Die EU-Flagge wird auf dem Dublin-Castle gehisst. 31. Dezember 2012, einen Tag vor Beginn des irischen Ratsvorsitzes

Wozu eigentlich ein EU-Vorsitz?

Dublin hat am 1. Januar den im Turnus geführten Vorsitz der Europäischen Union übernommen. Doch die Institution ist aufgrund der Krise und der Machtentwicklung innerhalb der EU zu einer leeren Hülle geworden.

Veröffentlicht am 2 Januar 2013 um 17:26
Die EU-Flagge wird auf dem Dublin-Castle gehisst. 31. Dezember 2012, einen Tag vor Beginn des irischen Ratsvorsitzes

Alle sechs Monate dasselbe kleine Lied. Ein Land verlässt die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union und ein anderes tritt sie an. Die aus dem Amt Scheidenden gratulieren sich zu ihrer ausgezeichneten Arbeit und der neue „Präsident“ kündigt an, er werde sich bemühen, einen qualitativen Fortschritt in der europäischen Integration zu erlangen. Der Jahreswechsel 2012/2013 bildet bezüglich dieser Tradition keine Ausnahme.

Zypern hat die Bilanz seines sechsmonatigen Vorsitzes veröffentlicht.

„Unser Bestreben war es, die europäische Integration weiter voranzubringen, und ich glaube, die bedeutenden Ergebnisse unter unserem Vorsitz beweisen unseren Erfolg in dieser Hinsicht“, beglückwünschte sich Andreas Mavroyannis, der in der Entourage des zyprischen Präsidenten für europäische Angelegenheiten zuständig ist. Irland, das ab dem 1. Januar den EU-Vorsitz übernimmt, kündigt seinerseits bereits an, es wolle „das Wachstum und den Arbeitsmarkt fördern“.

All dies duftet schön nach Propaganda im alten Stil und nach der Phrasendrescherei, die Europa so gut beherrscht. Die Realität ist eine andere. Zunächst einmal kann man über die „Bedeutung“ der zyprischen Bilanz diskutieren, während doch die Diskussionen über den EU-Haushalt die Mitgliedsstaaten zerstritten haben, Großbritannien mit einem Austritt aus der EU droht, eine x-te Notlösung gefunden werden musste, die wieder nichts an der Eurokrise regelt, und schließlich die Bankenunion noch in den Kinderschuhen stecken bleibt.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Doch darin liegt die echte Frage nicht. Das wirkliche Problem liegt darin, dass die zyprische Präsidentschaft gar nichts dafür kann. „Ihre“ Bilanz, die hier zusammengefasst ist, gehört ihr nicht wirklich.

Deutschland hat das Sagen

Nikosia wird dabei nicht stärker in Frage gestellt als Kopenhagen oder Warschau vorher. Denn was hätte Zypern, das kleine Land mit 800.000 Einwohnern, das den Vorsitz der EU führte, während es mit eben derselben EU die Bedingungen für seine finanzielle Unterstützung aushandelte, schon alleine tun können? Was konnten Polen oder Dänemark, zwei Länder, die nicht zur Eurozone gehören, schon tun, um einer an ihrer Eurozone erkrankten EU „Impulse zu geben“? Und was wird Irland, das derzeit über einen Erlass von 60 Milliarden Euro Bankschulden bei der EU und der EZB verhandelt, schon tun können, um bei den restlichen 26 Ländern der Union seine Ansichten durchzusetzen?

Diese Fragenreihe könnte man fast unendlich fortsetzen. In einer EU in tiefster Krise wird jedes Land durch die Eurokrise blockiert sein. Eine Krise, die vor allem dem Hauptzahler der Union die Oberhand gegeben hat, nämlich Deutschland. Ein großer Teil der europäischen Politik wird heute in Berlin entschieden. Ganz einfach, weil ohne die Bundesrepublik nichts geht.

Gegenüber Deutschland können nur die großen Länder und die Institutionen wie die Kommission oder die EZB unter manchen Bedingungen noch mithalten. Frankreich und Spanien konnten Berlin zwar die Bankenunion auferlegen, aber Berlin setzte die Bedingungen fest: Rhythmus der Umsetzung und Ausmaß der betroffenen Banken. Großbritannien lässt Deutschland zappeln und erpresst es mit seinem eigenen Austritt aus der EU. Doch dieses Gegengewicht ist sehr begrenzt: Das Projekt der Kommission, den EU-Haushalt zum Ankämpfen gegen die Krise zu erhöhen, wurde infolge der deutschen Ablehnung aufgegeben und die französischen Versuche, eine „Wachstumsagenda“ durchzudrücken, waren nur von kurzer Dauer.

