Plakate der irischen Kampagne vor dem Referendum über den Vertrag von Lissabon, 2008

So zockeln wir nach Lissabon

Irland wird im Herbst ein zweites Mal über den Vertrag von Lissabon abstimmen. Will man nun den "Nein-Sagern" den Wind aus den Segeln nehmen, die weiterhin gegen den negativen Einfluss einer Ratifizierung auf Verteidigung, Steuern und Abtreibung wettern, müsse man nun die EU-Fakten von der EU-Fiktion trennen, meint Peter Murtagh in der Irish Times.

Veröffentlicht am 22 Juni 2009 um 16:56
Plakate der irischen Kampagne vor dem Referendum über den Vertrag von Lissabon, 2008

Wir sind nun, so scheint es, auf dem aufreibenden, weitschweifigen und doch so wichtigen Weg zur irischen Unterzeichnung des Lissabonvertrags bei der letzten Etappe angelangt. Was mögen unsere EU-Partner nur von uns halten? Es ist schwer, der Folgerung zu widerstehen, dass wir uns ganz schön aufgeblasen haben. Manche betrachten uns wahrscheinlich als verzogene Göre, von der sie eigentlich dachten, sie sei zu einem klugen, erfolgreichen Erwachsenen herangereift, – und der sie jetzt dabei zusehen müssen, wie sie wieder in die Trotzphase verfällt.

Wir haben ihnen jetzt eine "Entscheidung" des Europäischen Rats abgenötigt, die einfach nur das mitteilt, was alle sowieso schon wussten – nämlich, dass der Lissabonvertrag nichts mit Abtreibung zu tun hat, sich in keiner Hinsicht auf unser Steuersystem auswirkt und nichts an unseren Verteidigungsstrategien (und der irischen Neutralität – Anm. d. Redaktion) ändert. Überhaupt brauchen wir in Verteidigungsangelegenheiten wegen Lissabon nichts zu ändern. Wir müssen an nichts teilnehmen, wenn wir dies nicht selbst wollen. Es gibt keine europäische Armee, es wird auch in Zukunft keine geben und es wird auch niemand in diese nichtexistente europäische Armee eingezogen.

Aber natürlich macht das alles für die "Antis", die schon wenige Minuten nach dem EU-Gipfelbeschluss am Freitag ablehnende Erklärungen ausposaunten, nicht den geringsten Unterschied. Die EU und die Regierung "beschwindeln die Medien und die Öffentlichkeit", behauptet die prunkvoll betitelte National Platform, die im Wesentlichen das Sprachrohr eines einzigen Mannes ist, nämlich des gefürchteten Anthony Coughlan. Die legalen Garantien seien eine Übung in "kreativer Manipulation, mit der Absicht, die Öffentlichkeit irrezuführen", so Patricia McKenna, die bei der Wahl zum EU-Parlament letzte Woche leer ausging.

Die Front der Neinsager weist disparate Gruppen auf, deren Mitglieder sich weitgehend überschneiden, was darauf hindeutet, dass der Lärmpegel nicht im Verhältnis zur Anzahl der beteiligten Personen steht. Der Kommentar der einstmaligen Grünen McKenna wurde von Pana, der Peace and Neutrality Alliance, herausgegeben. Pana sieht sich selbst als Hüter der wahren irischen Neutralität und listet auf seiner Website 26 Mitglieder auf. Dazu gehören z.B. die Celtic League und das Irish El Salvador Support Committe, dessen Website im Oktober 2002 zum letzten Mal aktualisiert wurde. Ebenso die Ireland Algerian Solidarity Group, auf deren Website zwei heute verstorbene irische Parlamentsmitglieder als Anhänger angegeben sind. Dann gibt es da noch die Cuba Support Group, Citizens in Defence of Neutrality, die Communist Party of Ireland, die Irish Missionary Union, Women in Media and Entertainment, die Sinn Féin und die Grüne Partei.

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Das Argument ist folgendes: Die Personen, die sich in Gruppen wie Pana engagieren, sind zweifellos sehr motiviert. Doch repräsentieren sie auch die Mehrheit des irischen Volkes? Liegen ihre Anti-EU-Ansichten im besten Interesse der Iren? Die Zeit wird es zeigen, aber ich denke, es ist nicht so. Diese Woche startet das Außenministerium die Website www.eumatters.ie, die dazu beitragen soll, EU-Facts von EU-Fakes zu unterscheiden. Das wurde aber auch Zeit!

ZUGESTÄNDNISSE

Iren öffnen die Büchse der Pandora

Die Einführung von Sondergarantien für Irland in den Vertrag von Lissabon könnte die Büchse der Pandora sein, so warnt Mariusz Staniszewski in der Tageszeitung Polska. Bald werden andere Mitgliedsstaaten mit ihren eigenen Forderungen Schlange stehen. Brüssel hat sich einverstanden erklärt, Irlands Recht auf eine unabhängige Steuerpolitik, auf seine Neutralität und auf die Aufrechterhaltung seiner restriktiven Abtreibungsgesetze in den Vertrag mit aufzunehmen. Weiter wird Irland ein ständiger Vertreter in der EU-Kommission zugesichert. "Warum sollten die Tschechen, die Niederländer oder die Polen jetzt nicht ähnliche Forderungen stellen?" fragt der Berichterstatter der Polska. EU-Beamte, die um jeden Preis auf eine zweite irische Volksabstimmung über den Lissabonvertrag drängen, spielen seinen Gegnern nur in die Hände, meint er. Wenn die irischen Sonderregelungen erst einmal bekräftigt sind, wird sich zu Recht die Frage stellen, ob es sich um dasselbe Dokument handelt, das die Parlamente der Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. In Tschechien hat die Debatte diesbezüglich bereits begonnen, und in anderen Ländern könnte es bald ebenso sein. "Das wirft folglich die Frage auf, ob Polen die Situation nutzen und für sich selbst ein paar Sonderbedingungen heraushandeln soll, oder ob es sich als guter EU-Mitgliedsstaat verhält, der von einer effizienteren EU träumt", so schließt der Kommentator der Polska.

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