Populismus nach Grillos Art

Der große Sieger der italienischen Wahlen wird oft als Populist bezeichnet. Doch in Europa deckt diese doch sehr vage politische Kategorie höchst unterschiedliche Profile ab, wie der belgische Historiker Marnix Beyen in Erinnerung ruft.

Veröffentlicht am 4 März 2013 um 17:03

Der überwältigende Sieg von Beppe Grillo in Italien lässt die Diskussionen über den umstrittenen Begriff des „Populismus“ wieder aufleben. In unserer Zeitung gibt Journalist Bert Wagendorp zu verstehen, dass Grillo, „anders als Populisten wie Bart De Wever [in Belgien], Geert Wilders [in den Niederlanden] und Berlusconi“ nicht den bestehenden Parteien entstammt. In anderen Worten: Als echter Outsider scheint Grillo nicht zur großen Familie der Populisten zu gehören. Dabei vergisst Wagendorp jedoch die Bedeutung der Ideologie in der Definition des Populismus. Laut einer ideologischen Definition des Typus ist Grillo jedoch fast der Prototyp des Populisten: jemand, der die politische Klasse als Feind des „wahren“ Volks darstellt.

Manche Formen des Populismus sind faschistisch

Aus demselben ideologischen Grund kann Grillo nicht einfach als Populist definiert werden. Tatsächlich ist der Populismus eine besonders vielgestaltige Erscheinung, die von sehr unterschiedlichen Auffassungen des „Volkes“ ausgehen kann. Theoretisch wird zwischen zwei extremen Positionen unterschieden. Einerseits kann „das Volk“ als metaphysische und moralische Einheit dargestellt werden, die über die Jahrhunderte hinweg dieselben Eigenschaften besitzt. Dieses Volk muss gegen Feinde aus dem Ausland und gegen fremde Einflüsse geschützt und kann durchaus von einem charismatischen Anführer verkörpert werden.

Am anderen Extrem dieser politischen Palette befindet sich der Ansatz, laut welchem das Volk die Summe von Millionen von freien Bürgern ist, mit ihren jeweils eigenen Vorstellungen und Plänen, die nicht durch überflüssige Regeln und Gesetze behindert werden dürfen. Ein Populismus, der gänzlich in der ersten ethnischen Interpretation des Begriffs „Volk“ wurzelt, kann als faschistisch bezeichnet werden. Wenn er auf dem zweiten Ansatz aufbaut, handelt es sich eher um einen libertären Populismus.

Ideale, Mystik und Treue

So gut wie alle heutigen populistischen Bewegungen kombinieren Aspekte beider Varianten, aber in sehr verschiedenen Mengenverhältnissen. Dem Namen ihrer Partei nach zu schließen, könnte man meinen, die Wahren Finnen von Timo Soini stünden der erste Variante deutlich näher. Diese politische Partei basiert in der Tat auf dem Idealbild eines finnischen Volkes, das vor ausländischen Einflüssen wie der gleichgeschlechtlichen Ehe, der schwedischen Sprache und der Immigration aus Nordafrika geschützt werden muss. Die Mobilisierung, die diese Partei rund um diese Ideale betreibt, und die konkreten Maßnahmen, die sie anbietet, sind jedoch zu gemäßigt als dass man ihnen das Etikett des „Faschismus“ erteilen könnte.

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Geert Wilders hingegen betont die libertäre Facette des Populismus in dem Namen seiner Partei, der Freiheitspartei, weitaus deutlicher. Die positive Einstellung dieser Partei gegenüber der Homosexualität als Teil eines aufgeklärten Erbes ist dementsprechend. Dabei wird der Begriff „unsere Niederlande“ durchaus als mystische Einheit präsentiert, die zugleich gegen „deren Brüssel“ und den „Aufstieg des Islam“ abschirmen soll.

