Ein Blick aufs Meer in Chania auf Kreta

Sonnige Zeiten für die alten Tage

Nicht nur reiche Westeuropäer wollen ihre alten Tage am Ende der Welt unter der wärmenden Sonne verbringen. Auch immer mehr tschechische Rentner verlassen ihre Heimat, und sei es nur, um „den Winter hinter sich zu lassen“.

Veröffentlicht am 3 April 2013 um 11:53
Ein Blick aufs Meer in Chania auf Kreta

Nach einer schweren Herzoperation hat Oldřich Šubrt, 80, beschlossen, dass ihm die Aussicht auf Senioren-Ausflüge nicht mehr ausreicht. Er wolle nun zumindest einen Teil seiner Zeit dort verbringen, wo er, wie er sagt, ein Paradies gefunden hat. Eine Sache aber macht ihm Angst: Dass er in der schönen griechischen Bucht, wo er seinen neuen Wohnsitz hat, beim Planschen im Wasser versehentlich ertrinken könnte.

Er hat Griechenland gewählt, weil die Menschen dort sehr alt werden, und er denkt, dass ein Aufenthalt dort sein Leben verlängern könne. Auch eventuelle Komplikationen nach seiner sechsfachen Bypass-Operation beunruhigen den Achtzigjährigen nicht. Darüber hinaus liebt er die Einsamkeit. „Die Welt ist ein einladender Ort. Wenn man wirklich Hilfe braucht, ist immer jemand da. Im Leben gibt es immer Augenblicke, in denen man allein ist. Selbst in der Heimat“, erklärt der seit Jahren geschiedene Vater zweier Kinder und achtfache Großvater. Er kommuniziert mit den Bewohnern der Bucht mit seinen paar Brocken Deutsch und Englisch. Und trotz der Sprachbarriere hat er bereits viele Freunde unter den Griechen, die dort auf ihren Familienbetrieben arbeiten.

70.000 tschechische Rentner leben im Ausland

Im europäischen Vergleich sind die 11.000 Kronen rund 429 Euro seiner tschechischen Rente nicht viel. Doch er hat in den vier Jahren, in denen er nun einen Teil des Jahres in Griechenland verbringt, gelernt, wie er ohne größere Sorgen am Meer leben kann. Für 2000 Euro mietet er vier Monate lang ein Häuschen mit Garten. Seine Rente würde dafür nicht reichen, doch Šubrt hat eine, wie er es nennt, „unkonventionelle Lösung“ gefunden. Er hat seine recht teure Prager Mietwohnung aufgegeben und lebt nun bei Freunden auf dem Land. Im Gegenzug für gelegentliche kleine Arbeiten lebt er dort während des „tschechischen Teil“ des Jahres völlig kostenfrei.

70.000 tschechische Rentner leben im Ausland, 20.000 seit den letzten fünf Jahren. Die Top-Ten-Destinationen sind die europäischen Nachbarländer. Dort leben vor allem Tschechen, die schon vor dem Rentenalter ausgewandert sind. Aber mehr und mehr Tschechen wollen das Image des grauhaarigen Rentners mit den bunten Farben des Abenteuers aufhellen. Einige wagen sich sogar in tropische Gefilde vor. Ein Phänomen, wie es bisher aus reichen Ländern bekannt ist. Man nennt die reisefreudigen Senioren „die Winternomaden“, weil sie beim ersten Nordwind des Winters die Segel setzen.

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Winternomadismus

Aber noch kann man nicht vom Winternomadismus als von einem Trend reden. Es sind eher Einzelfälle. „Solange es nicht eine tiefgreifende Verränderung in der Einstellung zur beruflichen Mobilität gibt, solange es nicht als normal angesehen wird, dass junge Menschen oder Familien aus professionellen Gründen auswandern, solange wird das erst recht bei Senioren als ungewöhnlich betrachtet werden“, meint Matěj Lejsal, Leiter der Abteilung innovative Pflege im Seniorenheim Domov Sue Ryder. „Die aktuelle Generation der Vierzigjährigen steht der Möglichkeit, die Rente im Ausland zu verbringen, viel offener gegenüber. Bei den Senioren heute rührt die Zurückhaltung aus der Isolation des Landes während ihrer Jugendzeit her.“

Die Geschichte der Eheleute Inka und Petr Frištenský, respektive 62 und 67 Jahre, ist der Beweis, dass der Winternomadismus nicht an erster Stelle eine Geldfrage ist. Sie zeigt sogar, dass es durchaus möglich ist, unter Palmen zu leben und gleichzeitig Geld zu sparen, schließlich sind tschechische Renten im Durchschnitt nicht gerade üppig.

„Das Wetter hat sich ein wenig abgekühlt. 28 Grad“, verkündet via Skype Petr Frištenský aus seinem Ferienwohnsitz in der nähe von Galle, einer Stadt auf Sri Lanka. Das Paar hat seine Prager Wohnung im Oktober verlassen und wird erst im April zurückkehren. Seit vier Jahren halten sie es so und sind überglücklich, „den Winter hinter sich zu lassen“.

Verzicht auf Komfort

Zunächst waren sie jahrelang einen Monat nach Sri Lanka gereist, ohne Reisebüro, als einfache Rucksacktouristen. Sie mochten das Land so sehr, dass sie beschlossen haben, sich dort niederzulassen. „Wir leben in einem Dorf. Der Ort hat nichts Besonderes, doch im Gegensatz zu Tschechien sind hier 95 Prozent der Menschen äußerst sympathisch, vor allem die Deutschen und Australier.“

Grundkenntnisse in Englisch reichen ihnen, um sich zu verständigen.
Um ihren Traum zu verwirklichen haben Oldřich Šubrt und die Frištenskýs etwas hinter sich gelassen, was man landläufig als Komfort bezeichnet. Šubrt hat seine Prager Mietwohnung aufgegeben und die Frištenskýs verzichten, wenn sie in Tschechien sind, auf Kino, Theater oder Restaurantbesuche. Sie machen jetzt lieber Radtouren im Grünen. „Unsere Freizeitbeschäftigungen kosten nicht viel“, erklärt Frau Frištenská. „Unserer Altersgenossen besitzen ein Landhaus und ein Auto. Wir besitzen nichts dergleichen.“

Wirtschaft

Schnelle Lösung oder langfristiger Plan?

„Drei Millionen Tschechen leben in einem Zustand der Ungewissheit über ihre Renten“, titelt Hospodářské noviny. Jeder Einwohner zwischen 35 und 55 Jahren hat drei Monate Zeit, um sich für ein zweites, privates Zusatzrentensystem zu entscheiden, das am 1. Januar aufgenommen wurde, oder sich ausschließlich auf das öffentliche Lohnabzugsverfahren zu verlassen.

Unterdessen droht die sozialdemokratische Opposition, das private System nach den Parlamentswahlen von 2014, die sie voraussichtlich gewinnen wird, zu verstaatlichen – so wie es die ungarische und die polnische Regierung vor ein paar Jahren getan haben. Die Befürchtung der Menschen, sie könnten Geld verlieren, falls die Opposition die kommenden Wahlen gewinnt, ist die größte Abschreckung gegen den Plan. Die Wirtschaftszeitung erklärt:

Zur leichten Verbesserung ihrer Renten können die Menschen mit dem neuen System drei Prozent ihres Bruttoeinkommens vom staatlichen System abzweigen und in einen privaten Fonds einzahlen. Doch sie müssen zusätzlich auch zwei Prozent aus eigener Tasche zahlen.

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