Vergangene Woche haben vor der deutschen Botschaft in Sofia etwa tausend Menschen demonstriert. Die Kundgebung war ein Happening in dem friedlichen Geiste, der die täglichen Proteste gegen die bulgarische Regierung bis zu der gewaltsamen Eskalation an vierzigsten Tag in der Nacht zum [24. Juli] geprägt hat: Als Dankeschön an den deutschen Botschafter stellten die Demonstranten den Fall der Mauer von 1989 nach. Gemeinsam mit dem französischen Botschafter hatte er einen Artikel in einer der größten Zeitungen Bulgariens veröffentlicht, in dem die beiden Diplomaten offen Sympathie für die Demonstranten zeigten, die jeden Abend zu Tausenden durch Sofia zogen und die Regierung als „Mafia“ beschimpften.
Die zentrale Aussage dieses „unüblichen und unerhörten Aktes“ - so die empörte bulgarische Regierung - lautet: „Die Zugehörigkeit zur Europäischen Union ist eine zivilisatorische Entscheidung. Das oligarchische Modell ist damit nicht vereinbar, weder in Bulgarien noch anderswo.“
Als normative Forderung ist das richtig, als Zustandsbeschreibung wäre es falsch. In den 23 Jahren seit dem Ende der kommunistischen Diktatur haben in Bulgarien Seilschaften, die überwiegend aus der alten kommunistischen Nomenklatura und deren Geheimdiensten stammen, große Teile der staatlichen Institutionen gekapert, um in einer weiten Grauzone zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität ihre Geschäfte machen zu können. Die einzelnen Gruppierungen dieses Milieus sind zwar untereinander bis auf das Blut verfeindet, bilden aber zusammen einen recht geschlossenen Kreis - ein „oligarchisches Modell“.
Wie soll die EU mit einem solchen Mitglied umgehen?
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Europäische Institutionen
Sanktionen zur Verteidigung der Grundrechte?
Ist die EU etwa dabei, eine „exemplarische Geste“ vorzubereiten, um „die europäischen Bürger davon zu überzeugen, dass sie letztendlich doch einen Zweck hat, dass sie Grundsätze vertreten und wenn nötig auch handeln kann?“ fragt sich Adevărul.
Der Brüssel-Korrespondent der rumänischen Tageszeitung erklärt, ein an das Kollegium der Kommissare adressierte Dokument schlage vor, die EU „sollte nicht nur in wirtschaftlichen Fragen mehr darüber debattieren, wie die Mitgliedsstaaten die Regeln des Rechtsstaats umsetzen und die Beachtung der menschlichen Grundrechte garantieren“.
Es ist also möglich, so Adevărul weiter, dass die EU in Zukunft alles tut, „um für einen Mitgliedsstaat den Mechanismus auszulösen der im Paragraph 7 des Vertrags von Lissabon vorgesehen ist“, das heißt, dem besagten Mitgliedsstaat bestimmte, in den Verträgen vorgesehene Rechte zeitweise zu entziehen.
Die Debatte eröffnet „höchst interessante Aussichten für den kommenden Herbst, wenn der erbarmungslose Kampf um die Europawahlen von Mai 2014 beginnt“, wie Adevărul schreibt:
Die Antwort auf die Frage, welche Sanktionen zwischen einem Vertragsverletzungsverfahren und dem Paragraph 7 liegen, ist nicht nur eine spektakuläre politische Bombe. [...] Sie ist auch eine nachdrückliche Botschaft, die die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen verstärken kann. Es geht darum, die Lebensfähigkeit des europäischen Projekts zu beweisen.