Beppe Grillo will Europa erstürmen

Die Fünf-Sterne-Bewegung war die Offenbarung der letzten Wahlen in Italien. Zahlreiche politische Bewegungen in der EU teilen ihre Anti-Establishment-Ansichten und Digital-Democracy-Methoden und könnten bei der Europawahl 2014 eine gemeinsame Front bilden.

Veröffentlicht am 20 März 2013 um 12:18

Europa – das Ziel Beppe Grillos. Während die italienische Politik den Tsunami, der sie überrollt hat, noch kaum fassen kann, lässt der Anführer der Fünf-Sterne Bewegung den Blick gedanklich bereits über die Grenze schweifen. Sein erklärtes Ziel: ein „Export“ des Phänomens in andere Länder, wo die Kernprobleme der Wirtschafts- und Finanzkrise denen in Italien sehr ähnlich sind. „Es ist undenkbar, das alles bewerkstelligt zu haben und dann [quasi] hier in Rom zu bleiben. Wir müssen Grenzen überschreiten – unser Ziel heißt Straßburg 2014, Europäisches Parlament. Denn die Bedürfnisse sind ähnlich wie in Italien, und wenn wir in Europa Anschluss finden, wird es zu einer epochalen Veränderung kommen“, so Grillo zu seinen Leuten.

Ehrgeizling oder Visionär? Sein Ziel wurde in den letzten Wochen, in denen die Meetup-Diskussionen Grenzen und Sprachbarrieren gesprengt haben, immer konkreter. “Eine Art 68er-Bewegung, geeint durch das Web“. Grillo und die Seinen – wie er es in den letzten Tagen häufig den wenigen Leuten erklärte, mit denen er in diesen Tagen spricht – haben bereits Kontakte insbesondere in osteuropäischen Staaten, von der Slowakei bis hin zu Rumänien und Bulgarien. Doch sie schielen bereits weiter nach Griechenland, Spanien und Portugal. „Das meine ich, wenn ich sage, das ist erst der Anfang.“

Ein klassisches Antipolitik-Projekt

Themen sind besonders die Umwelt, aber auch die Rezession. Die Gruppierungen, die er im Auge hat: die Indignados, aber auch die Grünen in Deutschland. Nein, keine linken oder rechten Extremisten wie die der Alba Dorata oder Syriza [in Griechenland] oder des Front National in Frankreich. Eher – wie in Italien – jene Millionen von Bürgern, die mehr ein gemeinsamer Kampf und weniger eine Ideologie oder politische Zugehörigkeit vereint. Europäer, die bislang noch kein politisches Zuhause gefunden haben – oder keines mehr haben. Auch Gemäßigte. Auch, aber nicht ausschließlich junge Menschen, wie in Italien. „Natürlich wird das Fünf-Sterne-Zeichen nicht verwendet werden, aber Programm und Instrumente sind exakt gleich. Sie werden in allen Ländern ihre Vertreter finden.“

Die europäische Presse ist geteilter Meinung über Grillo. Manuel Castells von der spanischen Zeitung La Vanguardia weist auf den eindeutig experimentellen Charakter dieses klassischen Antipolitik-Projektes hin. Es sei allerdings von Millionen und von einem Großteil der jungen Menschen unterstützt worden, die einen Ausweg aus der Sackgasse der Manipulation und der Undurchsichtigkeit der Machtabtretung suchen, so Castells weiter – diese Kluft zwischen Zivilgesellschaft und politischen Institutionen sei auch in Spanien weit verbreitet.

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Frühere Proteste sind verklungen und in den Social Networks verebbt

Stichwort Spanien – eines der Länder, in denen jenes Phänomen seinen Ursprung nahm, das in seiner Intention quasi einer „Landung in Europa“ gleichkommen sollte. Am 15. Oktober 2011 gingen junge Menschen auf die Straße und protestierten für einen bessere Welt: die Indignados in Spanien, die Indignés in Frankreich und die Occupy-Wall-Street-Bewegung in den USA. Tausende hatten sich versammelt. In Italien kam es zu Plünderungen und einigen Ausschreitungen, doch dann war alles zu Ende.

