Zusammenkunft der Tea Party Express in Clinton Township, Michigan, April 2010

Europa trifft die Tea Party

Kann sich Barack Obama gegen die ultrakonservative Welle durchsetzen? Die amerikanischen Wahlen am 2. November betreffen auch Europa, wo die Ängste der Bürger populistischen Parteien Auftrieb geben.

Veröffentlicht am 1 November 2010 um 13:50
Zusammenkunft der Tea Party Express in Clinton Township, Michigan, April 2010

Präsident Obama, noch bis vor zwei Jahren Hoffnungsträger des gesamten Planeten wird heute vom Phänomen Sarah Palin überholt, das sich zu einer politische Bewegung entwickelt hat. Angela Merkel, Kanzlerin in Deutschland, wo die Arbeitslosenquote so niedrig ist wie seit 20 Jahren nicht mehr, schafft es nicht, ihren Absturz in den Meinungsumfragen aufzuhalten. Nicolas Sarkozy, Superpräsident, der mit dem Versprechen angetreten ist, die Franzosen würden „mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ hat mit einer Straßenrevolution zu kämpfen.

In Europa brodelt eine explosive Mischung aus Protest, Resignation und Ablehnung der Einwanderung, die nichts Gutes verheißt. Die Vereinigten Staaten scheinen an einem Punkt in ihrer Geschichte zu stehen, wo die Irrationalität und der Populismus gegen die Politik, die Einwanderung und den Rest der Welt in eine kollektive Katharsis mit ungewissem Ausgang münden könnten.

Allgegenwart der Neuen Medien

Die weltweite Krise, die dem Herzen des kapitalistischen Systems selbst entsprungen ist und auch die stärksten Weltwirtschaften und deren Lebensart hart getroffen hat, wird nun gefolgt von einer tiefgreifenden politischen und sozialen Krise. Das Übel hat dies- und jenseits des Atlantiks unterschiedliche Erscheinungsformen. Aber beide zeugen von der gleichen Unsicherheit gegenüber einer Welt, in der unsere Lebensweise und der Status der starken Demokratien, an die wir uns gewöhnt hatten, plötzlich viel stärker bedroht sind.

Unsere heutige Zeit unterscheidet sich dadurch von früher, dass Internet und Kabelfernsehen zu allgegenwärtigen Medien der Bürger geworden sind, die Konflikte schüren, Individuen mobilisieren, Kommunikationsnetze wie Kraken spinnen können, wo Emotionen wichtiger sind als das Denken. Das ist vielleicht auch der ideale Nährboden für den Populismus. Aber es sind auch die gleichen Internetnetzwerke, die neue Teile der Gesellschaft zum politischen Engagement und zur Wahl Obamas bewegt haben.

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Die Straße wird sich über die Politik hinwegsetzen

Wir haben es hier mit einer neuen Wirklichkeit zu tun, deren Auswirkungen auf unsere demokratischen Gesellschaften noch nicht abzuschätzen sind. Das ist ein weiterer Aspekt des neuen amerikanischen Phänomens: trotz der augenscheinlichen „Gemäßigtheit“ der Wähler, ist die Mehrheit der Amerikaner nicht mit ihrer Regierung und den gewählten politischen Vertretern zufrieden und hat auch wenig für die Kultur in Washington übrig. Europäer wie Amerikaner haben Angst vor der Zukunft und vertrauen ihren regierenden Eliten nicht. Sie begreifen die Welt, die aus dieser Krise entstanden ist nicht, sie fürchten sich vor China so wie sie sich vor dem „anderen“ fürchten, der ihr Nachbar ist. Der Hauptunterschied liegt wahrscheinlich darin begründet, dass die Reden Obamas in einer sich rasch wandelnden Welt trotz allem einen Sinn ergeben, auch wenn seine Worte es nicht vermögen, die Amerikaner zu beruhigen.

In Europa lassen sich nur schwer Reden finden, die den Bürgern die Wahrheit sagen, die ihnen einen Weg aufzeigen, der Sinn ergibt und sei er noch so schwer zu beschreiten. Und trotzdem könnte dies das einzige Mittel sein, um die Mitte zu stärken und die gemäßigten Kräfte zu mobilisieren. Die Notwendigkeit eines solchen politischen Diskurses wird immer dringender: wenn nichts geschieht, dann wird es nicht die Politik sein, die Antworten auf die Ängste der Straße anbietet, sondern dann wird sich die Straße über die Politik hinwegsetzen. (rb)

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