„Ich seh' hier nichts Ungewöhnliches”

Man lernt nicht einfach aus Geschichte

Kaum eröffnet, wurde der Prozess gegen die fünf Mitglieder des NSU vertagt. Egal was noch kommen mag, wird er weder die vollständige Wahrheit über den rechtsextremen Terror ans Licht bringen, noch den eigentlichen Skandal der NSU-Affäre vergessen lassen können: die Unfähigkeit und Blindheit der Ermittlungsbehörden.

Veröffentlicht am 7 Mai 2013 um 15:31
„Ich seh' hier nichts Ungewöhnliches”

Der Prozess, der am 6. Mai eröffnet [und gleich am ersten Tag auf Antrag der Verteidigung vertagt wurde] ist kein NSU-Prozess. So wenig wie der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945-46 und der Frankfurter Auschwitzprozess 1963-65 NS-Prozesse waren und so wenig wie der Stammheimer Prozess 1975-77 ein RAF-Prozess war. In allen Fällen waren und sind es Prozesse gegen einzelne nationalsozialistische, links- und rechtsterroristische Angeklagte.

In München wird gegen Beate Zschäpe und andere verhandelt, nicht mehr, nicht weniger. Ein Gericht kann und muss individuelle Schuld ermitteln und die Täter bestrafen – über eine Epoche, eine Ideologie sowie deren Verwurzelung in der Bevölkerung kann und darf es nicht urteilen. Das mag für viele enttäuschend sein.

Denn diejenigen, die in solchen Prozessen vor den Schranken der Justiz stehen, sind meist traurige, verwirrte, verstockte Gestalten – nicht groß und monströs, sondern sehr klein. Schaut man ihnen in die Augen, erkennt man das Böse und seine Gründe nicht.

Deswegen hat der Aufmerksamkeitsauftrieb, den der Münchner Prozess schon lange vor seinem Beginn ausgelöst hat, etwas Übertriebenes, die Vergeblichkeit umweht ihn schon jetzt. Er wird nicht ermitteln können, wonach ein Teil der Öffentlichkeit giert. Und er macht aus der Hauptangeklagten unvermeidlich eine interessante, rätselhafte Persönlichkeit, die sie – nach allem, was man trotz ihres Schweigens weiß – nicht ist. Wieder einmal ist das Böse banal, und man sperrt sich dagegen, das hinzunehmen.

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Beate Zschäpe - die Banalität des Bösen

Beate Zschäpe ist nicht nur Gründungsmitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU), sondern auch dessen „Gesicht”, meint Der Spiegel. Zschäpe wird vorgeworfen, zwischen 2000 und 2007 an der Ermordung von acht türkisch- und einem griechischstämmigen Menschen beteiligt gewesen zu sein, sowie an dem Mordanschlag auf zwei Polizisten und einem Bombenattentat in Köln.

Die 1975 in Jena (Thüringen) geborene Tochter einer Deutschen und eines Rumänen wurde von ihren Eltern zu ihrer Großmutter abgeschoben, bei der sie aufwuchs. Ihre „richtige Familie” jedoch sollten die terroristischen Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden, mit denen sie nacheinander liiert war und „kriminell wurde”, erklärt das Magazin.

In den 1990er Jahren gehörte das unzertrennliche Trio dem „Thüringer Heimatschutz” an, der damals größten Neonaziorganisation in Thüringen. Zusammen schändeten sie ein Mahnmal für Opfer des Faschismus und mieteten eine Garage, um darin Bombenattrappen zu bauen, schreibt Der Spiegel weiter.

Beate Zschäpe habe jedoch vor allem den Schein nach Außen wahren sollen:

Sie war zuständig für die Fassade. Sie gerierte sich als zuvorkommende Nachbarin, loyale Freundin und hilfsbereite Mitbewohnerin [...]. Zschäpe erweckte durch eine offene, sympathische Art bei Fremden Vertrauen [...]. Man könnte meinen, Zschäpe habe im Untergrund eine unstillbare Sehnsucht nach Normalität gehabt.

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