Crowdfunding: Die Zukunft des Bankwesens

In der Krise vergeben Banken immer weniger Darlehen. „Peer-to-Peer“-Darlehen füllen jetzt die Lücke und bieten dringend benötigte Finanzierungen für Kleinunternehmen und bessere Erträge für Investoren. Das Geschäftsmodell boomt in den baltischen Staaten.

Veröffentlicht am 8 Februar 2013 um 12:19

Ich habe angefangen, wildfremden Menschen Geld zu leihen – und zwar vielen von ihnen. Ich bin weder verrückt noch reich noch ein Philantrop. Die Darlehen sind winzig. Die Absicherung ist gut. Bis jetzt zahlen mir die Schuldner alles zurück und ich mache einen bequemen Gewinn. Besser noch, ich habe das Gefühl, ich bin Teil einer Revolution, die den westlichen Kapitalismus retten könnte. All das spielt sich in Estland ab.

Das Bankwesen ist die größte Schwäche der Wirtschaft. Es hat knickerige Anlageprodukte mit hohen Gebühren und überteuerte Kredite mit fiesen versteckten Kosten zu bieten. Vermittler machen kolossale Gewinne, vor allem wenn sie gierig und rücksichtslos sind. Wenn die Dinge dann schief gehen, was sie zwangsläufig tun, übernimmt der Steuerzahler die Rechnung. Aber davon abgesehen funktioniert es gut.

Alternativen sind also begrüßenswert, wie zum Beispiel die Peer-to-Peer-Krediteinrichtungen, die einen direkten Kontakt herstellen zwischen denen, die Geld brauchen, und anderen, die solches im Überfluss haben (die Einrichtungen selbst verdienen an der Gebühr, die sie für die Vermittlung berechnen). Zopa, eine britische P2P-Einrichtung, hat seit ihrem Start im Jahr 2005 insgesamt 260 Millionen Pfund (310 Mio. Euro) an Krediten vergeben.

Kredite gab es für 50 Prozent

Isepankur (das bedeutet „Selbstbanker“ und kling wie „Easy-Banker“) bietet ein besseres Geschäft, denn es vergibt Darlehen in Ländern, in welchen das Bankensystem weniger entwickelt ist. Esten (auch diejenigen mit einer guten Bonität) zahlen normalerweise 50 Prozent für ein nicht abgesichertes „Einstiegsdarlehen“. Isepankur gibt mir und anderen Außenstehenden die Gelegenheit, ihnen zu weit niedrigeren Zinssätzen Geld zu leihen – 28 Prozent ist dabei die Norm.

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Das ist ein gutes Geschäft: Die besten Erträge, die ich für Anlagen in britischen Banken bekommen kann, liegen unter drei Prozent (und von dem mageren Gewinn geht die Hälfte auch noch für Steuern ab).

Isepankur öffnete Ende letzten Jahres auch für nichtestnische Investoren. Ich schickte eingangs erst einmal ein paar hundert Euro – und erhielt sofort einen Anruf von der Geschäftsleitung. Das war beeindruckender Kundenservice. (Seitdem habe ich dazu beigetragen, die englische Fassung der Website auszuformulieren).

Viele kleine Kreditgeber

Die potentiellen Darlehensnehmer müssen die Darlehensgeber von ihrer Kreditwürdigkeit überzeugen. „Tanelvakker“ zum Beispiel ist ein Telekom-Ingenieur, der seine Wohnung renovieren wollte. Dazu wollte er 2600 Euro für 36 Monate zu 12 Prozent aufnehmen. Er ist alleinstehend mit einem monatlichen Einkommen von 2500 Euro. Die Rückzahlung von Kapital und Zinsen sollte 86 Euro betragen. Ich sah mir seine anderen Ausgaben an (ein Immobilien- und ein Autokredit sowie eine Kreditkarte) und dachte mir, er könne sich das durchaus leisten. Also lieh ich ihm zehn Euro. Dutzende von anderen taten dasselbe. Er leistet eine monatliche Zahlung an Isepankur – die das Geld dann unter uns aufteilt. Wenn ein Kreditnehmer nicht mehr zahlt, verkauft Isepankur die Anleihe an eine Inkassoagentur.

Die Konkurrenz treibt die Kosten für das Darlehen nach unten. Schuldner mit geringen Risiken zahlen weniger. „Akiraam“ (eine Sekretärin mit 600 Euro pro Monat) wollte 200 Euro für einen Sprachkurs in Finnisch. Sie war bereit, 28 Prozent zu zahlen, musste dann aber nur 12 Prozent zahlen, weil sich die Kreditgeber überschlugen. Riskante Kreditnehmer haben es schwerer – oder zahlen mehr: Die Geldgeber können ihnen online auf den Zahn fühlen. Wenn sie unzulängliche (oder gar keine) Antworten geben, dann büßen sie an Glaubwürdigkeit ein.

Mein gutes Geschäft

Manche Kreditnehmer werden tatsächlich zahlungsunfähig: durchschnittlich drei Prozent, wie Isepankur angibt. Doch die Zinssätze, die die anderen zahlen, machen den Ausfall mehr als wett. Bis jetzt sind drei meiner Darlehen ein bisschen in Verzug – doch das Geld von den guten Zahlern rechnet das bei weitem auf.

Mein durchschnittlicher Nettoertrag liegt (wie für die meisten Isepankur-Kreditgeber) bei rund 17 Prozent. Bis jetzt habe ich 1570 Euro an etwa 50 Kreditnehmer verliehen, in Beträgen zwischen fünf und 25 Euro. Ich habe 60 Euro zurückgezahltes Kapital und 24 Euro an Zinsen zurückbekommen, sowie 0,06 Euro „Strafgeld“ (mein Anteil an einer kleinen Mahngebühr, die ein Kreditnehmer namens „Lillekas“ begleichen musste, weil er ein paar Tage zu spät gezahlt hatte).

Isepankurs Kosten sind niedrig: Sie dienen vor allem der Betreibung der Website und der Werbung. Das Unternehmen ist immer noch winzig. Vielleicht ist es zu neu und zu anders. Aber ich erinnere mich daran, als dasselbe von einer anderen estnischen Erfindung gesagt wurde: Skype.

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