Was wurde aus diesen Protesten? Sie sind verklungen und in den Social Networks verebbt, wollten sich neu organisieren. So fand sich Italien, das jedes politische Phänomen auf seine Art ablehnt, nicht mit Indignati auf der Straße wieder, dafür aber mit einer Bewegung, die sehr wohl in die Institutionen [des Staates] wollte. Und das erreichte sie auch. Nun geht es darum, eine gemeinsame Linie zu finden, die alle Bewegungen in und außerhalb Europas vereint und, wie es aus dem Fünf-Sterne-Lager heißt, konstruktiv sein soll. Entschieden, doch die Institutionen achtend. „Kein Platz für Extremismus oder gar Rassismus“, so Grillos Umfeld, „denn die V-Days, die Vaffanculo-Tage, die ‚Alle nach Hause‘-Sprechchöre sind passé, nun müssen wir ins Parlament!” Und weiter: “Eine völlige Umwälzung der politischen Situation durch Ehrung und Achtung all dessen, was politisch ist“.

Eine Bewegung, an der ganz Europa beteiligt sein wird

Die Reaktionen aus dem Ausland sind geteilt: „Italy did not just send in the clowns“, so Jonathan Hopkin, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der London School of Economics, im Magazin Foreign Affairs. Es folgte eine harsche Reaktion des Economist, für den der Vormarsch Grillos und die x-te Bestätigung Berlusconis durch die Wähler eine weitere Blamage für Italien waren. “Das Phänomen Grillo ist nicht nur eine Herausforderung für den Sparkurs, sondern für das traditionelle Parteiensystem. Es wurde durch die Wirtschaftskrise begünstigt, doch seine Kampagne gegen die korrupten und egoistischen italienischen Politiker hatte bereits vor der Rezession begonnen.“ Und weiter: “In ganz Europa hat die Zahl der Parteimitgliedschaften das niedrigste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht”. Beweis dafür seien der Erfolg der UK Independence Party in Großbritannien, del Piratenpartei in Schweden, der Anti-Islam-Partei von Geert Wilders in Holland und populistischer Parteien wie des Front National in Frankreich. Abschließend heißt es, Italien könne eine Bewegung vorwegnehmen, an der ganz Europa beteiligt sein werde.

Eine Europäische Union, die für die Bürger verständlich ist

Bisher hatte seit dem Übergreifen der schweren Wirtschaftskrise auf Europa noch nie eine Anti-Sparkurs-Partei in einem europäischen Land gewonnen. Nicht im Spanien Rajoys oder im Portugal Passos Coelhos, wo der Sparkurs seit jeher die Regel war. Erst vor einer Woche schrieb der portugiesische Premier ein langes Post auf Facebook, das er mit „Pedro“ unterzeichnete und in dem er sein Volk abermals ersuchte, Opfer zu bringen. Er bekam über 36 000 Antworten, und am besten kam jene an, in der auf Reagan Bezug genommen wurde: Nicht die Regierung sei die Lösung des Problems, die Regierung sei das Problem.

In den Ländern Europas, das seit Jahren den Riemen enger schnallt, macht sich Ermüdung breit. Der verlockende Vorschlag der Fünf-Sterne-Bewegung: eine Europäische Union, die für die Bürger verständlich ist. “Ich habe nie gesagt“, so Grillo, „dass ich in die oder aus der Eurozone will, sondern dass ich korrekte Informationen will, einen Plan B, der unser Überleben in den nächsten 10 Jahren sichert. Und dann wird durch Volksbefragung entschieden. Zunächst müssen wir informieren, versuchen, zu verstehen, wie es mit Kosten und Nutzen aussieht. Wenn ich das nur vorschlage, heißt es, ein Demagoge, ein Verrückter, der Italien lahmlegen will, verantwortungslos! Nur weil diese Möglichkeit angesprochen wird!” Doch viele Bürger denken so: Für sie ist die EU weit weg, verteilt auf die Konferenzräume in Brüssel oder Straßburg. Und dieser neue Versuch eines Dialoges „all’italiana“ könnte vielen gefallen. Während heute alles besorgt auf Italien blickt, denken manche schon an die Europawahlen. 2014 sieht man sich wieder.

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