Tschechoslowakische Soldaten vor der Mauer, welche die Brücke zwischen Komarno und der ungarischen Namensschwester Komarom versperrte, als die Stadt geteilt war (1920).

Komarno, Stadt der Verbitterung

An der Grenze zwischen Ungarn und der Slowakei kristallisieren sich in dieser Stadt die Spannungen zwischen den beiden Ländern heraus. Das eine Land hegt nostalgische Gedanken an das verlorene Kaiserreich, das andere profiliert eine noch schlecht definierte Identität.

Veröffentlicht am 23 August 2010 um 15:05
Wikimedia Commons  | Tschechoslowakische Soldaten vor der Mauer, welche die Brücke zwischen Komarno und der ungarischen Namensschwester Komarom versperrte, als die Stadt geteilt war (1920).

In der kleinen, von Slowaken und Ungarn bevölkerten Donaustadt wird die Teilung der Einwohnerschaft durch vier Stelen und Statuen versinnbildlicht. Zwei Standbilder ehren Persönlichkeiten aus der ungarischen Geschichte, die anderen beiden würdigen die slowakische Vergangenheit. Doch alle vier gaben Anlass zu Vorfällen und zu Polemik. Das letzte wurde am 4. Juni errichtet. Fast heimlich. Von einer slowakischen, nationalistischen Partei. Das Ehrenmal, eine Art Obelisk, erinnert an den 90. Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon, bei welchem Ungarn im Jahr 1920 um ein Drittel verkleinert und die Tschechoslowakei gebildet wurde. Der Gedenkstein steht auf der Donaubrücke. Die Botschaft ist eindeutig: Hier beginnt die Slowakei. Für immer. In diesem kleinen Land mit 5,4 Millionen Einwohnern ist nationale Integrität kein Grund zum Spaßen.

Prekäre Ruhe

Komarno macht zwar oft Schlagzeilen in der Presse, doch beschäftigt sich die 40.000-Seelen-Stadt derzeit mehr mit den Folgen der Überschwemmungen von Mai und Juni als mit den politischen Streitereien. "Die Stadt ist ruhig. Die Aufgerührten laufen dreimal um den Block und gehen dann wieder nach Hause", sagt Zoltan Bara, Leiter einer europäischen Agentur für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Auf slowakischer Seite haben sie sich wieder beruhigt. Die slowakische nationalistische Partei SNS, die das Denkmal aufgestellt hat, ist seit den Juni-Wahlen aus dem Parlament gefallen, nachdem das seit vier Jahren machthabende populistische Team bekräftigt wurde. Auf ungarischer Seite ermisst man wahrscheinlich noch die verheerenden Auswirkungen einer der ersten Maßnahmen von Viktor Orbans Rechts-Regierung nach den Wahlen im April: Allen Minderheiten außerhalb Ungarns wird nun die ungarische Staatsangehörigkeit zuerkannt. Darunter auch den 600.000 Ungarn in der Slowakei.

In Komarno nahmen die Einwohner diese Maßnahme ungerührt zur Kenntnis. "Ein Pass? Ja, wozu denn? Das ist kein Einkommen, das ist noch nicht einmal ein Arbeitsversprechen", winkt Gabriela, eine 23-jährige Ungarin auf der Suche nach einer ersten Anstellung, ab. Viele Einwohner von Komarno überqueren bereits die Brücke, welche die Grenze zwischen den beiden Ländern verkörpert, um auf der anderen Seite, in der ungarischen Schwesterstadt Komarom zu arbeiten. Die meisten gehen zu Nokia, dem Hauptinvestor der Region. Dort steigen sie auch in den Zug nach Wien. Die Schengener Abkommen, denen die beiden Länder im Dezember 2007 beigetreten sind, haben die Grenzen verschwinden lassen. "Unter dem Kommunismus waren die Kontrollen streng. Die Leute gingen über die Grenze, um Wurst oder Nägel zu kaufen, kurz: Kleinhandel in einer Knappheitwirtschaft", erzählt Gabor, ein Spaziergänger am Fluss. Die Grenzhäuschen sind heute leer, doch die Autofahrer bremsen immer noch unwillkürlich ab, wenn sie an die Brücke kommen. Das einzige Anzeichen dafür, dass es hier eine Grenze gibt, ist eine Wechselstube, denn die Slowakei hat den Euro angenommen, doch Ungarn behält seinen Forint.

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Groll

Jeder geht durch – und darf auch durchgehen. Jeder oder fast... Letztes Jahr musste der ungarische Staatspräsident Laszlo Solyom umkehren. Die Einweihung eines Reiterstandbilds des Heiligen Stephan, des ungarischen Nationalheiligen, der im Jahr 1100 eine ungarischen Dynastie begründete, welche mehrere Jahrhunderte lang über die Slowakei herrschen sollte, fand ohne ihn statt. Die Initiative der Gemeinde Komarno, die einem ungarischen Bürgermeister untersteht – wie es sich für einen Ort mit einer zu 60 Prozent ungarischen Bevölkerung auch gehört – hatte Bratislava verärgert. Der Besuch war an einem 21. August geplant, dem Jahrestag des Einmarschs der Truppen des Warschauer Pakts, zu denen auch ungarische Soldaten gehörten, in die Tschechoslowakei. Dies diente als Vorwand für den slowakischen Groll. "Als ob die ungarischen Soldaten ganz von alleine in die Tschechoslowakei eingefallen wären", stichelt Zoltan Bara.

Nicht alles an dem immer wieder aufgewärmten Groll ist symbolischer Art. Gewiss ist da die Vergangenheit: die jahrhundertelange Beherrschung der Slowaken durch die Magyaren, die Vertreibung der ungarischen Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber auch eine unstabile Gegenwart: Die Rechtsregierung von Iveta Radicova, die auf den Populisten Robert Fico folgte, hat das von ihrem Vorgänger erlassene Gesetz über die Begrenzung der ungarischen Sprache immer noch nicht aufgehoben. "Diese Konflikte werden von den Politikern geschürt", verrät die Politologin Dagmar Kusa. Doch Meinungsforschungen zeigen, dass die jungen Leute "schon mehr Feindseligkeit verspüren". Es ist vielleicht nicht zu spät, den Trend umzukehren. Eine erste pluri-ethnische Partei, Most-Hid (das bedeutet „Brücke“: erst auf slowakisch, dann auf ungarisch), heimste im Juni in Komarno bei beiden Bevölkerungsgruppen viele Stimmen ein, auf Kosten der Nationalisten. (p-lm)

Diplomatie

Beginn der Entspannung

Am 22. August legte der ehemalige ungarische Staatspräsident László Sólyom am Fuß der Stephansstatue in Komarno einen Kranz nieder. Vor einem Jahr wurde er daran noch durch die slowakischen Behörden gehindert, wie die Prager Tageszeitung Lidové Noviny berichtet. Diese Entspannung ist das Resultat einer langen Arbeit von Seiten der führenden Politiker in beiden Ländern. "Durch guten Willen und unter der Führung der [neuen] Regierung unter Iveta Radičova haben Budapest und Bratislava zu einer Verständigungsbasis gefunden", heißt es weiter. "Die Zeiten ändern sich."

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