Einwanderer auf der Suche nach Wiederverwertbarem. Athen, Mai 2012.

Die Flucht der Einwanderer

Ohne Aussicht darauf, sich ihren Lebensunterhalt verdienen zu können, wollen immer mehr Migranten außereuropäischer Herkunft in die Heimat zurück. In einer Beratungsstelle in Athen erzählen sie von ihrer Verbitterung und vom Misserfolg, den für sie ihre Heimkehr darstellt.

Veröffentlicht am 28 Januar 2013 um 12:09
Einwanderer auf der Suche nach Wiederverwertbarem. Athen, Mai 2012.

„Wir werden von ihrem Land nur das Beste in Erinnerung behalten. Wir werden an die Griechen denken, die uns geholfen haben und uns nicht wie Feinde behandelt haben. Dennoch gehen wir, denn wir verdienen nicht mehr genug zum Überleben“: Die Einwanderer, die wir in einem Zentrum der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Süden der Hauptstadt Athen antreffen, stellen Anträge auf freiwillige Rückkehr.

Zugleich ziehen sie von ihrem Aufenthalt in Griechenland Bilanz. Die meisten sagen, sie seien vor Jahren mit Angst und Hoffnung gekommen. Und dass sie nun mit der Angst im Bauch zu alten Kapiteln ihres Lebens zurückkehren würden, die sie schon lange hinter sich gelassen haben.

„Griechenland das Wunderland“

Nouroul Astoutik ist 23. Sie wirkt hilflos, wenn sie sagt, dass sie Griechenland für den Irak verlassen wird. Die junge Indonesierin hat drei Jahre in unserem Land verbracht, wo sie als Haushaltshilfe arbeitete. Ihr Verlobter, Iahia Awantin, 33, kommt aus dem Irak. Für ihn war „Griechenland das Wunderland“, als er 2004 ankam, um auf dem Bau zu arbeiten. Jahrelang lief alles gut. Bis zu dem Tag, als man begann, die Löhne zu kürzen und die Behörden seinen Asylantrag ablehnten.

Die beiden Muslime Iahia und Nouroul haben vor einem Monat in einer der vielen improvisierten Moscheen Athens geheiratet. Eine Union im Namen Gottes und der muslimischen Gemeinde, die aber auf keinem offiziellen Dokument festgehalten ist. „Wir können nicht bleiben, weil es keine Arbeit mehr gibt. Wir bekommen nicht einmal die Papiere, um ordentlich heiraten zu können“; sagt uns Iahia. „Nein, ich will Griechenland nicht verlassen, aber ich habe keine Wahl. Wir gehen in den Irak, und dann sehen wir weiter.“

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In der Krise werden die Menschen härter

Tag für Tag warten Dutzende von Migranten in der IOM-Anlaufstelle auf ihre Dokumente für die Rückführung. Und jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen. „Die Griechen sind nett, gastfreundlich. Doch ist die wirtschaftliche Situation schwierig, und da werden die Menschen härter“, sagt David Abbas, 26, der aus Pakistan nach Griechenland gekommen ist.
4000 Euro hat er „dem Schleuser gezahlt, der sich um seine Ankunft gekümmert hat.“

„Ich habe einen Abschluss in Business-Management und eine umfangreiche Erfahrung bei der Reparatur von Computern“, sagt er auf Englisch. In Griechenland hat er hauptsächlich auf Bauernhöfen gearbeitet: „Ich habe in Skala auf dem Peloponnes gelebt. Ich bin nach Athen gekommen, um meine Papiere abzuholen und nach Hause zu reisen. Es gibt keine Arbeit mehr, und ich weiß nicht, was ich sonst machen soll“, erklärt er.

