Drehkreuz für Gas in Europa: Grijpskerk bei Groningen

Das Gewicht des Gases

Das Gasvorkommen im Norden des Landes bringt dem Staat jährlich Milliarden ein. Aber durch die zunehmenden Erdbeben und den Mangel an langfristigen Investitionen mehren sich Zweifel am Rohstoff-Glück.

Veröffentlicht am 25 Februar 2013 um 12:34
Drehkreuz für Gas in Europa: Grijpskerk bei Groningen

Zuerst springt die Katze vom Bett. Haustiere spüren nahendes Unheil. Dann Gerumpel, das mit einem festen Knall endet, der die Fenster erzittern und die Wände wackeln lässt. Das wird wieder eine schlaflose Nacht in den Dörfern und Gemeinden von Loppersum und Slochteren, und vielleicht sogar in den Außenbezirken der Stadt Groningen.

Risse in den Wänden, Türen, die klemmen, Dachziegel, die herunterfallen: Die Schäden sind ärgerlich, aber immer noch überschaubar. Schlimmer noch ist die Angst. Hört das irgendwann einmal auf? Die Chancen sind gering, glaubt man dem Bericht der Staatsaufsicht für Bergbau, den Wirtschaftsminister Henk Kamp Ende letzten Monats öffentlich machte: Die Zahl der Erdstöße als Folge der Gasgewinnung im Groninger Feld ist in den letzten Jahren rapide angestiegen, ebenso wie deren Stärke. Man erwartet, dass der Boden noch mehr als fünfzig Jahre nicht zur Ruhe kommen wird.

Eines der ältesten Kulturgebiete Europas wackelt

Kamp tut, was die Niederländische Erdölgesellschaft NAM schon vor Jahren hätte tun sollen: Anerkennen, dass sich als Folge der Gasgewinnung der Boden um Groningen absenkt, was von leichten Erdstößen begleitet wird.

Reint Wobbes aus Huizinge, der in der Stiftung „Alte Groninger Kirchen“ aktiv ist: „Kamp redet über präventive Maßnahmen. Ich würde gerne wissen, was das heißen soll. Dies ist eines der ältesten Kulturgebiete Europas. Wie will man jetzt die Gebäude, die alten Kirchen, schützen? Die Maßnahmen hätten früher kommen müssen. Warum muss erst eine Bürgerinitiative — die Bewegung Groninger Boden — ins Leben gerufen werden? Warum haben die Behörden die Zivilbevölkerung nicht schon früher geschützt?“

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Kahle Äcker voller Schnee, umgepflügte Felder warten auf den Frühling. Im Hochland ist von der Gasgewinnung nicht viel zu merken. Man riecht nichts; man sieht nichts. Die „Gasblase von Slochteren“, wurde am 22. Juli 1959 angebohrt, auf dem Boden eines gewissen Herrn Boon, ein Bauer in der Nähe von Kolham. Doch die Euphorie brach erst Jahre später aus, als klar wurde, dass es sich hier um das größte erschlossene Gasfeld der Welt handelt. Doch reich geworden ist die Region nicht. Das Bergrecht von 1810 besagt, dass Mineralien aus dem Boden nicht dem Grundeigentümer zufallen, sondern dem Staat. Und das sticht. Manchmal.

Erdgasfeld stopft seit Jahren Haushaltslöcher

Nicht so schlimm findet das Hermann de Jong, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Groningen (RuG): „Ich möchte gar nicht denken, was passiert wäre, hätte es das Bergrecht nicht gegeben. Dann hätte es allerlei verrückte reiche Groninger gegeben, und der Beschäftigungseffekt wäre nur von kurzer Dauer gewesen; während wir heute ein großzügiges Sozialversicherungssystem aufgebaut und viel in Infrastrukturen investiert haben, wie beispielsweise in [den Hochwasserschutz] Deltawerke.

„Von größerer Bedeutung ist, dass wir die Wirtschaft für den Fall vorbereiten, wenn in dreißig Jahren die Einkommen aus der Erdgasgewinnung versiegen. Die Niederlande haben noch nie langfristig gedacht, weil wir dachten, wir würden einfach auf Kernenergie umsteigen. Das Erdgasfeld dient seit Jahren dem Stopfen von Haushaltslöchern.

Norwegen hat das geschickter angepackt und die Gewinne aus der Förderung von Erdöl oder –gas in einen staatlichen Fonds investiert: Die Rendite wird in Bildung und Infrastruktur gesteckt.“

Shell und Esso, die gemeinsam an NAM beteiligt sind, heimsen mit dem Groninger Gas fette Gewinne ein, sagt de Jong. „Aber auch der Staat verdient gut daran. Dank eines ausgeklügelten Vertrags lagen die Lizenzgebühren von Anfang an hoch.“ Das Groninger Feld spülte mehr als 200 Milliarden Euro in die Staatskassen. Noch zwanzig Jahre und die Niederlande haben ein Dreivierteljahrhundert davon profitiert.

Energie-Plattform für Europa

Aber die Groninger beginnen sich zu fragen, was ihnen in den vergangenen fünfzig Jahren das Gas unter ihren Füßen gebracht hat, abgesehen vom langsamen Absenken des Bodens. Die Partij voor het Noorden [Partei für den Norden, welche sich für die Interessen der nördlichen Provinzen der Niederlande einsetzt] fordert, dass ein Viertel der Erdgas-Einnahmen in den Norden des Landes investiert werden.

Auch Jan Willem Velthuijsen, Berater bei [der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers] PwC und Professor für Energie und den dazugehörigen Finanzströmen an der RuG, findet, dass die Niederlande in Groningen investieren müssten. Nicht, weil hier zufällig Erdgas gewonnen wird, sondern weil der Norden für die zukünftige Energieversorgung eine große Rolle spielen kann.

„Es gibt nur gute Gründe, in die Energie-Plattform Groningen zu investieren. Der Erdgas-Umschlagplatz, den wir hier anlegen, ist von großer Bedeutung für die Energieversorgung in Europa. Wir sind schon an den deutschen Markt angeschlossen, der sehr auf Nachhaltigkeit aus ist. Gaswerke sind da von Vorteil. Billig und sauber. Das Nordseekabel mit Wasserkraft aus Norwegen wird hier umgeleitet und angedockt. Und wir bekommen auch russisches Gas. Die Infrastruktur ist fantastisch. Das Rohrsystem ist perfekt, nicht nur für das Abpumpen von Erdgas, sondern auch für dessen Einlagerung. Wir können billiges russisches Gas speichern, und wieder verkaufen, wenn die Preise steigen. Der Hahn kann nach Belieben auf- und zugedreht werden. Das ist hier einfacher als sonstwo.“

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