Die ungarische Partei Fidesz weist ebenfalls eine derartige Mehrdeutigkeit auf. Der Name war ursprünglich eine Abkürzung für die „Jungen Freien Demokraten“, bezieht sich heute allerdings nur noch auf das lateinische Wort für Treue [= fides]. Die ungarischen Roma, unter anderen, sind dieser Treue zu den „wahren“ ungarischen Werten täglich ausgesetzt.

Für eine „elektronische Demokratie“

Grillos Fünf-Sterne-Bewegung entspricht viel stärker dem libertären Aspekt der populistischen Palette als die oben genannten Bewegungen. In seinem Blog und seinen Ansprachen bezieht er sich immer wieder auf das ewige Italien, das endlich der Wiederauferstehung nahesteht, doch zugleich zeigt er sich allergisch auf hypernationalistische Ausschreitungen wie die von Timo Soini und Viktor Orbán. Er vertritt zwar die Notwendigkeit, die Immigration einzudämmen, stützt sich mit dieser Einstellung jedoch nicht auf eine Islamfeindlichkeit oder auf die Furcht vor dem Verlust der italienischen Werte. Sein Plädoyer zugunsten der „elektronischen Demokratie“ spricht dazu Bände. Anstatt hinter Anführern oder Symbolen durch die Straßen zu demonstrieren, [findet er], sollten die Italiener lieber ihre Stimme massiv über das Internet zum Ausdruck bringen.

Diese Einteilung wirft auch die folgende Frage auf: Wo soll man auf dieser Palette Bart De Wever ansiedeln? Natürlich ist er der Erbe einer Tradition, die eine ethnische Variante des Nationalismus hochhielt. Bis jetzt lässt De Wever an den Straßenschildern seiner eigenen Stadt [Antwerpen] noch keine kleinen Wappen mit dem flämischen Löwen anbringen, doch er zeigt deutlich, dass er ihre Bevölkerung umgestalten will, um zu einer mehr oder weniger homogenen Gemeinschaft mit festen Außengrenzen zu gelangen.

Dank Belgiens gemeinschaftlicher Geschichte muss sich De Wever zudem nicht als Populist verkaufen. Er kann sich als Ausführender eines unvollendeten Staatsformungsprozesses profilieren statt als Sprecher des Volkes gegen die korrupte politische Klasse. (p-lm)

Italien

Europas Selbstheilung

„Im Gegensatz zu dem, was viele denken, ist der kranke Mann Europas nicht Italien, sondern Europa selbst.“ Mit diesen Worten beginnen zwei Akademiker ihre Stellungnahme auf dem Internetportal EUobserver.

Obwohl die südlichen Nationen Europas üblicherweise als „funktionsgestörte Systeme mit ineffizienten Institutionen, weitverbreiteter Korruption und allgemein schwacher Regelbeachtung“ beschrieben werden, haben sie es doch auf den achten Platz der größten Volkswirtschaften der Welt geschafft, schreiben die wissenschaftlichen Mitarbeiter Francesco Giumelli und Ruth Hanau Santini. Giumelli ist im Fachbereich für Internationale Beziehungen und Europastudien der Metropol-Universität Prag tätig, Santini am Institut für Politikwissenschaft der Universität Neapel-L’Orientale beschäftigt.

Italien ist in der Tat ein schwer verständliches Ungetüm – und noch viel unerbittlicher, wenn es darum geht, es zu zähmen. [...] Für den europäischen Integrationsprozess ist das Land aber ein Anker, kein Eisberg. Seinen innenpolitischen Problemen wird sich Italien schon stellen. Die Europäer sollten sich vielmehr Sorgen um die mangelnden Fortschritte der Bankenunion [und] ein EU-Sparpaket machen, an das wieder einmal keine der notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Wachstumsmaßnahmen geknüpft wurde. Dabei hätten sie das Vertrauen in die EU-Institutionen wiederherstellen können. Genau hier liegt die größte Gefahr für die EU – nicht in der italienischen Parteipolitik.

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