Arbeitsagentur in Madrid, 2009.

Warum die EU keine Arbeitsplätze schafft

Europäische Länder glänzen mit traumhaften Produktivitätsraten, scheitern aber daran, Jobs zu schaffen. Das liegt an Standortverlagerungen, aber auch an einem zu strengen Arbeitnehmerschutz, erklärt The Independent.

Veröffentlicht am 22 September 2010 um 13:54
Arbeitsagentur in Madrid, 2009.

Arbeitslosigkeit ist die Heimsuchung der EU. Viele Aspekte der europäischen Wirtschaft in den letzten 50 Jahren waren von Triumph gekrönt: erhöhter Lebensstandard, gute Arbeitsbedingungen, hohe Produktivität und gute Freizeitvorkehrungen. Im weltweiten Vergleich ist sie allgemein eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, denn zu ihr gehört das Land, das bis letztes Jahr in der Ausfuhr von Waren führend war, nämlich Deutschland – heute an zweiter Stelle hinter China. Frankreich ist nicht nur das erste Touristenziel der Welt, es besitzt auch die weltweit höchste Stundenproduktivität. Italien zeichnet sich im Handwerk aus, Skandinavien in der Telekommunikation usw.

Europa ist also durchaus wettbewerbsfähig. Es ist nur bei der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht besonders gut. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, gemessen an anderen hoch entwickelten Ländern: Mit durchschnittlich zehn Prozent liegt sie in der Eurozone höher als in Großbritannien, Kanada, Australien, Japan und sogar ein bisschen höher als in den USA. Sie ist auch anhaltend. So lag etwa die durchschnittliche Arbeitslosenrate in Frankreich zwischen 1995 und 2005 bei 10,6 Prozent.

Der Zweiklassenarbeitsmarkt: Befristete und unbefristete Verträge

Weiter liegt das Beschäftigungsniveau (das heißt der Anteil der Erwerbsfähigen, die tatsächlich beschäftigt sind), mit der Hauptausnahme Skandinavien, relativ niedrig. Eines der Ziele des Lissabon-Vertrags, die ab 2000 in Angriff genommen wurden, um die EU als Wirtschaftsmacht effizienter zu gestalten, war die Erhöhung der Beschäftigungsgrade. Doch die Ergebnisse waren schon vor der Rezession enttäuschend.

Die Arbeitslosigkeit in Europa ging zwar während des konjunkturellen Hochs zurück, doch der Verlauf war uneinheitlich. Schlimmer noch, viele der neuen Arbeitsplätze waren befristet, wodurch ein Zweiklassenarbeitsmarkt entstand. Ältere Arbeitnehmer waren "Insider" mit einem hohen Schutz durch das Arbeitsrecht und mit sehr guten Rentenansprüchen. Jüngere Arbeitnehmer waren "Outsider", viele von ihnen nicht in der Lage, feste Anstellungen zu finden, und somit dazu gezwungen, mit Kurz- oder Teilzeitverträgen zu jonglieren. Manche Länder waren zwar in der Lage, Teilzeitarbeiter effizient zu nutzen – hier zeichneten sich die Niederlande aus –, doch in anderen wurden viele junge Leute vom Vollzeitarbeitsmarkt ausgeschlossen.

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Kern des Problems: wohlgemeinte Arbeitsgesetze

Warum wurde dies zugelassen? Es gibt eine kurze, brutale Erklärung, wenn auch eine unvollständige: Eine wohlgemeinte Arbeitsgesetzgebung, die die Rechte der bereits beschäftigten Arbeitnehmer schützen sollte, untergrub die Bereitwilligkeit und Fähigkeit der Arbeitgeber, neue Arbeitsplätze zu schaffen. So gelang es Ländern mit schwächerem Arbeiterschutz – Großbritannien ist da ein gutes Beispiel – besser, Arbeitsplätze zu generieren. (In den letzten drei Monaten wurden bei uns, trotz der zunehmenden Zahl von arbeitslos gemeldeten, 300.000 Arbeitsplätze geschaffen; in der EU gar keiner.)

Doch das ist nicht die ganze Antwort. Ein Teil des Problems liegt darin, dass Arbeitsplätze in einer immer globaleren Welt nach Indien oder China ausgelagert werden können. Äußerst hoch qualifizierte Arbeitskräfte sind immer sehr gefragt, und manche weniger qualifizierte Arbeiten müssen körperlich vor Ort ausgeführt werden. Doch dazwischen gibt es eine ganze Bandbreite von verschwindenden Arbeitsplätzen. Qualifikationen und Chancen aufeinander abzustimmen war immer schon eine schwierige Aussicht. Manche europäischen Länder finden es schwieriger als andere.

Dann kam die Rezession. Einige Teile Europas wurden gut damit fertig: Deutschland, Schweden. Für andere war die Rezession eine Katastrophe: Spanien hat 20 Prozent Arbeitslose. Und obwohl die europäische Wirtschaft insgesamt in den letzten Monaten ein Wachstum verzeichnete, ist klar, dass eine Erholung alles andere als sicher ist.

Übersetzung: Patricia Lux-Martel

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