Der Anfang eines Kreuzwegs

In einem offenen Brief fordert ein zyprischer Hochschullehrer seine Landsleute dazu auf, Patriotismus zu beweisen und die Ärmel hochzukrempeln, um selbst das zyprische Bankensystem zu retten und schnellstmöglich den am 25. März in Brüssel ausgehandelten Rettungsplan zu überwinden.

Veröffentlicht am 25 März 2013 um 16:15

Heute verspüre ich mehr denn je das Bedürfnis, einige Zeilen zu schreiben: über das, was ich fühle, und auch, um zu versuchen, die zerfetzte Würde dieses Volkes zu sammeln. Letztere wurde von den unvertretbaren Maßnahmen zerstört, die uns unsere Partner in der Europäischen Union aufgezwungen haben.

Heute sind Tausende von Menschen aufgewacht und haben, anstatt ihre alltäglichen Verrichtungen auszuüben, eine riesige Leere verspürt. Denn ihr Land, Zypern, ist nicht mehr. Unsere Insel ist ein paar Wochen vor Ostern, zu Beginn der Fastenzeit verschwunden, hat vor dem Diktat der Troika (IWF, EU und EZB) kapituliert. In mir herrscht ein Gefühl von Abscheu, von Scham und von Enttäuschung. Was ist mit unserem Stolz, unserer Würde und unserer Widerstandskraft?

Die Zerstörung des Bankensystems bedeutet Verschwinden unseres Staats

Dass wir am Rande des Abgrunds standen, ist wohl zum größten Teil unsere eigene Schuld. Wir sind verantwortlich für diesen Zerfall, weil wir die Verwaltung unserer Angelegenheiten der Troika und den Technokraten der Euro-Gruppe überlassen haben. Die Zerstörung des Bankensystems wird das Verschwinden unseres Staats zur Folge haben. Die Leute werden ihre Arbeitsplätze verlieren und ihre Bemühungen um ein besseres Leben werden zunichte gemacht werden. Ihre Renten, die sie ein Leben lang angespart haben, werden zum selben Schicksal verurteilt sein wie die Bankguthaben und somit von unseren europäischen „Freunden“ angezapft werden. Bei solchen Freunden braucht man keine Feinde mehr!

Was soll aus den Tausenden von Angestellten werden, die ihre Arbeit verlieren und deren Einkommen den Schulden zum Opfer fallen? Die meisten von ihnen werden ohne jede Entschädigung entlassen werden. Was soll mit den Banken passieren? Werden sie wieder aufmachen? Wie viele von ihnen werden diese alptraumhafte Woche überleben? Es gibt viele Fragen. Jedenfalls sind wir am Ende unserer Kräfte und müde, darauf zu warten, dass andere an unserer Stelle über unsere Zukunft entscheiden.

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Die Seele der Hellenen beugt sich nicht dem ausländischen Diktat

Deshalb will ich mich mit diesen Zeilen an meine Landsleute wenden, an die einfachen Leute, und sie bitten, dieses Ziel in ihr Leben aufzunehmen: Lasst uns unser Bankensystem sanieren, damit die Troika wieder abzieht, und unsere solidarische Verbundenheit neu definieren. Jetzt müssen wir unseren Patriotismus beweisen. Wir müssen zeigen, dass die Seele der Hellenen sich nicht so einfach dem ausländischen Diktat beugt. Unsere Seele wallt auf und unsere Fäuste sind geballt. Wir suchen bereits nach Verantwortlichen, und ich bin sicher, dass wir sie finden werden. In diesen entscheidenden Stunden müssen wir vereint sein, unserem Land helfen und uns gegen den Feind erheben. Ja, genau als wären wir wieder im Krieg. Glauben Sie mir, wir erleben gerade einen Krieg, wenn auch in anderer Form. Unsere Landsleute aus der Diaspora können uns unterstützen, indem sie in die Tasche greifen. Wir müssen unserem Staat helfen, sich wieder aufzurichten. Denn dies ist nur der Anfang eines langen Kreuzwegs. Wir alle müssen nun Geduld und Courage beweisen.

Kommentar

Adieu, Steuerparadies Zypern

„Um es einfach auszudrücken“, so schreibt die Cyprus Mail kurz nach dem Abkommen zwischen den internationalen Geldgebern und der Regierung in Nikosia über den Rettungsplan in Höhe von zehn Milliarden Euro:

Die Troika hat den Sektor der Finanzdienstleistungen in Zypern potentiell verdampfen lassen und den Status des Landes als Steuerparadies unterhöhlt – eine bewusste Handlung, die die wilderen Ufer der Kapitalflüsse von und nach Europa kontrollieren sollte. Doch sie sollte auch die Steuerbemessungsgrundlage der EU-Mitgliedsstaaten abstützen, während diese unter dem Druck ihrer eigenen Bürger standen, umfassende Wohlfahrtssysteme zu unterhalten und zugleich zukünftige Steuererhöhungen nach oben hin zu begrenzen. [...] Nun hat der Finanzsektor keine Chance mehr und der Status Zyperns als Steuerparadies wurde schnell und gründlich demoliert. Dies nicht nur aufgrund der angehobenen Körperschaftssteuer, sondern auch weil jetzt die ganze Welt weiß, dass jeder, der Schwarzgeld anlegen und Steuern hinterziehen will, das zuallerletzt in Zypern tun sollte. Wer Geld zu verbergen hat, wird es nicht mehr in Zypern anlegen. [...] Die Troika hat diesem System nun einen Schock versetzt, aber ohne auch nur den Versuch einer Andeutung, wie es nun mit einem anderen Kurs der wirtschaftlichen Entwicklung von hier aus weitergehen könnte.

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