Weder Grexit noch Grecovery

Die Regierung unter Antonis Samaras versucht die Welt davon zu überzeugen, dass die griechische Krise bald der Vergangenheit angehört. Aber der Alltag der Griechen, die nicht einmal mehr die Kraft haben, gegen neue Maßnahmen zu protestieren, straft seinen Optimismus Lügen.

Veröffentlicht am 17 Juni 2013 um 11:26

Wenn Schriftsteller den Verlauf einer Erzählung ändern möchten, bedienen sie sich gern einer überraschenden Wende. Auch die griechische Regierung sucht nach einem Kunstgriff, der die Geschichte der Krise in neue Bahnen zu lenken vermag. „Nicht mehr Grexit, sondern Grecovery“, erklärte Ministerpräsident Antonis Samaras anlässlich einer Besprechung mit seinem finnischen Kollegen am letzten Donnerstag in Helsinki. Ein schlagkräftiger Slogan für eine Botschaft, mit der die griechische Regierung zuerst etwas schüchtern, nun aber immer entschlossener hausieren geht.

Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist kein Thema mehr, jetzt steht die Erholung auf dem Programm. Die jüngsten Konjunkturdaten, die Entscheidung der Ratingagentur Fitch, die Kreditwürdigkeit Griechenlands um eine Stufe anzuheben und die Verschnaufpause, die die Märkte eingelegt haben, sprechen in der Tat für das „Ende der Krise“, wie Antonis Samaras bei seinem jüngsten Staatsbesuch in China unterstrich. Dennoch spiegelt sich die von der griechischen Exekutive beschlossene Wende im Drehbuch nicht im Alltag der Griechen wider.

Ohne Hoffnung kein Protest

„Wer sagt, dass sich die Lage gebessert hat? Meine Brieftasche ist heute genau so leer, wie sie vor sechs Monaten war“, meint Iliria, eine 36-jährige Grafikerin, die freiberuflich tätig ist. „Ich arbeite, aber ich werde nicht bezahlt“, erklärt sie betrübt. Der Syntagma-Platz ist beinahe menschenleer. Nur eine kleine Gruppe Demonstranten ist zu sehen. Vor genau einer Woche wurde die europaweite Mobilisierung gegen die Troika angekündigt. „Wo sind die Massen? Was bleibt uns, wenn wir nicht einmal mehr auf die Straße gehen?“. Zwei Jugendliche versuchen, eine Banderole zwischen den Bäumen aufzuhängen: „Die vereinten Völker gegen die Troika“.

Der leere Platz stimmt nicht optimistisch. Die sechs Krisenjahre haben die Menschen ausgelaugt. Der strenge Sparkurs löst keine massiven Protestbewegungen mehr aus. Die Bevölkerungsgruppen, die am stärksten unter den Haushaltskürzungen leiden, geben ihrer Unzufriedenheit weiterhin täglich Ausdruck, aber ihre Aktionen finden kaum noch ein Echo.

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„Wir könnten Stunden darüber diskutieren, warum die Menschen nicht mehr auf die Straße gehen“, meint Alex, der an der spärlich besuchten paneuropäischen Demonstration auf dem Syntagma-Platz teilnimmt. „Ich nehme an, dass die Leute die Demonstrationen satt haben und sich lieber darauf konzentrieren, wie sie in ihrem eigenen Leben vorankommen können“, erläutert ein Ingenieur, der 2010 beschloss, aus Dänemark, wo er studiert hatte, nach Griechenland zurückzukehren. Heute arbeitet er als Freiberufler, erhält aber kaum Aufträge.

„Wir müssen einfach daran glauben”

„Es gehen immer weniger Menschen auf die Straße, weil man nur dann protestiert, wenn man Hoffnungen hat, wenn man glaubt, dass man die Lage ändern kann“, kommentiert Dimistris Cristopoulos, Professor der Politwissenschaften an der Universität Pantheon in Athen. „Seit einigen Monaten versuchen die politischen Entscheidungsträger, uns weiszumachen, dass es uns besser geht. Nun stellen sich drei Fragen: Stimmt das? Handelt es sich ganz einfach um eine Kommunikationsstrategie? Ist diese Strategie erfolgreich? Die erste Antwort ist nein. Es stimmt nicht. Es geht uns nicht besser. Die zweite Antwort lautet ja, es handelt sich um eine Kommunikationsstrategie. Auch die dritte Frage können wir bejahen. Die Strategie ist erfolgreich. Die Lage hat sich eindeutig verschärft, aber die Leute sind resigniert und geben klein bei.“

Obwohl die heftige Polemik über den Bericht des Weltwährungsfonds IWF, der einräumt, es habe Fehler im ersten Rettungspaket für Griechenland im Jahr 2010 gegeben, noch nicht abgeflaut ist, hat Antonis Samaras Grund zu Optimismus. Den Meinungsumfragen zufolge ist seine Partei beliebter als die Vereinte Soziale Front Syriza. „Die Neue Demokratie steht wieder an der Spitze, weil die Idee, dass es uns besser geht, eine Idee ist, an die die Menschen glauben wollen. Es stimmt zwar nicht, aber wir müssen einfach daran glauben. Außerdem fehlt es der Linken noch an Reife“, meint Dimistris Cristopoulos.

Die politische Lage stabilisiert sich

Des Weiteren hat sich die politische Lage stabilisiert. Dieses Argument führt auch Nikos Skikos, Professor für Informatik, an: „Verglichen mit letztem Jahr hat sich die Lage deutlich gebessert. Jetzt haben wir wenigstens eine stabile Regierung“, so Nikos Skikos, dessen Gehalt von 1.400 auf 1.000 Euro gerutscht ist.

„Die Regierung stützt sich auf die psychologische Komponente. Die Arbeitgeber sind optimistischer, weil sie eine gewisse politische Stabilität erkennen. Sie fühlen sich erleichtert. Nicht, weil der Umsatz steigt, sondern weil er langsamer sinkt“, erläutert der Wirtschaftsanalyst Dimitris Kontogiannis. „Die Regierung und die Troika setzen das Ende der Krise mit der Senkung des Haushaltsdefizits gleich, und das wurde tatsächlich erfolgreich reduziert. Aber in der von den Griechen real erlebten Wirtschaft ist noch kein Ende der Krise in Sicht. Es wird noch einige Zeit dauern, bevor die Zahlen sich so verbessert haben, dass sich auch das Leben der Menschen verbessert. Erfolg und Misere werden wohl noch ein oder gar mehrere Jahre nebeneinander existieren.“ Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem Griechenland nicht mehr wie heute eine Arbeitslosenquote von 27 Prozent aufweist.

Auf einer der Mauern Athens, auf denen Studenten ihre Wut über die ihnen geraubte Zukunft ausgedrückt haben, steht: „Und wer rettet mich?“ Beunruhigende Worte, die auch im neuen Drehbuch ihren Platz haben.

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