Eine Anti-Wilders Demonstration der islamistischen Organistaion Hizbut Tahrir in Jakarta im April 2008.

Geert Wilders ist den Indonesiern ein Rätsel

Der Einfluss des Rechtspopulisten auf die Regierung in Den Haag macht die Menschen in der ehemaligen niederländischen Kolonie perplex. Im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt haben die Niederlande ihren Vorbildstatus verloren.

Veröffentlicht am 11 Oktober 2010 um 14:30
Eine Anti-Wilders Demonstration der islamistischen Organistaion Hizbut Tahrir in Jakarta im April 2008.

Manchmal werde ich in Indonesien gefragt: "Wer ist Kert Wailders?’’. So bekannt Geert Wilders in den Niederlanden und den angrenzenden Ländern auch sein mag, so unbekannt ist er in der [seit 1945 unabhängigen] Ex-Kolonie, dem größten muslimischen Staat der Welt. Ich antworte, dass Wilders der Regisseur das Films "Fitna“ sei, dass für ihn der Islam eine barbarische Religion sei, dass er aus demselben ‚Kampong’ [Viertel oder Dorf] wie ich komme und dass wir neben dem Akzent einen anderen gemeinsamen Punkt hätten: die blondierten Haare. Zuerst wird gelacht und dann gefragt: „Und was hat der gegen Muslime?“

In den Niederlanden leben rund 800.000 Menschen mit indonesischer Herkunft. In Indonesien selbst gelten die Niederlande noch als ein kleines exzentrischen Land, wo alles erlaubt ist. Das Land der Freiheit und Toleranz, wo Homosexuelle sich im Standesamt abknutschen, wo im Tante-Emma-Laden Drogen verkauft werden und wo alle Menschen gleich behandelt werden.

Dass ein bekannter Politiker, der nun auch (mehr oder minder) mitregiert [die Partei für Freiheit duldet die Minderheitsregierung], den Islam als retrograd und barbarisch bezeichnet, ist den meisten Indonesiern völlig unverständlich. Waren die Niederlande denn nicht Vorbild für die ganze Welt als Schmelztiegel von Nationalitäten, Vorbild in Bezug auf religiöse Toleranz und individuelle Freiheit? Haben wir stolze und unabhängige Niederländer eine derartige Angst vor einem imaginären Feind, dass wir bereit sind, eine großen Teil der Weltbevölkerung zu beleidigen?

Zweihundert Millionen Muslime in der ehemaligen Kolonie

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Fast alle Indonesier sind fromm. Egal ob Muslim, Christ, Buddhist oder Hindu, die Religion nimmt einen wichtigen Platz ein und bestimmt das Leben der Menschen. Manch ein Pastor in den Niederlanden wäre neidisch angesichts der vollen Kirchen Indonesiens.

Für die meisten Indonesier ist die Beleidigung ihrer Religion auch eine persönliche Schmach. Indonesien rühmt sich, das Land zu sein, in dem Demokratie und Islam Hand in Hand gehen, das Land des freundlichen Islams, wo trotz einiger störender religiöser Agitatoren die moderaten Muslime das Zepter in der Hand halten. Das Land, das mehr als 200 Millionen Muslime zählt, mehr als der gesamte Nahe Osten, und wo die Festtage aller fünf Religionen offizielle Feiertage sind. Seit Jahrhunderten besuchen sich Muslime und Christen zu Weihnachten oder zum islamischen Opferfest, um sich alles Gute zu wünschen.

Im vergangenen Jahrzehnt wurde auch aufgrund der wachsenden Globalisierung der Einfluss der arabischen Welt immer spürbarer. Allerdings sind Hassprediger, die die öffentliche Ordnung stören und die Religion missbrauchen, den meisten Indonesiern verhasst. Sie verurteilen die Extremisten, ihre Bombenattentate sowie die islamistischen Ausbildungslager.

Die neue Regierung schockiert die Indonesier

Es ist ganz offensichtlich, dass trotz der abwiegelnden offiziellen Kommentare die von "Wilders geduldete Regierung“ Indonesien schockiert. Nicht, weil man sich in niederländische Angelegenheiten einmischen will, sondern weil sich die Menschen vor Ort willentlich angegriffen und erniedrigt fühlen. Ein Land, mit dem die Niederlande eine enge historische Verbindung hat. Ein Land, dass niemals weder eine Entschuldigung verlangt noch (wirklich) bekommen hat. Man kann die Dinge drehen, wie man will, die neue Regierung wird im Ausland als islamfeindlich wahrgenommen.

Aber sind die Niederlande wirtklich anti-islamistisch? In dem Ort im südlichen Limburg, wo ich geboren wurde, haben 30 Prozent der Menschen PVV [Partei für Freiheit] gewählt. Das wundert mich nicht. Für sie ist ein waschechter Limburger einer, der den Holländern aus dem Norden die Ohren lang zieht. Das hat nicht viel mit Muslimenhass zu tun. Muslime gibt es vielleicht zehn im Ort.

Strategie

Macht ihn zum Minister !

Der neue "Königsmacher“ der Niederlande, Geert Wilders, ist der derzeit prominenteste Vertreter der aufstrebenden ausländer- und islamfeindlichen Parteien in Europa, urteilt The Economist. Deshalb "sollte man ihn nicht unterschätzen“, warnt die Wochenzeitung. Denn "indem er den Islam zum Feindbild stilisiert, und eben nicht die Ausländer, indem er seine Rhetorik eher auf dem Wort "Freiheit“ und nicht auf dem Wort "Rasse“ basieren lässt, macht er es schwierig, ihm das Etikett des Reaktionären, des Rassisten und des Neonazi aufzudrücken.“

"Was sollen die bürgerlichen Parteien tun, wenn ihre Wähler eine rechtspopulistische Partei unterstützen?“, fragt The Economist. Weder die Partei isolieren, "was nur das Gefühl stärken würde, dass die Politiker die Wähler nicht erhören“, noch "eine Duldung aushandeln, die den Populisten zwar Macht aber keine Verantwortung gibt“ seien akzeptable Lösungen. "Ein mutigere Strategie“, meint The Economist, wäre gewesen, die Populisten mit der Ausübung von Macht zu konfrontieren. "Gehen wir das Risiko ein, und ernennen wir Herrn Wilders zum Außenminister: Wie lange könnte er dann weiter schwadronieren, dass der Koran verboten werden sollte?“

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