Krakau? Wir sind da viel besser, behauptet Barbara Tekieli, Leiterin des Fremdenverkehrsamts in Warschau. Beweis: die jüngsten Daten der staatlichen Tourismusbehörde besagen, dass im vergangenen Jahr 2,3 Millionen ausländische Besucher Warschau besichtigt haben und dabei rund 800 Millionen Euro ausgaben. Demselben Bericht zufolge waren es in Krakau nur 900.000 ausländische Besucher bei einem Umsatz von 330 Millionen Euro.
In Krakau aber nimmt niemand diese Daten ernst. Die Zahl der Besucher läge nicht bei 900.000, sondern bei 1,95 Millionen. Die Angaben aus Warschau wären schlicht falsch, versichert Pawel Mierniczak, Leiter des Fremdenverkehrsamtes der Region Kleinpolen. Er erklärt diese Unterschiede in der Statistik durch die verwendete Methode. Dennoch scheint es unzweifelhaft, dass Warschau die dynamischere der beiden Städte ist. Das Touristikangebot der Metropole wächst rasant. Nicht weniger als acht Museen von europäischem Niveau wurden oder werden in Kürze eröffnet.
Warschauer Architektur: Wolkenkratzer ohne Ende
Warschau ist ein Experimentierfeld für die renommiertesten Architekten der Welt, wie beispielsweise Daniel Libeskind, der auch den Freedom Tower auf Ground Zero baut. Derzeit entsteht gleich neben dem Hauptbahnhof sein Wohnhaus Zlota 44. Oder der deutsche Stararchitekt Helmut Jahn, der den Potsdamer Platz in Berlin gestaltete. Schon jetzt gibt es, abgesehen von Paris, London oder Frankfurt, in keiner anderen Stadt der Europäischen Union so viele Wolkenkratzer wie in Warschau. Die Hauptstadt ist zudem ein beliebtes Reiseziel der Menschen aus den Ex-Sowjetrepubliken. Die Einkaufsmeilen Galeria Arkadia oder Zlote gehören zu den größten Europas.
Dem vor fünf Jahren eröffneten Museum des Warschauer Aufstands läuft man die Türen ein. Mit erwarteten 600.000 Besuchern in diesem Jahr ist es nach dem Zoo die beliebteste Touristenattraktion der Stadt. „Im Ausland hat man schon vom Warschauer Ghetto gehört, aber fast niemand kennt die Geschichte des Warschauer Aufstands der größte Aufstand des polnischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung vom August 1944. Es dauert sicher noch etwas, bis sich das ändert, doch haben wir erste Erfolge zu verzeichnen“, versichert Anna Kotonowicz, Sprecherin des Museums.
Krakau baut ultramodernes, unterirdisches Museum
Chopin ist und bleibt ein Touristenmagnet. Im April eröffnete eröffnete das ultramoderne Chopin-Museum im Schloss Ostrogski. Seither ist die Zahl der japanischen Touristen um ein Drittel gestiegen. Das Museum zur Geschichte der polnischen Juden, dass in eineinhalb Jahren öffnen soll, erwartet ein spezifisches Publikum: Junge Israelis, die nach Polen kommen, um auf den Spuren des Holocausts zu wandeln. Bis dato verbrachten diese Besucher nur ein paar Stunden in der Hauptstadt, bald werden es ein ganzer Tag und mindestens eine Übernachtung sein.
Doch Krakau sieht dem nicht tatenlos zu. Ein ultramodernes und unterirdisches Museum zur Geschichte des Mittelalters wurde jüngst am berühmten Marktplatz der Metropole eröffnet. Auch die vollständig restaurierten Tuchhallen wurden wiedereröffnet. Und in der Fabrik Oscar Schindlers wurde nach dem Spielberg-Film ein Museum zur Geschichte der polnischen Besatzung eingerichtet.
Wer wird das zweite Prag?
Im Gegensatz zu Warschau gibt es im Umland von Krakau vielerlei Sehenswürdigkeiten. Und nicht nur Auschwitz (der meistbesuchte Ort Polens), Wieliczka (Salzbergwerk) oder das Marienheiligtum Jasna Gora, sondern auch die Berge der Karpaten Tatras und Pieniny sowie die Schluchten des Dunajec. Trotz dieser klaren Vorteile scheint Krakau sein Potenzial ausgeschöpft zu haben und muss neue Wege finden, um mehr ausländische Besucher anzulocken. Krakau hatte den Ehrgeiz ein zweites Prag zu werden, doch zieht die Stadt bis jetzt nur halb soviel Touristen an wie die Perle an der Moldau.
Die Fußball-Europameisterschaft 2012, bei der Krakau nicht Austragungsort ist, bietet Warschau eine weitere Gelegenheit neue Besucher anzuziehen. Rund 100.000 Fans werden erwartet. 2016 könnte Warschau zudem Kulturhauptstadt Europas werden. Die Hauptstadt gehört zu den fünf polnischen Bewerbern. Krakau ist nicht mit von der Partie. Und was vor allem für Warschau spricht, ist ein weltweiter Trend im Tourismus. Hat man erst einmal Paris, London und Rom gesehen, sucht man neue Reiseziele auf seiner Hauptstadttour. Und Warschau bietet da eine interessante Option. (js)