Man kann sich also schlecht vorstellen, dass Nikosia oder Dublin dem deutschen Steuerzahler ihre Sicht Europas auferlegen oder auch nur versuchen, der deutschen Regierung einen Kompromiss zu entreißen. Die europäische Politik ist heute demnach vorwiegend eine Politik zwischen Berlin und Brüssel.

Ratsvorsitz ist ein Luxuszuschauer

Doch, werden manche fragen, hat dieser wechselnde Vorsitz nicht eher die Aufgabe, Themen vorzubereiten, Impulse zu geben und Kompromisse zu begünstigen als wirklich die Union zu leiten? Das Problem dabei ist nur, dass der Turnus der Präsidentschaft sogar unter diesem Aspekt sehr formal geworden ist.

Seitdem 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist, wurde ein Präsident des Europäischen Rats eingeführt: heute der belgische Haiku-Liebhaber Herman van Rompuy. Seine Kompetenzen sind mit denen des wechselnden Vorsitzes durchaus vergleichbar. Nur hat er den Vorteil, dass er eine gewisse Konstanz und Kohärenz bei der Vorbereitung der europäischen Arbeiten bieten kann.

Er ist auch derjenige, der die Ratsabteilungen leitet, die alle Versammlungen orchestrieren. Die Handlungen des Rats werden also tatsächlich in Brüssel entschieden, selten in den vorsitzführenden Ländern. Dazu eine bezeichnende Tatsache: Seit 2004 finden die EU-Gipfel in Brüssel statt und nicht mehr wie früher in den Vorsitzländern.

Die Vertreter des vorsitzführenden Landes sind also eher Luxuszuschauer. Die Etikette gibt ihnen den Vortritt, doch sie erinnern heute an die byzantinischen Würdenträger, die man bei Hof achten musste, die jedoch keinerlei Macht hatten. Jedes Kommuniqué des Rats lobt die Arbeit und die Bemühungen des Landes, das gerade den Vorsitz der EU innehat. Doch das ist offensichtlich eine reine Formsache.

Letztendlich ist der turnusmäßige Vorsitz zu einer Art Vitrine geworden, die es den Ländern ermöglicht, sich besser bekannt zu machen. Er bietet die Gelegenheit, schöne Websites vorzustellen, die die Verdienste der Nation würdigen (die des irischen Vorsitzes enthält ein sehr vollständiges Kochbuch mit irischen Rezepten) oder die touristischen Vorzüge des Landes preisen (wie es Zypern tut). Schön und gut, wenn das ein paar Touristen anzieht. Doch dafür gibt es andere Institutionen, wie etwa die „europäischen Kulturstädte“. Sollte man in den heutigen schweren Zeiten nicht erwägen, auf eine überflüssige Institution zu verzichten?

Aus Dublin

Erholung über alles

Für Suzanne Lynch, die Europakorrespondentin der Irish Times, ist der Beginn Irlands neuer Funktion der Startschuss für „sechs Monate intensiver EU-Aktivität in Dublin“. Sie beobachtet, dass während dieses siebten irischen Vorsitzes die – für frühere Perioden der EU-Geschichte typische – optimistische Stimmung in Kontrast zur vorherrschenden Resignation steht. Weiter schreibt sie:

Heute wird Europa von Unstimmigkeiten und Unruhen erschüttert, während es verzweifelt versucht, eine Antwort auf die Finanzkrise zu finden. Trotz der erklärten Absicht der Regierung, während ihrer Präsidentschaft „Stabilität, Arbeitsplätze und Wachstum“ zu fördern, wird das dominierende Element in Wirklichkeit wohl eher die Frage der Schuldenschnitte sein, und dabei insbesondere der Vorschlag, die Konditionen für die Schuldverschreibungen der Anglo Irish Bank umzugestalten, da diese wieder ganz an den Anleihenmarkt zurückkehren und aus dem IWF-EU-Rettungsprogramm austreten will.

Innerhalb dieser sechs Monate wird es die Hauptaufgabe der Regierung sein, die Gesetze durch die Ministerräte zu führen, insbesondere die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Weiter schreibt Lynch:

Wie der Staat nun seine Inlandspolitik mit seiner Verantwortung gegenüber dem übergeordneten europäischen Wohl vereinbart, die diese Funktion erfordert, das könnte zum definierenden Element dieser Präsidentschaft werden.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema