Der Turm von Seymour auf der Kanalinsel Jersey.

Die Schatzinsel im Rampenlicht

Die EU nimmt den Kampf gegen die Steueroasen ernst. Der beste Beweis dafür ist das Gipfeltreffen zu diesem Thema am 22. Mai. In diesem Rahmen muss sie jedoch auch in ihren eigenen Reihen aufräumen, wo Rechtssubjekte wie das florierende Jersey von geschichtlich bedingten unklaren Verhältnissen profitieren.

Veröffentlicht am 21 Mai 2013 um 12:55
Der Turm von Seymour auf der Kanalinsel Jersey.

Die Behörden dieser beinahe unabhängigen Insel sind in eine Polemik verwickelt, die nichts mit der Vergangenheit zu tun hat. Ihr Wirtschaftssystem, das auf sehr niedrigen Steuersätzen bzw. einer Nullbesteuerung basiert, wird von den übrigen Staaten und besonderes deren Bürgern, die ständig größere Opfer bringen müssen, während andere dank dieser Oasen steuerfrei ausgehen, nicht geschätzt.

„Wir sind kein Kasino, sondern ein Zentrum, das Gelder sammelt, um sie an anderer Stelle wieder zu investieren. Europa braucht diese Anlagen. Wir sind ein Bestandteil der Lösung, nicht das Problem“, versichert der Wirtschaftsminister der Kanalinsel Philip Ozouf. „Diese Regierung hat sich immer an die internationalen Regeln gehalten und wird es auch weiterhin tun“, unterstrich der Regierungschef Ian Gorst Anfang der Woche.

100.000 Einwohner, 140 Milliarden Euro Einlagen

Trotz der Argumente der Behörden des kleinen Eilands und der Finanzlobby ist Jersey, das nur 100.000 Einwohner, aber Bankeinlagen von mehr als 140 Milliarden Euro zählt, den Aktivisten der internationalen Tax Justice Network zufolge die siebtgrößte Steueroase der Welt. „In Jersey gibt es zwar kein Bankgeheimnis wie in der Schweiz oder auf den Bahamas, aber es gibt andere Wege, das Geheimnis zu wahren: über Fonds, Offshore-Einrichtungen und seit 2009 auch Stiftungen“, erklärt ein Sprecher dieser Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr Transparenz an den internationalen Finanzplätzen stark macht.

„Die OECD hat uns nicht auf die Liste der Steueroasen gesetzt“, verteidigen sich die Behörden von Jersey. „Auf dieser Liste stehen nur die kleinen Pazifikinseln Nauru und Niue. Wenn man dieser Liste Glauben schenkt, dann gibt es auf der ganzen Welt sonst keine Steueroasen“, erwidert Mike Lewis, Berater der Organisation Action Aid. „Alle Steueroasen stützen sich auf dieses Argument. Sie weisen auf die Liste der OECD um zu beweisen, dass sie sauber sind“, erläutert der Schriftsteller und Journalist Nicholas Shaxson.

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Aber Jersey steht nicht nur unter dem Druck der Nichtregierungsorganisationen und der Bürgerbewegungen. Auch auf staatlicher Ebene scheint man nun entschlossen zu sein, der Steuerflucht ein Ende zu setzen.

Bereit zum Kampf gegen Steuersünder

„Die Botschaft ist einfach: Wenn du Geld versteckst, holen wir es uns“, meinte der britische Finanzminister George Osborne letzte Woche, als London im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlung mit den USA und Australien 100 Steuerbetrüger entdeckte, die ihr Geld in Singapur sowie auf den britischen Jungferninseln, den Caimaninseln und den Cookinseln ins Trockene gebracht hatten. Dieser neue Wind veranlasste Jersey, dem automatischen Austausch von Bankkundendaten mit London und Washington zuzustimmen.

Organisationen wie Tax Justice fordern, dass alle Länder Europäischen Union sich dem Austausch anschließen, um die Steuerflucht endlich wirksam zu bekämpfen. Jersey ist bereit, sich dem System anzuschließen, sollten die 27 diesen Schritt wirklich unternehmen.

Als Vertreter des Finanzsektors von Jersey gibt sich Geoff Cook angesichts dieser neuen aufsichtsrechtlichen Welle eher zurückhaltend. „Wir wollen gute Nachbarn sein und mit den Behörden der übrigen Staaten zusammenarbeiten. Wenn unsere Kunden aber den Eindruck haben, dass nur die Europäer die Daten weiterleiten, wandern sie einfach in andere Länder ab. Der automatische Datenaustausch ist ausgezeichnet, wenn ihn alle Staaten praktizieren“, versichert der Brite, der als Sprecher von Jersey Finance die Interessen einer Branche vertritt, auf die 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts entfallen.

