Ideen Gemeinesame Agrarpolitik

Arme Landwirte!

Die Ende Juni ausgehandelte GAP-Reform ist unzureichend, bedauert die Slow-Food-Bewegung. Die Abhängigkeit von den Mitgliedsstaaten ist zu groß, und es wird zu wenig zur Förderung der Nachhaltigkeit der Kulturen getan.

Veröffentlicht am 2 Juli 2013 um 11:37

Sind wir nun in Vielfalt geeint oder quasi innerhalb der Einheit vielfältig? Das Ergebnis der soeben abgeschlossenen Verhandlungen über die neue gemeinsame Agrarpolitik, die GAP, ist trotz einiger interessanter Neuerungen eine Enttäuschung für all jene, denen die Umwelt und eine nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft am Herzen liegen. Es wirft Fragen über die Zukunft auf, darüber, was [auf EU-Ebene] gemeinsam ist und was nicht.

Bei der Reform, welche die Weichenstellung bezüglich Lebensmittelqualität, einer möglichen und wünschenswerten Rückkehr künftiger Generationen aufs Land sowie Umwelt- und Raumpflege gewährleisten sollte, wurde eine historische Gelegenheit versäumt. Die Reform wurde diskutiert wie nie zuvor, unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und des Vereinswesens, welche ihre Anliegen deutlich und klar zum Ausdruck gebracht haben, und erstmals auch des Europäischen Parlaments, um den Bürgern eine Stimme zu verleihen. Doch die Ziele – eine „grünere“ Agrarpolitik, die zudem gerechter ist und die Bestimmung öffentlicher Gelder (40% des EU-Budgets) für öffentliche Güter wie Landschaft, Bodenqualität und Gesundheit ermöglicht – wurden großteils nicht erreicht, oder die Entscheidung darüber liegt bei den Mitgliedsstaaten.

Man sollte sich also nicht nur darüber Gedanken machen, worüber Entscheidungen getroffen wurden, sondern auch darüber, worüber keine Entscheidungen getroffen wurden, über die Dinge, die im Ermessen der einzelnen Staaten liegen: Unterstützung der Kleinbauern, Reduzierung der Zahlungen größeren Ausmaßes (20% der Betriebe erhielten 80% der Beihilfen) beziehungsweise der Jahresobergrenze; Möglichkeit der Übertragung eines Großteils der für die ländliche Entwicklung bestimmen Mittel – also für fortschrittliche ökologische, soziale und produktionstechnische Maßnahmen – auf die Grundrenten (Direktzahlungen je nach Fläche) oder auf private Versicherungsformen, die sich als verheerend herausstellen können.

Der Druck muss von den Bürgern kommen

Nun müssen die Bürger Druck auf ihre Regierungen machen, die Arbeit ist noch nicht zu Ende. Doch was nützt das große Budget und die Themenvielfalt einer Agrarpolitik, die schon vom Namen her eine gemeinsame Politik sein sollte, wenn sie das nicht ist? Wenn sie nicht mit interessanten Ideen aufwarten kann, durch die mit unserem Geld etwas bewirkt werden könnte, das uns allen Vorteile brächte? Etwas, das etwas mit Gemeinwohl zu tun hat? Einige hatten darauf hingewiesen, dass dieser Mangel an Entscheidungen Ausdruck einer Art „Enteuropäisierung“ ist.

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Ein wichtiger Aspekt, denn die GAP sollte an verschiedensten „Fronten“ agieren, vermitteln oder im Interesse der Bürger eine schlichtende Funktion haben. Die erste dieser „Fronten“ könnte als die Front „Lebensmittelindustrie gegen Kleinbauern“ bezeichnet werden. Man wird ewig darüber streiten können, ob es gut war oder nicht, alle Betriebe dazu zu verpflichten, einen geringen Anteil der Bodenfläche biologisch zu bewirtschaften (3,5 oder 7%? Zur Erinnerung: Die 5% haben das Rennen gemacht), aber was ist das schon, wenn man bedenkt, dass es Betriebe gibt, die jährlich 300.000 Euro Beihilfen erhalten, während die Kleinbauern von den Staaten pro Jahr mit maximal 1.250 Euro gefördert werden können? Was kann so eine Summe für die Wirtschaft eines Betriebes schon bewirken?

Mit den zigtausend Euro wird ein nicht nachhaltiges Monokultursystem bewahrt, während die etwas über tausend Euro eher nicht viel mehr als eine nette kleine Geste sind, die die Arbeit und den Alltag in einem Kleinbetrieb bestimmt nicht ändern kann. Den Kleinbauern wurden zwar zahlreiche bürokratische Verpflichtungen erlassen, doch konkrete Hilfe sieht anders aus. Verhältnismäßig ist ihr Beitrag zu gesunden, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, Gebietspflege und Gemeinwohl unendlich viel mehr wert als tausend Euro pro Jahr. Aus dieser Sicht scheint es, dass die GAP-Reform quasi alles verändert hat, damit sich nichts verändert: Den Großteil des Kuchens bekommen nach wie vor die Großen.

