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Fummelei bei der Bodenfrage

Die EU-Gesetzgebung schützt europäisches Wasser und europäische Luft. Doch während sich die Umweltminister der Union am 25. Juni in Luxemburg treffen, bemerkt The Guardian, gibt es keinen solchen Schutz für ein anderes lebenswichtiges Element - den Boden.

Veröffentlicht am 25 Juni 2009 um 12:59
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An einem Abend vor ein paar Tagen durfte ich eine fast magische Erfahrung eigentlich ganz gewöhnlicher Natur machen: Im Alter von 38 Jahren habe ich zum ersten Mal ein Gemüse gegessen, das ich selber angebaut habe. Es handelte es sich um eine ganz einfache Schalotte, die in meinem Mund aber einen Beigeschmack von Stolz und Erfolg entwickelte.

Wie viele der europäischen Umweltminister, die sich am 25. Juni in Luxemburg versammeln, produzieren ihre eigenen Lebensmittel? Ich stelle diese Frage nicht, weil ich denke, dass ich dank meines Erfolges mit diesem Porreegewächs schlagartig mehr Glaubwürdigkeit als Umweltschützer verdient habe, als die politischen Führungspersonen dieses Kontinentes. Ich stelle sie vor allem, weil ich daran zweifele, dass viele von ihnen sich wirklich mit der Erde verbunden fühlen, wenn man bedenkt, auf welche Art und Weise sie diese missachten.

Vor drei Jahren hat die Europäische Kommission ein Rechtssystem für den Schutz der Böden entworfen. Drei Jahre später steht dieses kurz davor, auf den Komposthaufen zu landen, da eine kleine aber mächtige Gruppe von Regierungen ihre Zustimmung verweigert. Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich und die Niederlande sind allesamt dagegen, weil seine Durchsetzung, wie die einen sagen, zu kostspielig sei, beziehungsweise, wie die anderen behaupten, der Boden ein Thema sei, das in den nationalen Aufgabenbereich gehört.

Irreführende und trügerische Argumente. Der Vorschlag ist nicht nur weit davon entfernt, zu kostspielig zu sein. Vielmehr fordert er schlicht und einfach nicht genügend Verantwortung von den Regierungen, die einen Bodenschatz schützen sollten, ohne den niemand leben könnte. Die Politiker oder Beamte der Regionen, deren Bodenqualität besonders gering ist, haben keinen einzigen Grund dafür eine eventuelle Vorladung vor Gericht durch die Brüsseler Bürokraten zu fürchten. Statt des so dringend notwendigen Eingreifens fordert das Gesetz von den Regierungen einfach nur, dass diese die Regionen identifizieren und eine Inventarliste der verseuchten Standorte aufstellen, die von Problemen wie Bodenerosion und Versalzung betroffen sind. Hier sollen Sanierungspläne anschließend helfen.

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Die Sage vom Schutz der Böden veranschaulicht auf beunruhigende Weise wie sehr die Umweltpolitik der EU an auseinander driftenden Meinungen krankt. Während stark einschränkende Gesetze verabschiedet wurden, um die Luft und das Wasser zu schützen, fehlt es der Europäischen Union noch immer an vergleichbaren Maßnahmen bezüglich ihrer Böden. Jedes x-beliebige pfiffige Kind wäre imstande, die enge Verbindung dieser Themen zu erkennen und zu erklären. Doch offensichtlich sind unsere so gut ausgebildeten politischen Verantwortungsträger außerstande zu begreifen, dass es völlig unsinnig ist, die Einen zu schützen und die Anderen gleichzeitig außer Acht zu lassen.

Das Beispiel des Großbritanniens, das noch immer zögert, dem Plan zuzustimmen, beweist einmal mehr, dass Tony Blair und Gordon Brown sich hinsichtlich des Klimawandels in inhaltsloser Redekunst üben. Wenn die Böden richtig geschützt würden, so können sie als "Kohlenstoffdioxidsenken" wirken. 20 Prozent unserer Kohlendioxidausstöße könnten sie dann absorbieren. Wenn die Böden allerdings geschädigt sind, so kommt es zum gegenteiligen Effekt: Anstatt das Kohlendioxid aufzunehmen, stößt der Boden es vielmehr aus. Jährlich verliert der britische Boden 0,6 Prozent seiner organischen Masse. Der sich daraus ergebende Anstieg der Kohlenstoffdioxidausstöße entspricht etwa fünf Millionen zusätzlichen Autos auf den Straßen. Doch dieses Problem existiert nicht erst seit gestern. Tatsächlich hat der britische Boden zwischen 1980 und 1995 18 Prozent seiner organischen Masse verloren. 2004 hat die Britische Agentur für Umweltschutz bekannt gegeben, dass die Schädigung der Böden in England und in Wales durch die intensive Landwirtschaft verursacht wird und die Misswirtschaft der Wälder unhaltbar geworden ist.

Überall in Europa haben leichtsinnige Industriepraktiken tausende von Standorte verunreinigt. Hinzu kommt, dass auf Grund des Datenmangels niemand genau weiß, wie hoch die Beschädigung tatsächlich ist. Von Seiten der Kommission hört man, dass die europäische Wirtschaft aufgrund der Schädigung der Böden jährlich ca. 38 Milliarden Euro verliert. Eine höchstwahrscheinlich viel zu vorsichtige Schätzung.

Doch reichen nicht ein paar Gesten und Handgriffe, um die Böden vor den zukünftigen Schädigungen zu schützen. Eine umfassende und wirksame Strategie ist notwendig, um die erforderlichen Reformen der Agrar- und Industriepolitiken einzuleiten, und eine klügere und sinnvollere Abfallwirtschaft durchzusetzen. Jedoch scheinen wir von einer solchen Strategie nicht nur meilenweit entfernt. Schlimmer noch: Unsere Regierung ist nicht einmal fähig, einige Mindestregelungen zu akzeptieren. Unmöglich ist es, wenn einen das nicht zur Verzweiflung bringt.

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