Föderalismus oder Pleite

Um die fehlende Währungspolitik in Europa auszugleichen, muss die Union die Spielregeln ändern. Ein echter Haushalts-Föderalismus muss her. Die Zukunft des Euro und darüber hinaus der Union selbst als Organisation stehen auf dem Spiel, schreibt Les Echo.

Veröffentlicht am 5 Oktober 2010 um 14:17

Puh! Die Europäer sind sich endlich einig. Alle sind überzeugt,… dass das vor rund zehn Jahren geschaffene System nicht funktioniert. Die Regeln der Währungsunion müssen geändert werden. Die Griechenlandkrise im Frühjahr hat das eklatant bewiesen. Vergangene Woche stellte die Europäische Kommission ihre Vorschläge dazu vor. Die EZB macht sich ihrerseits Gedanken, und die einzelnen Länder überlegen auch. Die Debatte in den kommenden Monaten verspricht hitzig zu werden. Die Zukunft des Euro, nicht mehr und nicht weniger, steht auf dem Spiel. Und die Zukunft Europas als Sinnbild politischen Fortschritts, als gemeinschaftliches Organisationsmodell und als Traum von einer besseren Welt.

Anfang der 1990er Jahre wurde eine Problematik wacker ignoriert, galt es doch eine Weltpremiere zu schaffen: eine Währungsunion — aber ohne gemeinsamen Haushalt. Im Falle von Problemen ist es verboten, einem angeschlagenen Partner zu Hilfe zu eilen. Und die Hypothese eines insolventen Lands wurde schlicht ausgeschlossen. Blindes Vertrauen in die Solidität der Staaten. Doch hat die Geschichte gelehrt, dass der Staat nicht immer ein guter Zahler ist. Die staatliche Insolvenz muss juristisch in Betracht gezogen werden. Das Insolvenzrecht ist eine Voraussetzung, damit die Wirtschaftsgemeinschaft funktionieren kann —wie wir in den osteuropäischen Ländern feststellen konnten. Dort konnten die Unternehmen erst wieder wachsen, nachdem der Konkurs rechtlich definiert war! Sicher, die Europäer hatten den Stabilitätspakt geschaffen, der gerade so etwas verhindern sollte. Die Euro-Länder sollten ihre Defizite unter Kontrolle behalten, sonst würde es Sanktionen setzten. Anfang des neuen Jahrhunderts bezeichnete der Kommissionspräsident diesen Pakt als "idiotisch", und Ende 2003 brach er zusammen, als Deutschland und Frankreich sich weigerten, ihn auf sich selbst anzuwenden.

Warum einen unsinnigen Pakt am Leben erhalten?

Sieben Jahre später bestätigt die Griechenlandkrise, die auf einer dreisten Staatslüge hinsichtlich der eigenen Haushaltslage beruht, die Unsinnigkeit des Pakts. In aller Eile wurde von der Union ein mit 750 Milliarden Euro ausgestatteter Stabilitätsfonds geschaffen. Die EZB reichte Griechenland die rettende Hand, indem sie griechische Staatsanleihen aufkaufte. Ein klarer Verstoß gegen EU-Recht. Es reicht. Es ist Zeit, sich von der Währungsunion zu verabschieden!

Wiederaufbau ist gefragt. Der Währungsföderalismus muss durch einen Haushaltsföderalismus ergänzt werden. Der Stabilitätsfonds könnte hierfür eine der Grundlagen sein. Doch leider besteht Einigkeit nur bei den albernsten Vorschlägen. So will die Kommission beispielsweise gegen alle Länder, bei denen der Schuldenstand 60 Prozent des BIP überschreitet "ein Verfahren wegen übermäßigen Haushaltsdefizits einleiten", und dies auf der Grundlage "einer Analyse verschiedener Faktoren, die sich auf die Qualität der Schulden und die Zukunftsperspektiven des betreffenden Lands auswirken." Dieser Vorschlag würde nicht nur Hunderte von Ökonomen beschäftigen, um besagte Faktoren zu analysieren, sondern auch sechzehn der Euro-Länder betreffen, mit anderen Worten 86 Prozent der Gesamtbevölkerung! Darüber hinaus würde er einen Mechanismus am Leben erhalten, dessen Ineffizienz bereits erwiesen ist.

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Werft die Haushalte zusammen!

Brüssel will auch den Ländern mit exzessiven Haushaltsdefiziten Bußgelder aufbrummen. Das ist, als würde ein Arzt einem stark Blutenden einen Aderlass verordnen. Berlins Vorschlag für automatische Sanktionen stieß auf eher positive Resonanz. Man stelle sich die Freude über diese automatischen Sanktionen vor, wenn beispielsweise einmal Spanien an einem Monatsende zahlungsunfähig ist, weil das Land den Eurokraten die automatischen Strafgelder überweisen musste... Diese Automatismen, die man auch in anderen Bereichen wiederfindet (bei Ratingagenturen, die aufgrund bestimmter makroökonomischer Indikatoren auf- oder abwerten) zeigen nur, dass hier in völliger Verwirrung agiert wird.

Die Krise sollte eher dazu beitragen, dass die Haushaltspolitiken der Länder sich schnellsten angleichen. Doch werden die Ungleichheiten nur noch verschärft. Ungleichheiten, die bereits durch die Art und Weise, wie die Währungsunion funktioniert, verschärft wurden: Jedes Land stützt sich logischerweise auf seine Stärken. Wenn die Wechselkurse flexibel sind, kann durch eine Abwertung der Währung für die betroffenen Länder ein Ausgleich geschaffen werden. Doch in der Eurozone gibt es keine Wechselkurse mehr. Diese fehlende Währungsflexibilität muss deshalb durch eine Haushaltssolidarität kompensiert werden. Eine Gemeinschaftswährung ohne politisches Projekt kann nur in eine Sackgasse führen. Wie es für Frankreich, Italien und Belgien bereits in den 1930er Jahren der Fall war, als die Währungen an die Wechselkurse des Goldes gebunden waren.

Übersetzung von Jörg Stickan

EU/China

Der Yuan bietet billiger

"EU legt sich mit Chinesen an", titelt die Financial Times Deutschland, nachdem führende EU-Vertreter eine Aufwertung des Renminbi gefordert haben. Während des EU-Asien Gipfels in Brüssel wollte Chinas Regierungschef die Besorgnis der Europäer über die unterbewertete chinesische Währung gegenüber des sehr starken Euro nicht teilen. Für die Tageszeitungaus Hamburg wäre es aber fatal, wenn Europa wie die USA oder Japan den Weg der Sanktionen wählen würde, oder schlimmer noch einen Abwertungswettlauf anzetteln würde. "Es bleibt den Europäern nichts anderes übrig, als weiter auf Diplomatie zu setzen. Dabei sollten sie erstens darauf dringen, dass China seine Versprechen einhält, nämlich seine Leistungsbilanzüberschüsse zurückfährt, den Binnenkonsum stärkt, die Sparquote senkt und Löhne erhöht." Im Grunde dasselbe, was die Euro-Länder, mit Frankreich an ihrer Spitze, von Deutschland fordern.

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