London herrscht über ein Fünftel der Steueroasen

Wirtschaftsminister Philip Ozouf ist dem Journalisten gegenüber, der für das Gespräch eigens auf seine Insel gekommen ist, sehr freundlich. Bis eine Frage sein Lächeln erstarren lässt. Die britische Regierung schätzt, dass ein automatischer Datenaustausch mit den drei Besitzungen der britischen Krone rund 1 Milliarde Pfund (1,185 Milliarden Euro) in die Staatskassen fließen lassen würde. Gibt London damit nicht zu, dass es sich de facto um Steueroasen handelt? „Das sind nicht unsere Zahlen. Wir sind nicht damit einverstanden. Aber auch wenn sie richtig wären, würden sie dem entsprechen, was Jersey, Guernsey und die Isle of Man in den nächsten fünf Jahren einbringen würden“, so der Minister.

Trotz des neuen großen Bruders, der die Kleinen dazu zwingt, die Regeln einzuhalten, schwimmt das Vereinigte Königreich bis heute in einer Unklarheit, die den ehemaligen Kolonien, den Überseegebieten und den Kronbesitzungen freie Hand lässt. London herrscht über ein Fünftel der Steueroasen der Welt. Und viele Kritiker sind sogar der Meinung, dass es mehr sein könnten. Nicholas Shaxson beschreibt in seinem Bestseller Treasure Islands (Schatzinsel), das zur Bibel der Bewegungen zum Kampf gegen Steueroasen geworden ist, Jersey als eine Kombination aus „einer futuristischen Offshore-Finanzeinrichtung und einem mittelalterlichen politischen System“.

Ein eigenartiges Steuersystem

Nicht nur die politische Struktur von Jersey ist sehr eigenartig, auch sein Steuersystem. Die Behörden haben eine Vorliebe für runde, unkomplizierte Steuersätze: 0 Prozent auf Nicht-Finanzunternehmen, 10 Prozent auf Finanzunternehmen und 20 Prozent auf Erträge ungeachtet der Höhe der Erträge.

Es steht viel auf dem Spiel. Organisationen wie Tax Justice haben sich ein dreifaches Ziel gesetzt: Sie wollen herausfinden, wie viel Privatanleger, Unternehmen, Fonds und Stiftungen in den Steueroasen anlegen, den automatischen Datenaustausch zwischen allen Staaten durchsetzen und die Schwellenländer einbeziehen, damit die Transparenz allen zugutekommt.

Einige Fortschritte wurden bereits erzielt. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien sind übereingekommen, zusammen gegen Unternehmen zu ermitteln, die ihr Geld in Steueroasen verschieben. Die europäischen Staats- und Regierungschefs wollen diese Woche anlässlich des Gipfeltreffens einen gemeinsamen Rahmen zum Kampf gegen die Steuerflucht festschreiben. Wenn die Riesen der Politik entschieden durchgreifen, müssen sich auch Zwerge wie Jersey fügen. Leider kann niemand garantierten, dass die Großen nicht schon wieder eine Chance verpassen.

Steuerflucht

Das Europäische Parlament macht Druck

Das Europäische Parlament dürfte am 21. Mai eine Entschließung verabschieden, mit welcher es die Mitgliedsstaaten zum Handeln gegen Steuerflucht aufruft.

Die EU-Abgeordneten wollen, dass die Steuerlücke – also der Verlust der EU aufgrund von Steuerbetrug und Steuerflucht – bis 2020 um die Hälfte verringert wird, erklärt De Standaard. Die belgische Tageszeitung erinnert daran, dass Steuerbetrug und Steuerflucht die EU jedes Jahr eine Billion Euro kosten, was für jeden europäischen Bürger auf 2000 Euro kommt und schreibt weiter:

Die 27 Staats- und Regierungschefs werden sich vorrangig darum bemühen, den automatischen Austausch von Daten und Informationen zu erweitern, und dies nicht nur auf europäischer, sondern auch auf weltweiter Ebene. Sie hoffen auch, so schnell wie möglich Verhandlungen mit Steuerparadiesen wie der Schweiz, Liechtenstein, Monaco, Andorra und San Marino aufzunehmen, damit diese dieselben Maßnahmen ergreifen wie die EU. Weiter wollen sie bis Ende des Jahres die Richtlinie von 2005 über die Anlagen von Privatpersonen in anderen Mitgliedsstaaten auf andere Einkommensquellen wie Investmentfonds, Stiftungen und Trusts erweitern. Österreich und Luxemburg sind noch nicht gänzlich überzeugt, doch der Druck ist so stark, dass es sich nur um eine Frage der Zeit handelt, wie europäische Quellen berichten.

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