, von 800.000 damals auf rund 500.000 heute. Salgado versichert uns, er habe den Grund für diese Abwanderung "haargenau identifiziert": "Die schlechte Qualität der lokalen Infrastrukturen (Kindergärten, Schulen, Gesundheitszentren), der Wunsch nach einem Eigenheim und in erster Linie die hohen Quadratmeterpreise in Lissabon, die dreimal höher liegen als in den umliegenden Gemeinden." Den offiziellen Zahlen der Stadt zufolge lebt ein Viertel der Lisboeten unterhalb der Armutsgrenze. Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger sind das eine Ende des Spektrums. Am anderen Ende findet man die Gutverdienenden, die sich ohne Schwierigkeiten eine Wohnung in der Innstadt Lissabons leisten könnten, es aber vorziehen in schickere Orte der Umgebung wie Estoril oder Cascais zu ziehen.

650.000 Menschen arbeiten in der Stadt, die nur 500.000 Einwohner zählt und von denen auch nur ein Viertel berufstätig ist, erklärt der Stadtrat. "Das bedeutet, dass Tag für Tag eine halbe Million Menschen in die Stadt hinein- und wieder herausfahren. Ein einmaliger Fall in Europa, vergleichbar nur mit Oslo. Es gibt hin dieser Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten mit den Großstädten der USA", erklärt der Geograph João Seixas. Die Folgen dieser täglichen Pendlerei sind dramatisch für die Stadt, die sich wie eine Lunge füllt und leert: Störungen, Staus, Umweltverschmutzung und Lärm. "Es gibt 162.000 registrierte Fahrzeuge in Lissabon, doch täglich kommen noch 400.000 in die Stadt, was nicht nur lästig ist, sondern auch nichts in die Kassen der Stadt bringt, da die Menschen ihre Steuern in anderen Kommunen bezahlen", bedauert Salgado.

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Hoffnungsschimmer Erasmus

Abends und am Wochenende ist Lissabon wie leergefegt. Manche Stadtviertel ähneln verlassenen Geisterstädten. In den zentraler gelegenen Vierteln, wo es zahlreiche leerstehende Gebäude gibt, fehlt es an einem ordentlichen Dienstleistungsangebot. Die Nachfrage ist gering, und somit das Angebot an Geschäften, Taxi und Bars ebenso. Die jungen Leute fliehen aus diesen Vierteln und ziehen lieber in entlegenere aber lebendigere Ecken. Eigentümer, Mieter und Stadtverwaltung schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Verschlechterung des Wohnbestandes zu. Die Ersten beklagen das Mietgesetz aus den fünfziger Jahren, verabschiedet während der Salazar-Diktatur, welches die Mieten lächerlich niedrig hält, was eine Finanzierung von Renovierungsarbeiten unmöglich mache.

Trotz des Verfalls des säkularen, majestätischen Lissabons, übt die Schönheit der Stadt der sieben Hügel am allgegenwärtigen Tejo immer noch einen starke Anziehungskraft auf ausländische Besucher aus. Die Stadt ist sich dieses Vorteils bewusst und hat ein Mittel gefunden, der Hauptstadt neues Leben einzuhauchen: das Erasmus-Programm. "Unser Ziel ist es, Lissabon zur Erasmus-Stadt zu machen", begeistert sich Manuel Salgado. Wenn man den kommunalen Statistiken Glauben schenken darf, kommen jährlich 3000 ausländische Studenten in die Stadt, und tragen schon jetzt dazu bei, den Wohnungsmarkt anzukurbeln. (js)

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