Gefahr! Euroskeptiker füttern verboten! Angela Merkel, Barack Obama und David Cameron.

Verlorene Illusionen über Europa

In seiner für Freitag angekündigten Rede über Europa muss Premier David Cameron die euroskeptische Stimmung in der konservativen Partei berücksichtigen, aber vor allem für das ganze Land sprechen, und Großbritannien in Europa halten.

Veröffentlicht am 14 Januar 2013 um 15:37
Gefahr! Euroskeptiker füttern verboten! Angela Merkel, Barack Obama und David Cameron.

Großbritannien ist seit langem nur widerstrebend europäisch. Seit seinem Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, vor 40 Jahren, ist seine Mitgliedschaft von irrigen Mutmaßungen und verpassten Gelegenheiten geprägt.

Die aufgewühlte Beziehung Großbritanniens hängt mit Kultur, Geographie und Geschichte zusammen. Großbritannien ist eine post-imperiale Macht, die anderen englischsprachigen Ländern, insbesondere den USA, sehr verbunden ist. Das gegenseitige Unverständnis zwischen Großbritannien und Europa läuft auf grundlegend unterschiedliche Einstellungen hinaus: Das Vereinigte Königreich betrachtet die Mitgliedschaft im Klub als eine rein wirtschaftliche, wogegen die Gründerstaaten Frankreich und Deutschland die Europäische Union als ein politisches Projekt sehen, dass aus der Asche des Zweiten Weltkriegs entstand.

Diese Spaltungen haben infolge der Krise in der Eurozone noch zugenommen. Europas Antwort war anfänglich zwar schwankend, doch seither hat die Illusion abgenommen, die kontinentale Auffassung einer „immer engeren Union“ sei nur ein verrücktes Hirngespinst aus Brüssel. Angesichts des Zusammenbruchs des Euro sind die Argumente für eine stärker integrierte Wirtschaftsregierung heute in allen europäischen Hauptstädten allgemein anerkannt, auch in London.

Deutschlands Aufstieg

Die zweite Entwicklung nach der Krise ist der – beabsichtigte oder auch unbeabsichtigte – Wiederaufstieg Deutschlands als dominierender Entscheidungsträger in Europa. Deutschlands Emporkommen hat einen Punkt erreicht, bei dem andere Mitglieder es nicht wagen, seine Verordnungen in finanzpolitischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu blockieren, aus Furcht, die „Berliner Republik“ könne der Rettung der Eurozone ihre Unterstützung entziehen.

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Für die absehbare Zukunft betrifft die Spaltung der EU also nicht nur die Trennung zwischen denjenigen, die zum „Kern“ der Eurozone gehören, und den anderen, sondern auch die zwischen den starken nordeuropäischen Geldgebern, angeführt von Deutschland, und den schwachen südeuropäischen Schuldnern, zu denen Zypern, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien gehören.

Das ist der geopolitische Hintergrund zu David Camerons lange hingezogener Rede über Europa. Ihre verspätete Auslieferung bezeugt die komplexen Themen, die auf dem Spiel stehen.

Unsere Zeitung hat immer für eine britische Mitgliedschaft in der EU argumentiert und wir glauben auch weiterhin daran, dass sie von zentraler Bedeutung für das nationale Interesse ist. Unsere Gründe gehen über eine rein wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung hinaus. Sie befassen sich auch mit Großbritanniens Platz in der Welt.

Die grenzübergreifenden Vorteile

Die EU-Mitgliedschaft verleiht dem Land Einfluss auf den größten globalen Markt. Sie trägt dazu bei, die besondere Beziehung zu den USA zu erhalten. Sie verstärkt die Führungsrolle Großbritanniens innerhalb einer Welt, in welcher sich die wirtschaftliche Macht zunehmend nach Osten verlagert.

Die Vorteile sind grenzübergreifend. Dank des europäischen Binnenmarkts können die britischen Staatsbürger in ganz Europa leben, arbeiten, reisen und studieren. Die Erweiterung der EU nach Süden und Osten hat in Spanien, Portugal und Griechenland die Demokratie gefestigt und im ehemals kommunistischen Mittel- und Osteuropa Frieden und Wohlstand bewirkt.

Nichtsdestoweniger ist die EU von heute eine ganz andere als diejenige, der Großbritannien 1973 beitrat oder für die es stimmte, als die Briten 1975 zum letzten Mal die Gelegenheit hatten, ihre Meinung in einem Referendum auszudrücken.

