Ein Altar zum Gedenken an Plamen Goranow, dort, wo er sich am 20. Februar verbrannte.

Ein Akt, der alles verändern könnte

Der 6. März ist ein Trauertag, an dem man Plamen Goranow gedenkt, einem jungen Mann, der sich in der ostbulgarischen Stadt Warna selbst angezündet hatte, um den Rücktritt des Bürgermeisters zu erwirken. Mitten in der landesweiten politischen Krise muss diese Geste einfach dazu führen, dass die Menschen aufwachen, meint ein einflussreicher politischer Kolumnist.

Veröffentlicht am 6 März 2013 um 16:23
Ein Altar zum Gedenken an Plamen Goranow, dort, wo er sich am 20. Februar verbrannte.

Elf Tage nachdem sich Plamen Goranow wie eine lebendige Fackel vor dem Rathaus im Warna angezündet hatte, starb er am 3. März. Er wollte, dass der Bürgermeister „Kiro [Kiril Jordanow] und all seine Berater am 20. Februar 2013 bis 17 Uhr zurücktreten“. Das stand auf dem Schild, das er an diesem Vormittag bei sich trug, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Ein Schild, das übrigens ein merkwürdiges Schicksal erleiden sollte: Nachdem es auf geheimnisvolle Weise vom Ort des dramatischen Geschehens verschwunden war, tauchte es später bei einem der Angestellten des Bürgermeisteramtes wieder auf. Aber lassen wir das.

Niemand bekam bisher die Aufnahmen der Überwachungskameras zu sehen, welche diese Szene mit Sicherheit festgehalten haben. Alles was wir wissen ist, dass der 36-jährige Plamen nicht mehr lebt.

Ich verstehe nicht, was es bringt, auszudiskutieren, ob sein Schicksal mit jenem Jan Palachs verglichen werden kann. Dieser junge Mann hatte sich am 16. Januar 1969 in Prag selbst verbrannt und wurde zum Symbol des Protestes gegen die sowjetische Besetzung der Tschechoslowakei.Dabei liegt die Wahrheit doch auf der Hand: Für viele Menschen ist Plamen bereits der bulgarische Jan Palach.

Suche nach der Wahrheit über den Tod

Der tschechische Student hatte einen Brief hinterlassen, in dem er seinen Akt erklärte. Er handelte nicht allein, sondern war Teil in einer Gruppe. Einen Monat später tat ein anderer junger Mann genau dasselbe, an genau derselben Stelle in Prag [dem Wenzelsplatz]. Plamen Goranow hat keinen Brief hinterlassen. Zumindest wissen wir bis heute nichts von der Existenz eines solchen Schriftstücks. Jan Palach hatte sich mit Benzin übergossen und vor den Augen zahlreicher Passanten angezündet. In Warna weiß niemand so genau, was mit Plamen geschehen ist. Gab es Zeugen? Auch darüber wissen wir bisher nichts. Das einzige, was wir wissen, ist Folgendes: Neben ihm wurden zwei Behälter mit leichtentzündlicher Flüssigkeit gefunden. Einer von beiden war halbleer.

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Allein die Unmöglichkeit, mehr zu erfahren, beweist, zu welch unglaublich verkommenem Land Bulgarien sich – mit unserer Hilfe – entwickelt hat. Wir wissen nicht einmal, ob er sich willentlich angezündet hat, ob ihm jemand dabei „geholfen“ hat, ob er sich wirklich verbrennen wollte oder etwas ganz anderes im Schilde führte... Ein wirklicher Wandel, wie ihn tausende Demonstranten verlangen, könnte mit dieser Forderung beginnen: Dass wir die ganze Wahrheit über den Tod Plamens erfahren.

Forderungen nach Transparenz und Recht

Er war ein Mann, der seine eigene Meinung hatte, Stellung bezog, regelmäßig an Demonstrationen teilnahm und lautstark kritisierte, auf welche Weise Kiril Jordanow die Stadt verwaltete. Wir haben ein Video mit ihm im Internet gefunden, in dem er sich während einer Kundgebung ein Mikro schnappt und die Menschenmenge dazu aufruft, „Nieder mit TIM!“ zu schreien. [TIM ist eine einflussreiche Unternehmensgruppe mit skandalträchtigem Ruf, der die Demonstranten vorwerfen, in Warna das Sagen zu haben]. Und selbst wenn wir nicht genau wissen, was Plamen zugestoßen ist, wissen wir wohl ganz genau, wogegen er sich auflehnte: Die verachtungswürdige und undurchsichtige Art und Weise, mit der diese Stadt verwaltet wird, der Raub öffentlicher Mittel, die niederträchtige Repression aller Gegner, die Diktatur einer Handvoll Abgeordneter, denen die Macht zu Kopf gestiegen ist...

Warna ist nur ein Symbol

So sieht es in Warna, aber auch in vielen anderen Großstädten und in ganz Bulgarien aus. Warna ist nur zu einem Symbol dieser Realität geworden, die es nicht erst seit gestern gibt.Die Tatsache, dass der Bürgermeister am 6. März seinen Rücktritt angekündigt hat, spielt nun keine Rolle mehr. Was wirklich zählt sind die Menschen, die immer wieder mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit fordern. Die Bewohner Warnas haben es verstanden. Genau das ist es, was ihren Protest im Vergleich zu jenem in Sofia so anders macht. Dort verlangen die Demonstranten teilweise recht befremdende, und manchmal sogar widersprüchliche Dinge.

Der Rechtsstaat, für den die Bewohner dieser Küstenstadt kämpfen, beinhaltet auch, dass unabhängige und genau geführte Ermittlungen aufdecken, wie Plamen Goranow wirklich gestorben ist. Wenigstens das schulden wir ihm.

Meinung

Worum wird getrauert?

„Der heutige [6. März] ist ein Tag der nationalen Trauer in Gedenken an Plamen Goranow“, schreibt die Journalistin Ana Zarkova in der Tageszeitung Troud. Wer aber trägt die Trauer?, fragt sie sich:

Wahrscheinlich beweinen die Trauernden verschiedene Dinge auf unterschiedliche Art und Weise. Die Minister ihre Posten. Die Arbeitslosen ihre Jobs. Die Armen die Tatsache, dass sie kein Geld haben, um ihre Heiz- und Stromrechnungen zu bezahlen. Die Reichen, dass sie ermordet oder gekidnappt werden könnten. Die Demonstranten, dass sie sich nicht mehr einig sind. Wir sind nicht vereint – nicht einmal wenn wir trauern. Und mich widern all die Politiker an, die nun versuchen, sich dem Volk und seinem Schmerz zu nähern. Warum tun sie es nicht einfach, indem sie Reue zeigen?

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