Staaten, Märkte und Bürger auf Kollisionskurs

Das ungewisse Ergebnis der italienischen Wahlen und der Erfolg von Beppe Grillo haben wieder einmal die Untertöne gezeigt, die Europas krisengebeutelte Länder erschüttern. Werden die EU und vor allem die Märkte nun eine Geste zeigen, um den Teufelskreis von Krise und Bürgertrotz zu durchbrechen?

Veröffentlicht am 28 Februar 2013 um 16:41

Die Anspannung, die zwischen den europäischen Demokratien und den internationalen Finanzmärkten unter der Oberfläche brodelt, wird wahrscheinlich so bald nicht enden und niemand kann ihre Folgen absehen.

Die Märkte sprechen ihre ganz eigene, gnadenlose Sprache. Sie drohen damit, die Kredithähne in Europa zuzudrehen. Doch ohne geliehene Gelder, ohne Anleihen, wird es für den Block so gut wie unmöglich sein, den Lebensstandard und das Wohlstands- und Sozialleistungsniveau zu halten, durch welche die Funktionsweise seiner Gesellschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs definiert wird. Tatsächlich treiben die Märkte das Geld nach Osten, wo die Menschen eher an niedrigere Lebensstandards gewöhnt und die Funktionen der Demokratie andere sind.

Anti-systemische Tendenzen

Die finanziellen Märkte verlangen einen so hohen Grad an Veränderung und Verzicht, vor allem von Südeuropa, dass er nur schwer zu erlangen ist – wenn überhaupt. Kein Land ist bereit, bedeutende, großflächige Verschlechterungen seines Lebensstandards ohne eine unvermeidliche heftige Reaktion zu akzeptieren.

Die europäische Elite, deren Zentrum in Brüssel und Berlin liegt, glaubte, der Übergang zu einem wettbewerbsfähigeren und sparsameren Europa werde ein politisch leicht zu handhabender Prozess sein. Für einige nordeuropäische Länder, die in den Konzepten des Gesellschaftsvertrags sattelfest sind und im Unglück mehr innere Stärke beweisen, mag das auch der Fall gewesen sein. Doch für Griechenland, wie auch für Italien, waren die Reformen und die brutalen Kürzungen nicht so leicht zu schlucken und wurden nicht ohne weiteres angenommen. In solchen Ländern weckt eine Sparpolitik den Instinkt, gegen alles zu reagieren, das den Ist-Zustand aufschüttelt, und stärkt die anti-systemischen Tendenzen der Gesellschaft.

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Eine Kraftprobe für die Demokratie

Wie können wir aus diesem Teufelskreis ausbrechen? Das ist unmöglich zu sagen. Die Krise hat die bereits tiefen kulturellen und politischen Spaltungen zwischen den europäischen Ländern noch intensiviert und erweitert. Und nun sieht es aus, als wären die Finanzmärkte beileibe nicht bereit, ihre Forderungen abzumildern und einen Schritt zurückzutreten.

Das Risiko, dass Europa in eine langwierige Phase der Instabilität und der wirtschaftlichen Mühsal eintritt, zeichnet sich am Horizont ab, während die Märkte weiter den Spread erhöhen und manche Bürger für Politiker wie den Italiener Beppe Grillo stimmen.

Grenzen und die Kraft der Demokratie werden hart auf die Probe gestellt werden, obwohl die europäische Demokratie oft als eine nur oberflächliche Institution erscheint, die hinter den Kulissen der öffentlichen Bühne ausgelebt wird – etwas, das von denen vernachlässigt wurde, die sich heute für Silvio Berlusconi einsetzen, während sie ihn doch gestern noch als Musterbeispiel für Korruption und Verwirrung hinstellten.

Meinung

Mehr Herausforderung für die Demokratie

„Durch die italienische Parlamentswahl fühlen sich viele kultivierte Menschen in ihrer Meinung bestätigt, dass Demokratie – oder zumindest reine Demokratie – einfach nicht funktioniert. Überlässt man den Wählern die Entscheidung, werden sie sich immer für weniger Steuern und höhere Ausgaben entscheiden. Genau das ist der Grund dafür, dass in Europa ein derartiges Chaos herrscht“, schreibt der Kolumnist und konservative Abgeordnete Daniel Hannan in The Daily Telegraph.

Viele in Brüssel plädieren dafür, die demokratischen Rechte einzuschränken. Dabei gibt es auch noch eine andere Lösung. „Warum sollte man den Wählern nicht einfach mehr Vertrauen schenken?“, fragt Hannan und zitiert die Worte des früheren konservativen Abgeordneten, Keith Joseph, der sagte „Vertraut den Menschen mehr Verantwortung an und sie werden sich verantwortungsbewusster verhalten.“ Hannan verweist auf das Beispiel der Schweiz, wo die regelmäßigen Volksabstimmungen den Bürgern eine sehr große politische Verantwortung geben. In diesem Sinne fügt Hannan hinzu:

Behandelt man Wähler wie Kinder, so schmollen und trotzen sie. Behandelt man sie wie Erwachsene, dann – ja, dann – wird es wie in der Schweiz.

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