Alles Präsident Băsescus Leute?

Wer hat in Rumänien das Sagen?

Die Veröffentlichung von Abhörungsprotokollen der Gespräche zwischen Medienzaren, Politikern und Journalisten enthüllt die inzestuöse Welt der rumänischen Politik.

Veröffentlicht am 9 November 2010 um 16:56
Alles Präsident Băsescus Leute?

Wenn sie gefragt werden, wer in ihrem Land das Sagen hat, antworten viele Rumänen ohne jegliches Zögern: „Der Geheimdienst.“ Verschwörungstheorien waren schon immer die beliebteste Erklärung für wichtige politische Ereignisse im Land oder gar in der Welt, selbst manche Naturkatastrophen werden geheimnisvollen Machthabern mit Hintergedanken zugeschrieben. Kürzlich lösten Presseskandale im Zusammenhang mit dem Niedergang zweier höchst einflussreicher rumänischer Medienmoguln eine neue Welle von Verschwörungstheorien aus, die den Geheimdienst einbeziehen. Und von letzterem heißt es wiederum, er sei weitgehend in der Hand von Staatspräsident Traian Băsescu.

Im September wurde einer der reichsten Männer in Rumänien, Sorin Ovidiu Vîntu, Gründer und Eigentümer des Medienkonzerns Realitatea, wegen Beihilfe zur Landesflucht eines verurteilten Betrügers verhaftet (und seitdem wieder freigelassen, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind). Zu dem Fall gehörte der Zusammenbruch eines als Investmentbank getarnten Schneeballsystems, was zumindest teilweise den Ursprung von Vîntus Vermögen zu erklären scheint.

Medienzare drangsalieren und erpressen

Der Sturz der Medienzare begann im Juni mit der Verhaftung von Dan Diaconescu, Eigentümer und Starjournalist von OTV, dem größten rumänischen Skandal-TV-Sender. Auch er wurde bis zum Abschluss der Ermittlungen wieder auf freien Fuß gesetzt. Er wurde beschuldigt, Abgeordnete und Handelsunternehmen drangsaliert und erpresst zu haben, darunter auch eine renommierte Biermarke, von welcher angeblich – unter Androhung einer negativen Medienkampagne in den Programmen des publikumsstarken Senders – beträchtliche Summen verlangt wurden.

In beiden Fällen tauchten die Abhörungsprotokolle von Privatgesprächen der angeklagten Medienmoguln mit Politikern, Journalisten und anderen Privatpersonen in der Presse auf, woraufhin es hieß, der Geheimdienst selbst sei für die Indiskretionen verantwortlich, um Băsescu einen Gefallen zu tun und die Öffentlichkeit von der aktuellen Wirtschaftskrise abzulenken. Băsescu ist zwar der Vorgesetzte der Spionagedienste des Landes, die ihm täglich Bericht erstatten, doch die Erlaubnis zum Abhören suspekter Telefongespräche muss von einem Richter erteilt werden.

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Medienzare entscheiden politische Karrieren

Die Protokolle zeigen, dass Vîntu die sklavische Ergebenheit bedeutender Medienakteure genoss, sogar wenn diese nicht direkt für ihn arbeiteten. Die Beteiligten versuchten daraufhin, die ganze Geschichte auf eine persönliche, von Băsescu angeführte Vendetta gegen die Medienzare zu reduzieren. Der angebliche Grund: letztere hatten bei der Präsidentenwahl von Dezember 2009 offen seinen Rivalen, den Sozialisten Mircea Geoana, unterstützt. Überraschend war bei besagter Wahl der intensive persönliche Einsatz der Medienmagnate, von denen zumindest einige ein persönliches Interesse daran hätten haben können, auf einen sozialistischen Präsidenten in Bukarest zu drängen. Die Tatsache, dass sie in den 90er Jahren, während der beiden vorigen Amtszeiten der Sozialisten, unter fragwürdigen Umständen reich wurden, war nie ein Geheimnis.

Die Protokolle, die wochenlang Schlagzeilen machten, bieten einen faszinierenden Einblick in die inzestuöse Welt der rumänischen Politik, in welcher Medienunternehmer für politische Karrieren ausschlaggebend sein können. Leser, Zuschauer und Zuhörer entdeckten eine Welt der Korruption und der Gangstersprache, in der Politiker mit Kraftausdrücken und sexuellen Anzüglichkeiten um sich werfen.

Öffentlichkeit glaubt an Verschwörung

So erfuhren die Leser etwa, wie sich der Präsidentschaftskandidat Geoana am Wahlabend des 6. Dezembers 2009 bei Vîntu dafür entschuldigte, nicht sofort seinen Anruf entgegengenommen zu haben. Sie lasen auch, wie Vîntu während eines Gesprächs mit einem liberalen Politiker das Ressort des Verteidigungs- oder Finanzministers verlangte. Die Liberalen unterstützten Geoana bei der Wahl gegen den amtsinhabenden Băsescu.

Die Reaktion des Großteils der Presse und der Öffentlichkeit war typisch für die „Verschwörungsmentalität“. Meist wurde die Situation dahingehend interpretiert, dass Băsescu alte Rechnungen begleiche, indem er dem Geheimdienst anordnete, die Protokolle an die Presse durchsickern zu lassen. Die Tatsache, dass die Protokolle vor dem Gesetz für jeden einsehbar sind, der einen entsprechenden Antrag stellt, wurde stillschweigend ignoriert. Es ist doch viel beruhigender, einen Feind identifiziert zu haben.

Übersetzung von Patricia Lux-Martel

Presse

Eine „Bedrohung“ für die Sicherheit des Staates

Der Jurnalul Naţional freut sich über die „europäische Unterstützung für die rumänischen Presse“, nachdem das EU-Parlament in Straßburg gestern eine Ende September von mehreren rumänischen Gewerkschaften eingegebene Unterschriftensammlung angenommen hat. Die Journalisten protestieren dagegen, dass die Presse in der Nationalen rumänischen Verteidigungsstrategie (SNAp), die derzeit vom Parlament in Bukarest bearbeitet wird, zu den eventuellen Bedrohungen der nationalen Sicherheit gezählt wird. „In einer freien Demokratie ist die Presse frei“, erklärte diesbezüglich Viviane Reding, die europäische Kommissarin für Justiz und Grundrechte, und entrüstete sich gegen diese Maßnahme, durch welche die rumänische Presse unter die Kontrolle des Staates gebracht werden sollte. Die vom rumänischen Staatspräsidenten Traian Băsescu initiierte SNAp soll „das Phänomen der orchestrierten Pressekampagnen zur Verunglimpfung der staatlichen Institutionen durch die Verbreitung falscher Informationen“ sowie den „von Pressekonzernen ausgeübten Druck auf politische Beschlüsse zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile“ bekämpfen.

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