Da ruft ihn ein Landsmann zu Hilfe, der Verständigungsschwierigkeiten mit dem Sachbearbeiter hat. „Er will nach Hause, spricht aber weder Griechisch noch Englisch“, sagt David und fügt hinzu: „Ich werde Griechenland nie vergessen, trotz aller Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, die ich erlebt habe,... vor ein paar Monaten wurde ich auf dem Viktoria-Platz angegriffen. Mein Vater fleht mich täglich an, ich solle nach Hause kommen. Er ist schon alt. Er kann jederzeit sterben, und ich habe Angst, dass ich ihn nicht mehr lebend sehen werde.“

14.000 Rückkehrwillige seit Ende 2010

Sar Ibrahim, 24, kommt aus Senegal, ein Land, von dem die meisten Griechen nicht einmal wissen, wo es sich auf dem Globus befindet. In den fünf Jahren seines Aufenthalts, sagt er, sei es ihm nicht gelungen, Freundschaften mit Griechen zu knüpfen. „Die einzigen Griechen, mit denen ich zu tun hatte, waren die Bauern, für die ich arbeitete. Selbst mit denen gab es kaum Kommunikation“, erzählt er. „Ich arbeitete in den Olivenhainen. Heute habe ich kein Geld mehr, denn das, was ich in den letzten Jahren verdient habe, ist für meinen Lebensunterhalt draufgegagen, seitdem ich keinen Job mehr habe.

Ich habe Angst um mich, meine Zukunft und um meine Familie, dennoch werde ich Griechenland verlassen.“
Seit Ende 2010 sind bei der IOM in Griechenland 14.000 Anträge auf Rückführung eingegangen. Tag für Tag, besonders in letzter Zeit, warten Dutzende von Menschen in den Räumen.

Wachsende Zahl von Übergriffen

Nach Angaben der Behörden, sind die Gründe derjenigen, die repatriiert werden wollen, vor allem auf die wachsende Arbeitslosigkeit und auf die Schwierigkeiten, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, zurückzuführen (was es ihnen unmöglich macht, in ein anderes EU-Land zu gehen). Und auf die wachsende Anzahl von Übergriffen.

2012 haben 6324 Menschen Griechenland im Rahmen des Rückführungsprogramms verlassen. In Norwegen hingegen verließen nur 800 Personen das Land mit der finanziellen Unterstützung der Regierung. Der Großteil der Heimkehrer kommt aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch oder Irak. 360 von ihnen nehmen an einem Programm teil, das ihnen hilft, ein Geschäft zu eröffnen oder eine Ausbildung zu machen, um in der Heimat Fuß fassen zu können. (js)

Italien

Weiter Richtung Norden

Auch in Italien verlassen tausende von Immigranten das Land. Sie haben durch die Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren. Einige kehren in ihre Heimat zurück. Doch die meisten möchten in Europa bleiben und machen sich auf in den Norden.

So berichtet La Repubblica in einer Reportage aus Treviso im Nordosten des Landes: „Arbeiter, aber auch Unternehmer, die Kredite für ihre Wohnung oder für ein konkretes Projekt aufgenommen haben“ hätten eine präzise Vorstellung von ihrer Zukunft:

[Sie wollen] für immer in Italien bleiben. Zurück nach Marokko oder Bangladesh soll es nur in den Ferien gehen. Um die Familie zu besuchen und allen zu zeigen, dass ihre Firma floriert. […] „Viele von ihnen haben ihre Arbeit in der Fabrik verloren oder mussten ihr Kleinunternehmen schließen. Sie kehren in ihre Heimat zurück, bevor sie die Ersparnisse ihres gesamten Lebens aufgebraucht haben. Manche suchen eine rosigere Zukunft im Ausland“, erklärt ein marokkanischer Kulturvermittler. „In Frankreich, Deutschland, Holland und Belgien gibt es noch einen großen Sozialversicherungsschutz. Man bekommt einiges an Geldern, um eine Wohnung und eine Arbeit zu finden.“ Einem freiwilligen Helfer zufolge ist es für die „Kinder und Jugendlichen am Schlimmsten. Sie müssen ihre Schule verlassen, um in das Land der Eltern zu ziehen, das sie nie gesehen haben”.

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