Nachrichten Was auf die EU zukommt (3/4)

Ein dritter Weg für Europa

Der Staatenbund, wie er im Vertrag von Maastricht festgeschrieben wurde, kann die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten nicht überbrücken, aber der radikale föderale Ansatz, den manche bevorzugen, ist auch keine praktikable Lösung. Wir brauchen einen dritten Weg, der eine Balance zwischen den beiden herstellt.

Veröffentlicht am 4 September 2013 um 15:35

Die Europäer haben den verschwommenen Eindruck, dass die Union keine Zukunft mehr hat. Die europäische Führung reagiert auf die beispiellose Finanzkrise mit einem immer esoterischer anmutenden Technizismus. Noch nie war die Diskordanz so ausgeprägt – zwischen dem Norden und dem Süden, innerhalb der einzelnen Länder und zwischen jenen Staaten, die unter den Folgen der Krise leiden, und jenen, die daraus Nutzen ziehen – und dennoch konzentriert sich die politische Spitze weiterhin nur auf kurzfristigen Ziele.

Die Zukunft der EU hängt von den Ergebnissen dieser oder jener Wahlen in den einzelnen Mitgliedsstaaten ab, während die Arbeitslosigkeit steigt, die Ungleichheit wächst und Europa immer weniger in der Welt zählt. Statt der Integration wieder politischen Sinn zu verleihen, spielt diese politische Führung das Spiel der gegenseitigen Anschuldigungen. Im Süden verbreitet sich die Idee, Europa werde von Deutschland dominiert, im Norden, Europa sei zu stark von den Südländern beeinflusst. In seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung am 20. Juli 2013 erinnerte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble daran, dass die EZB, die EU-Kommission, die OECD und auch der IWF in der Reihenfolge „von einem Italiener, einem Portugiesen, einem Mexikaner und einer Französin“ geleitet würden. Diese Art der Debatte schadet der EU. Wir müssen sie beenden und uns wieder der grundsätzlichen Frage zuwenden: „Wie sieht eine Union aus, die uns nützt?

„Eine komplexe, technokratische Struktur”

Bislang lautete die Antwort meistens: Sie sieht so aus, wie sie der Vertrag von Lissabon im Bereich der Wirtschafts- und Geldpolitik instituiert hat. Ein solcher Staatenbund ist das Ergebnis des Kompromisses, der im Jahr 1992 in Maastricht geschlossen wurde. Damals wurde der Entschluss gefasst, dass die politischen Entscheidungen, die den einzelnen Staaten unterstehen (wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik), nach Brüssel verlagert werden können, wenn sie von den Mitgliedsländern freiwillig koordiniert werden.

Ein Staatenbund tendiert dazu, den Einfluss einiger Mitglieder (der großen und wirtschaftlich mächtigen Staaten) zu vergrößern und das Gewicht der übrigen Länder (die kleiner und wirtschaftlich schwächer sind) zu mindern. Um diese Machtverteilung zu verschleiern, hat die Union eine komplexe technokratische Struktur zur Verwaltung des Euroraums hervorgebracht, die sich immer weiter von den Wünschen und Interessen ihrer Bürger entfernt. Es ist erstaunlich, dass ein Wirtschaftsminister wie Wolfgang Schäuble sich nicht der Tatsache bewusst zu sein scheint, dass ein gleichberechtigtes Miteinander in einem Staatenbund einfach keine Zukunft haben kann.

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Technokratie versus Utopie

Die Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, beruht allerdings auch auf den Schwachpunkten der uns angebotenen Alternative, das heißt ein Europa in der Form eines Bundesstaats, der rund um das Europäische Parlament organisiert ist und in dem die Europäische Kommission die Meinung der parlamentarischen Mehrheit ausdrückt. So haben die großen Parteien bereits ihre Kandidaten für den Vorsitz der Europäischen Kommission im Rahmen der nächsten europäischen Parlamentswahlen (2014) bereits aufgestellt. Wenn der Staatenbund den Entscheidungsweg auf die Beziehung zwischen dem Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) und dem Ministerrat beschränkt hat, will die föderale Union diesen Weg auf die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission limitieren. Bei der ersten Lösung haben die europäischen Bürger das Nachsehen, bei der zweiten die europäischen Staaten. Aber kann sich eine Union aus 28 Mitgliedern, die sich nicht nur auf wirtschaftlicher und politischer Ebene, sondern auch durch eine ausgeprägte demografische Asymmetrie und tiefe kulturelle und sprachliche Differenzen unterscheiden, in einen parlamentarischen Nationalstaat verwandeln?

Die dominierende Integrationsstrategie hat die Union um ihre Zukunft gebracht. Es ist unmöglich, zwischen Technokratie und Utopie zu wählen. Man muss bei den Fakten beginnen, um eine Integrationsstrategie zu definieren, mit der ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Staaten und der Bürger gefunden werden kann. Wir brauchen eine politische Führung, die über die beiden Strategien hinauswächst, die weiß, dass ein Staatenbund niemals eine politische Union werden kann und dass eine föderale Union kein Bundesstaat ist.

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