„Folgt mir! Nein!”

Das Nein der Briten schwächt das Plädoyer für einen Militärschlag

Das britische Parlament lehnte einen militärischen Einsatz gegen Baschar al-Assad ab, eine überraschende Kehrtwende in der Tradition des offenen Widerstands gegen Diktaturen. Nun kommt es den USA zu, entweder ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen oder zu handeln, mit Frankreich als einzigem europäischen Verbündeten.

Veröffentlicht am 30 August 2013 um 15:42
„Folgt mir! Nein!”

Dem [britischen] Parlament war es gestern vergönnt, lange darüber zu debattieren, wie belastend die Beweise für Syriens Einsatz chemischer Waffen sind und ob rechtmäßig durch militärische Maßnahmen darauf reagiert werden kann. Es war besser, diese Debatte zu führen, als darauf zu verzichten, denn kein militärischer Einsatz sollte auf die leichte Schulter genommen werden.

Das Ergebnis der Abstimmung war jedoch eine Katastrophe. Es war eine Katastrophe für den Premierminister, der seine Partei falsch eingeschätzt hatte. Es war eine Katastrophe für das Land, das seiner Tradition, gegen die Tyrannei einzutreten, den Rücken kehrte. Es war eine Katastrophe für das westliche Bündnis, das auseinandergetrieben wird, weil sich Großbritannien nicht an die Seite seiner Verbündeten stellt. Und vor allem war es eine Katastrophe für die Menschen in Syrien, die nun wissen, dass sie in der Stunde der Not weniger Freunde haben.

Der einzige kleine Trost liegt darin, dass diese Abstimmung nicht den ganzen Handlungsablauf im Westen gestoppt hat. Nur wenige der Redner waren bereit, einzugestehen, dass eine Abstimmung im britischen Unterhaus in Wirklichkeit nicht entscheiden wird, ob bzw. wann das Regime von Präsident al-Assad gestürzt wird, und ob das Leiden der Menschen in Syrien aufhört.

Die USA spielen die entscheidende Rolle

Die einzige westliche Regierung, die in dieser Krise eine potentiell entscheidende Rolle hat, ist die der Vereinigten Staaten. Als die Erhebung gegen Assad begann, konnte noch argumentiert werden, die USA hätten kein triftiges strategisches Interesse an ihrem Ausgang. Diese Situation endete jedoch, als Obama den Einsatz chemischer Waffen als eine rote Linie bezeichnete, die Amerikas Kalkulation ändern würde. Diese Linie wurde überschritten – mehr als einmal.

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Beim ersten Mal berief sich Obama auf das Vermächtnis der mangelhaften Geheimdienstinformationen über den Irak im Jahr 2003, um mehr Klarheit und mehr Zeit zu verlangen. Er weiß, dass er dieses Argument jetzt nicht einfach wiederholen kann. Wenn die USA nicht entschlossen darauf reagieren, dass letzte Woche in Ghuta über 1000 Zivilisten umgebracht wurden, so wird ihre Glaubwürdigkeit als Verbündeter Israels, der Türkei, Jordaniens und anderer entscheidender regionaler Akteure geschädigt – womöglich unwiederbringlich. Dasselbe gilt für ihre Fähigkeit, andere abtrünnige Regimes davon abzuhalten, chemische Waffen zu verwenden oder zu erwerben.

Sprachrohr der öffentlichen Meinung

Sowohl in Washington als auch in London sind die Oppositionspolitiker mehr darauf bedacht, die über den militärischen Einsatz besorgte Öffentlichkeit zu vertreten als eine einheitliche Front zu bieten. John Boehner, der Fraktionsführer der republikanischen Partei im Repräsentantenhaus, beschuldigte Obama, sich nicht hinreichend beraten zu lassen, und verlangte für alle Operationen detaillierte Begründungen.

Das überrascht in Amerika sogar noch weniger als in Großbritannien, angesichts des Aufwands an Menschenleben, staatlichen Mitteln und Prestige, den die USA in den letzten zwölf Jahren für die Kämpfe in Zentralasien und im Nahen Osten betrieben haben. Tatsächlich wäre es sogar verwunderlich, wenn die Regierungsmehrheit in einem der beiden Länder den Eingriff in einen bewaffneten Konflikt in dieser Region unterstützen würde. Schließlich haben sie ihre Armeen doch erst vor kurzem aus dem Iran herausgewunden. Das heißt jedoch nicht, dass Analogien mit dem Irak richtig oder der Eingriff in Syrien falsch wären.

Es sei nochmals wiederholt: Als die USA und ihre Verbündeten in den Irak einfielen, lag Saddam Husseins Einsatz chemischer Waffen schon Jahre zurück und es gab kein erwiesenes, verfügbares Belastungsmaterial für seine Lagerbestände. Der Kontrast mit einem Einsatz von Nervengas in Syrien, der nur sehr kurz zurückliegt, ist stark. Die Beweise für die Schuldhaftigkeit des Regimes in Bezug auf die Angriffe in Ghuta scheinen schlüssig.

Keine falschen Parallelen

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon beschwor Obama, er solle seine Waffeninspektoren ihre Arbeit beenden lassen, bevor er eine Entscheidung über einen militärischen Einsatz trifft. Dies tat er nicht etwa, weil er meint, die Inspektoren könnten neue Beweise zur Verschiebung oder Verminderung der Schuld finden, sondern um Zeit zu gewinnen, um „dem Frieden eine Chance zu geben“. Gewiss, der Frieden soll eine Chance bekommen, doch die diplomatische Friedensarbeit in Syrien ist kläglich gescheitert.

Militärische Schläge, die Assads Regime von einer weiteren Verwendung chemischer Waffen abhalten und deren Einsetzbarkeit einschränken sollen, würden die Fortsetzung der diplomatischen Bemühungen ja nicht ausschließen. Im besten Fall könnten sie das Regime sogar zu Verhandlungen zwingen. Es gibt viele schlimmere Szenarien, darunter auch Vergeltungsmaßnahmen des Irans gegen Israel. Doch das schlimmste Szenario in diesem kritischen Augenblick wäre, wenn Amerika die klare Botschaft aussendet, dass seine Warnungen gehaltlos sind.

Aus Pariser Sicht

Frankreich „ist bereit”, gegen das Regime in Damas vorzugehen

In einem Exklusiv-Interview mit der Tageszeitung Le Monde äußert sich François Hollande über eine mögliche Intervention in Syrien. Am Tag zuvor hatte das britische Parlament militärische Schritte gegen das Assad-Regime abgelehnt. Der französische Präsident schlägt die Bildung einer internationalen Koalition vor, „sollte der UN-Sicherheitsrat handlungsunfähig sein”:

Sie würde die Unterstützung der Europäer haben. Aber es gibt nur wenige Länder, die zur Verhängung von Sanktionen durch geeignete Mittel fähig sind. Frankreich gehört dazu und ist bereit. Wir werden die Rolle unseres Landes zusammen mit unseren Verbündeten festlegen.

François Hollande betont dabei, dass ein Militäreinsatz in Syrien nicht den Sturz des Regimes von Bachar Al-Assad bezweckt:

Ich lehne eine internationale Intervention, die Syrien „befreien" oder den Diktator stürzen soll, ab. Aber ich glaube, dass ein Regime aufgehalten werden muss, das an seiner Bevölkerung Verbrechen begeht.

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