Die von der EU erwogenen Reformen zur Stützung der gemeinsamen Währung, wie etwa eine Bankunion und ein separater Haushalt für die Eurozone, werden noch weitere tiefgreifende, unwiderrufliche Änderungen bewirken. Es entstände dadurch ein neuer, eng integrierter Kern, dem Großbritannien vielleicht niemals angehören will und der letzten Endes einen maßgeblichen Einfluss auf die Teile der EU ausüben könnte, die die Briten am meisten schätzen, wie den Binnenmarkt.

Unternehmerfreundliches Lager geschwächt

Was sollte Cameron also jetzt tun und – ebenso wichtig – nicht tun? Der Premierminister muss zunächst eine vernünftige Herangehensweise annehmen, die auf dem nationalen Interesse beruht. Ganz offensichtlich muss er die euroskeptische Stimmung auf den Hinterbänken der konservativen Partei dabei berücksichtigen, aber er sollte sich nicht überwältigen lassen. Er sollte es vermeiden, die Wahrung bestehender Rechte mit einer zukünftigen Rückführung von Kompetenzen zu verwechseln. Und vor allem sollte er für das Land sprechen, nicht für seine Partei.

Ebenso sollte er in der EU eine führende Haltung einnehmen, wie es Margaret Thatcher zu den Themen des Binnenmarkts und der Erweiterung getan hat. Großbritannien ist ein schwieriges, aber geschätztes Mitglied im EU-Klub. Es kann – und muss – Verbündete suchen. Die Briten können auf dynamische, unternehmensfreundliche Reformen drängen, wie sie es seit der Entstehung des Binnenmarkts getan haben. Die Finanzkrise hat das unternehmerfreundliche Lager geschwächt, doch es wird wieder Oberwasser gewinnen, vor allem wenn sich die EU ernsthaft daran macht, gegen ihr schwaches Wachstum vorzugehen.

Die Briten sollten auch die EU-Kommission als den notwendigen Schiedsrichter unterstützen, der die Regeln des gemeinsamen Markts durchsetzt und die Handelspolitik leitet. Hier liegt ein natürliches Bündnis mit Deutschland nahe, das gegen jeden Schritt ist, der im Namen der Stärkung der Eurozone den gemeinsamen Markt unterhöhlen könnte.

Es gibt auch Dinge, die Cameron auf keinen Fall tun sollte. Er hat darauf bestanden, der Preis einer stärkeren Integration müsse die Lockerung der Bindung zwischen Großbritannien und seinen EU-Partnern sein. Seine Rede könnte durchaus ein Versuch sein, die neuen Bedingungen zu verdeutlichen.

Großbritannien ist nicht die Schweiz

Doch er darf keine falschen Hoffnungen wecken: Andere Mitgliedsstaaten werden nicht einverstanden sein, dass Großbritannien am gemeinsamen Markt teilnimmt, ohne seine Grundregeln und Prinzipien zu akzeptieren. Ebenso wird seine Androhung eines Vetos gegen Vertragsänderungen, die doch für die Absicherung des Euro unerlässlich sind, als Erpressung angesehen werden. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich ein katastrophaler Zusammenbruch der Beziehungen.

Schließlich sollte Cameron seinen Mitbürgern nicht die Gelegenheit geben, Fantasiegebilden nachzugehen. Es ergibt für Großbritannien keinen Sinn, einen Status anzustreben, den Norwegen oder die Schweiz innehaben. Beide Länder müssen die Regeln des Klubs akzeptieren, während sie bei ihrer Erstellung nicht mitreden können. Für Großbritannien wäre diese Position unerträglich. Sie würde bestimmt zu einem Austritt führen.

Das nationale Interesse könnte durchaus vorgeben, dass Cameron – oder eine zukünftige Regierung – die Beziehung zwischen Großbritannien und einem neuen, von Deutschland und Frankreich angeführten Block festschreibt. Dies sollte einem Referendum auf der Basis des „in or out“ (drinnen oder draußen) unterbreitet werden. Doch bis Cameron die Bedingungen des neuen Abkommens der Eurozone kennt, sollte er die grundlegenden Prinzipien erklären, die auf dem Spiel stehen – und die Nerven behalten.

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