Alte gegen neuere EU-Staaten

Eine weitere Front: langjährige Mitgliedsstaaten gegen die neuen Länder aus Osteuropa. In den neuen Ländern ist die Landwirtschaft nicht sehr stabil und weniger fortschrittlich, wodurch die natürliche Vielfalt sowie die Vielfalt der Produkte noch größer ist: Diese Staaten haben also das Recht darauf, dass ihre Landwirtschaft wächst, aber auch in irgendeiner Form geschützt wird. Es war von „interner Konvergenz“ im Sinne einer Harmonisierung der Beihilfen die Rede, doch auch hier liegt die Entscheidung letztendlich bei den einzelnen Mitgliedsstaaten.

Dann wäre da noch das Problem „Europa gegen Entwicklungsländer“: Blickt man über die Grenzen des Kontinents hinaus, ist auf einmal wie durch Zauberhand die Einheit wieder da: Es ist kein Überwachungsmechanismus zu den Auswirkungen der GAP-Handelspolitik (etwa Exportsubventionen oder künstlich niedrige Preise) für die Kleinbauern in Asien oder Afrika geplant.

Alle waren sich auch weiterhin einig, was die Verwässerung der Maßnahmen zur Ökologisierung („Greening“) der Bewirtschaftung betrifft. Die Einführung des Konzeptes war ein wichtiger Schritt, doch sind bei den Durchführungsvorschriften auch so viele Ausnahmen vorgesehen, dass sie letztendlich auf 60% der Anbauflächen in Europa nicht zutreffen könnten. Die Richtung ist gut, doch eine Verpflichtung besteht nur auf dem Papier.

Ein bitterer Nachgeschmack

Trotz einiger positiver Aspekte (wie etwa der bereits genannte Bürokratieabbau oder die Erhöhung der Mittel für Jungbauern) bleibt bei dieser Art von Gemeinsamer Agrarpolitik ein bitterer Nachgeschmack. Europa scheint den alten Schemen des Liberalismus und der Lobbys multinationaler Unternehmen treu zu bleiben, es fehlt der Mut zu wirklichen Veränderungen im Sinne neuer, globaler, moderner Perspektiven. Von „gemeinsam“ kann man bei der Gemeinsamen Agrarpolitik dieses Europas kaum sprechen: Sie scheint sich hinter der Zersplitterung zu verstecken, anstatt hehre, edle und strenge Ziele, die im Interesse aller sind, vorzugeben.

Was Lebensmittel und Landwirtschaft betrifft, so werden wir von ebendiesem Europa aufgefordert, wieder ausgehend von unserer Vielfalt eine Einheit zu erreichen, die eindeutig erst definiert werden muss. Während die Kleinbauern allein auf weiter Flur kämpfen und junge Leute nur schwer aufs Land zurückkehren können, ist die Lebensmittelindustrie weiterhin dominant, und die Entwicklung neuer sozialer, wirtschaftlicher, kultureller, landwirtschaftlicher und lebensmitteltechnischer Kriterien bleibt gänzlich in der Hand jener EU-Bürger und EU-Bauern, die über viel guten Willen und zahlreiche frische, neue Ideen verfügen. Vielleicht sind letztlich gerade sie die einzigen, die uns einen Vorgeschmack darauf liefern, wie die Europäische Union, die „europäische Einheit“ der Zukunft wirklich aussehen könnte.

Aus deutscher Sicht

„Eine verpasste Chance“

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, auf die sich die siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten beim EU-Gipfel am 27. und 28. Juni geeinigt haben, hat in Wirklichkeit nicht mehr viel mit dem „Paradigmenwechsel“ zu tun, den der EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Cioloş, die regierungsunabhängigen Organisationen und die Grünen angekündigt hatten, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Für die deutsche Tageszeitung „ist [die Einigung] noch nicht einmal eine echte Reform“. Auf die Frage „Was ändert sich?“, gibt das Blatt folgende Antwort:

Die Förderung der Landwirte wird stärker mit der Erfüllung von Umweltauflagen verknüpft. Die Bauern verlieren knapp ein Drittel ihrer Subventionen, wenn sie nicht von reinen Monokulturen Abstand nehmen und einen (kleinen) Teil der Nutzfläche für ökologische Vorrangflächen reservieren, also Hecken, Feldraine oder Brachen. [...] An der Realität orientiert sich das natürlich nicht, eher an der in Kinderbüchern verbreiteten Idylle. Unabhängig davon sind die neuen Auflagen für die Landwirte bei weitem nicht so strikt [...]. Viele Bauern dürften sie schon heute erfüllen. So ist es wohl treffender, wie mancher Kritiker davon zu sprechen, dass die Agrarpolitik nur grün angemalt wird. Damit fehlt, was diese Reform liefern sollte: eine neue Grundlage für die Agrarpolitik der EU. Denn die Rechtfertigung für die Beihilfen ist der EU schon vor langem abhanden gekommen.

Mit diesem „Agrarreförmchen“ hat die EU die „Chance verpasst, die Agrarpolitik auf eine glaubwürdige Grundlage zu stellen“, bedauert die Tageszeitung. Das ist umso gravierender, „da die neuen Regeln bis 2020 gelten“ werden. Aber „vielleicht findet sich dann ja ein Agrarkommissar, der einen Paradigmenwechsel anstößt und nicht nur davon redet“, hofft die FAZ.

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