Weg frei für Autobahnen made in China

Chinesische Baufirmen erobern den europäischen Markt. Nach gewonnenen Ausschreibungen in Polen interessieren sie sich nun für den tschechischen Markt. Erfolgsrezept der Konkurrenz aus Fernost: Dumpingpreise, Pünktlichkeit, die Integration heimischer Arbeitskräfte und — die Unterstützung der Regierung in Peking.

Veröffentlicht am 2 Dezember 2010 um 14:17

Nachdenklich und stumm verlässt eine Gruppe Männer die Villa und steigt in die wartende Limousine. Bevor er die Tür zuschlägt, ruft einer von ihnen in perfektem Englisch: „Leider nicht möglich. Sie müssen zuerst telefonisch einen Termin vereinbaren.“ Und flugs verschwindet der Wagen im Straßenlabyrinth des Villenviertels.

Am Haus gibt es weder Namensschild noch Klingel, doch alles deutet darauf hin, dass wir an der richtigen Adresse sind. Laut offizieller Website der COVEC (China Overseas Engeneering Group) wird von dieser Villa in einem Warschauer Vorort aus die — seit langem geplante — Expansion der Chinesen nach Europa gelenkt. Nachdem die Chinesen die Ausschreibung der Autobahn A2 in Polen gewonnen hatten, ließ die COVEC wissen, dass sie an Projekte dieser Art auch in anderen europäischen Staaten interessiert sei, darunter auch die Tschechische Republik.

Auf dem polnischen Markt drängt die Zeit

„Wir wissen nicht viel über sie. Noch sind sie nicht sehr zahlreich“, sagt Martin Hadaj, Sprecher der polnischen Autobahnbehörde, achselzuckend. „Im Grunde weiß ich nicht einmal, ob sie überhaupt kommen und wenn ja, wie viele und ob sie ihre eigenen Maschinen mitbringen.“ Er breitet eine kunterbunte Straßenkarte Polens aus und fügt hinzu: „Wir brauchen Hunderte von Kilometern Autobahn und die Zeit drängt.“

Sie haben es eilig, denn Polen wird mit der Ukraine im Jahr 2012 die Fußball-Europameisterschaft austragen. Eine einmalige Gelegenheit für dieses Land von 40 Millionen Menschen der ganzen Welt zu zeigen, welche immensen Fortschritte in den letzten Jahren gemacht worden sind. Polen gehört zu den wenigen Ländern, die trotz Wirtschaftskrise weder Rezession noch Schuldenkrise kennen. Nach anfänglichem Zögern der Investoren hat sich die Warschauer Börse zu einem begehrten Finanzplatz gemausert, dessen Stabilität man schätzt.

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900 km Autobahn, 4000 km Schnellstraße

Als Polen der EU betrat, gab es im Land rund 40 Kilometer Autobahn. Bis 2013 sollen es 900 Kilometer werden. Die polnische Regierung plant außerdem weitere 4000 Kilometer Schnellstraßen zu bauen und die 2000 bereits bestehenden Kilometer zu sanieren. Es war in diesem Kontext der Massenausschreibungen, dass die COVEC Mitte 2009 ins Spiel kam. Es handelt sich dabei um eines der größten asiatischen Hoch- und Tiefbauunternehmen, Motor der Expansionspläne der chinesischen Baubranche in den europäischen Ländern. „Ihr Angebot lag 40 Prozent unter unseren Schätzungen, weit unter jenen der Konkurrenz“, erklärt Martin Hadaj.

Auf der Baustelle deutet nichts auf die COVEC hin, im Gegensatz zu dem, was auf anderen Baustellen zu sehen ist, wo überall Fahnen mit Firmenlogos wehen. Die gelben Bagger kommen aus Polen, und auch die Logos der Subunternehmen sind polnisch. „Hier gibt es keine einzige chinesische Baumaschine, keinen einzigen chinesischen Arbeiter. Die Menschen vor Ort hatten diesbezüglich große Befürchtungen“, sagt Pavel Osovsli, ein polnischer Unternehmensberater, der mit der chinesischen Firma zusammenarbeitet. Ihm zufolge kommen die chinesischen Ingenieure nur von Zeit zu Zeit auf die Baustelle, um die Arbeit zu kontrollieren.

Chinesen befreien Tschechien aus dem Korruptionssumpf

Kommt man mit polnischen Experten heute auf die Chinesen im polnischen Bausektor zu sprechen, sagen sie, dass ihr Erscheinen vor allem als ein Katalysator zur Reform der Ausschreibungen fungiert hat. „Zuvor gab es vielleicht zwanzig Hoch- und Tiefbau-Unternehmen auf dem polnischen Markt. Heute sind es zweihundert“, erklärt Hadaj und führt an, dass mit dieser Konkurrenz die Kosten pro gebauten Autobahnkilometer in wenigen Jahren um dreißig Prozent gesunken seien.

Die Aussicht des Einsteigens der chinesischen Baufirmen auf dem tschechischen Markt sorgt in Prag für Wirbel, wobei diese Tatsache von der Politik eher begrüßt wird. Für den tschechischen Verkehrsminister Vít Bárta beispielsweise könnte das polnische Modell — auch wenn die genauen Ergebnisse noch unbekannt sind —Vorbildfunktion haben. Die chinesischen Firmen bieten in der Tat die Gelegenheit, sich ein für allemal aus dem Korruptionssumpf zu befreien, der den Bau von Autobahnen in der Tschechischen Republik begleitet.

Doch ist der Eintritt der Chinesen in den Markt nicht ohne Risiko. Die niedrigen Preise der chinesischen Unternehmen erklären sich unter anderem aus der finanziellen — und politischen — Unterstützung aus Peking. Die chinesischen Behörden wachen in der Tat über die Unternehmen der Baubranche und setzten alles daran, die Expansion in Europa so schnell wie möglich voranzutreiben. (js)

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