Nachrichten Migration – Eine Herausforderung für Europa (5/5)

Der Balkan, das Tor zu Europa

Der EU-Beitritt Kroatiens im Juli belebt die Diskussion um illegale Einwanderer, die von Griechenland durch die Balkanstaaten in die übrigen Mitgliedsländer der Union fliehen. Obwohl ihre Anzahl zügig steigt, fehlen Auffanglager und Beherbergungszentren für die Flüchtlinge.

Veröffentlicht am 19 August 2013 um 11:59

Wenn die Nacht hereinbricht, klettern sie in Pkws und Transporter, die sie von den Einheimischen gemietet haben. Das kostet sie 600 bis 1.000 Euro oder sogar noch mehr. Bei der Reise steht viel auf dem Spiel. Diesmal gewinnen viele, die meisten schaffen es nach Slowenien und von dort nach Italien und ins übrige Europa. In einem Café am Ban Jelacic Platz in Zagreb, sitzt P.W.S., ein in der kroatischen Hauptstadt wohnhafter Nigerianer, nippt an seinem Kaffee und holt sein altes Handy aus seiner Tasche. „Sehen Sie das? Hier habe ich die SMS … Sie alle sagen, dass das Leben im Norden viel angenehmer sei.“

Die neuesten Zahlen der Europäischen Kommission, die gleichzeitig mit dem EU-Beitritt Kroatiens veröffentlicht wurden, sind unmissverständlich: Immer mehr Menschen reisen illegal über die Balkanstaaten nach Europa ein. Insgesamt stieg die Zahl der von 2011 bis 2012 registrierten illegalen Migranten in der Region um 33 Prozent von 26.223 auf 34.825. Am beliebtesten ist die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien (95 Prozent) und zwischen Serbien und Kroatien (118 Prozent). Diese Situation spiegelt sich auch in der wachsenden Anzahl illegaler Ausländer in Kroatien wider, die im Zeitraum 2011 – 2012 um 89 Prozent von 3.461 auf 6.541 gestiegen ist.

Hier gibts die meisten Verhaftungen

„Im 4. Quartal 2012 wurden nicht nur im Schengen-Raum, sondern auch und in der gesamten EU die meisten Verhaftungen wegen illegaler Einreise an der Grenze zwischen Serbien und Kroatien verzeichnet. Die Zahl war sogar höher als in Griechenland“, berichtete Frontex, die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in ihrer letzten Analyse der Risiken in den westlichen Balkanstaaten (Western Balkans Risk Analysis 2013). Ein Beispiel belegt diesen Trend: So wurde Blaz Topalovic, der Polizeichef des kroatischen Komitats Vukovar an der Grenze zu Serbien am 2. August 2013 wegen Menschenschmuggels festgenommen.

Obwohl auf legislativer Ebene einige Fortschritte zu verbuchen sind, lässt die Integration der Zuwanderer in diesen Ländern viel zu wünschen übrig. In Kroatien fehlen zum Beispiel Beherbergungszentren für illegal eingereiste Minderjährige und es gibt nur ein Auffanglager für Erwachsene, das bereits aus allen Nähten platzt. In einer ähnlichen Lage befindet sich die in Kutina angesiedelte Einrichtung für Flüchtlinge, die aus politischen oder humanitären Gründen Asyl beantragen. Kroatien erteilt Asylsuchenden so gut wie keine Aufenthaltserlaubnis. Von 2004 bis 2012 wurden insgesamt 3.228 Anträge gestellt. Den Daten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR zufolge erhielten in diesem Zeitraum jedoch nur 50 Bewerber Asyl aus politischen und 80 aus humanitären Gründen.

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„Nur ein Anlaufhafen”

P.W.S., der Nigerianer, lächelt. Er gehört zu den wenigen, deren Antrag angenommen wurde. Vor eineinhalb Jahren ist er illegal ins Land eingereist. Vor einem Monat wurde ihm politisches Asyl gewährt und ein kroatischer Pass ausgestellt. „Ich werde bleiben, aber ich gehöre zur Minderheit“, meint der Migrant, der als Dolmetscher für eine Nichtregierungsorganisation tätig ist. „Für die meisten Migranten ist Kroatien nur ein Anlaufhafen“, bestätigt die auf Minderheiten spezialisierte Journalistin Barbara Matejic.

Das Phänomen wird noch komplizierter, wenn man berücksichtigt, dass die Balkanroute nicht nur von Menschenschmugglern benutzt wird. So meint Brüssel, der illegale Waffenhandel könnte zunehmen. „Es ist zu befürchten, dass mit dem EU-Beitritt Kroatiens und der neuen EU-Außengrenze in dem bergigen Gebiet zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina immer mehr Waffen über die Balkanstaaten nach Europa eingeschleust werden“, berichtet ein Sprecher der Frontex.

Griechenland

Das „Tor zu Europa“ steht unter Druck

Migranten, die versuchen, auf dem Landweg über den Balkan nach Westeuropa zu gelangen, betreten in Griechenland meistens das erste Mal europäischen Boden. Athen wird oft wegen der katastrophalen Zustände in den Auffangeinrichtungen kritisiert. Regelmäßig brechen Aufstände in den Flüchtlingslagern aus. Am 11. August protestierten die Flüchtlinge in Amigdalesa bei Athen gewaltsam gegen die Verlängerung ihrer Abschiebehaft von 12 auf 18 Monate, meldet To Vima. Die Insassen griffen die Wächter an und setzten ihre Betten in Brand. Die Polizei wurde gerufen und nahm 14 Asylbewerber fest. „Die Zustände im Lager sind schrecklich, der Aufstand der Migranten hat uns nicht überrascht“, meinte der Bürgermeister von Acharnes, der Gemeinde, auf dessen Boden das Asylantenzentrum steht. 1.650 Menschen werden hier in Wohncontainern beherbergt, in denen im Sommer bis zu 50° C herrschen, notiert To Vima. Die Revolte fand zwei Wochen nach dem Tod eines afghanischen Flüchtlings statt, der an Atembeschwerden starb.

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