Gemeinsam gegen Wucherpreise

Die Liberalisierung des Strommarktes vor zehn Jahren hat entgegen der Hoffnungen Brüssels nicht zu einer deutlichen Senkung der Preise in Europa geführt. Nun schließen sich die Verbraucher zusammen, um endlich günstigere Tarife zu bekommen.

Veröffentlicht am 18 September 2013 um 15:31

Seit dem 1. Januar 2003 haben alle Stromverbraucher in Spanien die Möglichkeit, ihren Stromanbieter frei zu wählen. So begann die lange Liberalisierung der Energiewirtschaft, die noch nicht beendet ist, und die eigentlich zu einer deutlichen Senkung der Stromkosten hätte führen sollen. Man hoffte, der Wettbewerb würde die Energieversorger zwingen, Kunden mit günstigeren Tarifen zu ködern, wie es auf dem Telekommunikationsmarkt beobachtet worden war. Ein Jahrzehnt später müssen wir allerdings feststellen, dass das erhoffte Ergebnis nicht eingetroffen ist und die Stromrechnungen sogar stark gestiegen sind. Einer Untersuchung des spanischen Konsumentenverbands OCU zufolge sind die Kosten seit 2007 um durchschnittlich 60 Prozent in die Höhe geschnellt. Laut Eurostat zahlen die Spanier in Europa die dritthöchste Stromrechnung.

Die Verbraucher wollen sich das nicht länger gefallen lassen. Gestern forderte OCU die Konsumenten auf, Strom gemeinschaftlich zu kaufen, um die Energiekosten zu senken. Der Verband schlägt eine große Einkaufsgemeinschaft vor, die Preisvorteile erzielen kann. Wenn die Preise direkt mit den Stromanbietern ausgehandelt werden, sollten die Kosten theoretisch sinken. Je mehr Strom man kauft, desto günstiger wird er.

Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag

Bis zum 14. Oktober kann jeder, ob er nun OCU angehört oder nicht, der Einkaufsgemeinschaft auf deren Homepage beitreten. Zwei Tage danach hält der Verband eine Versteigerung ab, an der alle Energieanbieter teilnehmen können. Derjenige, der das günstigste Angebot hinterlegt, erhält den Zuschlag. Am 4. November wird OCU den Namen des Unternehmens oder der beiden Unternehmen, wenn auch Gasversorger miteinbezogen werden, veröffentlichen. Die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft erhalten dann detaillierte Informationen zu den möglichen Einsparungen. Jedem steht es dann frei, auf den neuen Anbieter umzusteigen.

In Europa haben bereits mehrere Konsumentenschutzverbände mit großem Erfolg solche Maßnahmen gestartet. In den Niederlanden konnten 52.000 Verbraucher dank Consumentenbod letztes Jahr im Schnitt 277 Euro einsparen. In Belgien schlossen sich 152.000 Haushalte der von Tests-Achats gegründeten Einkaufsgemeinschaft an. Ihre Stromrechnung ist um 130 Euro und ihre Gasrechnung um 435 Euro gesunken. In Großbritannien erzielte der Konsumentenverband Which? für 285.000 Mitglieder eine durchschnittliche Ermäßigung von 258 Euro, und in Portugal erhielten beinahe 600.000 Kunden dank der Bemühungen von DECO einen Abschlag von 25 bis 80 Euro pro Jahr.

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Antonio Arranz, der den Bereich Energie bei der OCU leitet, will die möglichen Einsparungen in Spanien noch nicht beziffern. „Alles hängt von der Anzahl der Personen, die Mitglied der Einkaufsgemeinschaft werden wollen, und deren Profil ab“, erklärt er. Seines Erachtens sollten aber alle einen günstigeren Preis erhalten als den Tarif, den sie derzeit zahlen, denn es gäbe viele Kunden „auf dem freien Markt, die glauben, ein günstiges Angebot ergattert zu haben, in Wirklichkeit jedoch einen 25 Prozent höheren Tarif bezahlen“.

Er möchte auch abwarten, ob die Versorger bereit sind, an der Versteigerung teilzunehmen und günstige Preise anzubieten. Endesa, einer der fünf führenden Stromkonzerne in Spanien, hat in Portugal mitgeboten, sich jedoch noch nicht offiziell entschieden, wie er sich auf dem spanischen Markt verhalten wird.

Ein Turm zu Babel-System

Der spanische Konsumentenverband Asociación Nacional de Ahorro y Eficiencia Energética (Anae) ist bestrebt, die Energie- und Wasserrechnungen der Haushalte zu senken. Er brauchte mehr als ein halbes Jahr, um eine ähnliche Initiative auszuarbeiten. [[„Die Beispiele in Deutschland, Großbritannien und in jüngster Zeit auch in Portugal haben uns ermutigt, eine ähnliche Lösung vorzuschlagen]]. Wir haben bereits die Genehmigung der Nationalen Energiekommission und warten nun auf die Stellungnahme der Unternehmen“, erklärt Francisco Valverde, der Sprecher des Verbands.

„Mit diesen Vorschlägen können ein paar Euro eingespart werden, aber sie gehen das Problem nicht an der Wurzel an. Auf diese Weise kommen wir nicht weit, weil das wahre Problem des spanischen Energiesystems nicht im Vertrieb liegt, sondern in der Gestaltung des Systems“, meint Jorge Fabra, Vorsitzender des Verbands Economistas frente a la crisis, ehemaliger Präsident des spanischen Stromnetzbetreibers Red Eléctrica und früherer Berater der spanischen Energiekommission CNE.

Fabra zufolge ist das spanische System ein Turm von Babel, der kaum zu verstehen ist und zu schwerwiegenden Diagnosefehlern führt. „Das Hauptproblem besteht nicht darin, ob es Wettbewerb zwischen den Anbietern gibt, sondern darin, dass das System die Herkunft der Energie nicht erkennt. Der Strom aus Wasser- und Kernkraftwerken ist billiger als die Energie aus Kraftwerken, die mit Kohle oder Erdgas befeuert werden. Trotzdem wird Elektrizität immer zum gleichen Preis verkauft und ist teurer, als sie eigentlich sein sollte”, erklärt er. „Aber keine der durchgeführten Reformen konnte dieses Problem lösen. Für die Unternehmen steht hier viel auf dem Spiel.“

Aufruf zu zivilem Ungehorsam

Die Energieanbieter meinen, sie könnten keine günstigeren Tarife anbieten, weil sie kaum Spielraum hätten. Die staatlichen Gebühren wären für alle gleich. Sie könnten nur am Ende des Prozesses sparen, das heißt auf der Ebene der Verwaltungs- und Personalkosten.

Genossenschaften, die grüne Energie herstellen und auf dem Markt der erneuerbaren Energieträger Fuß gefasst haben, wollen ebenfalls die Spielregeln ändern. Diesen Sommer haben sie erste Schritte in diese Richtung unternommen. Als sie erfuhren, dass die Regierung plant, eine Gebühr auf den Verbrauch von Sonnen- und Windenergie, die von den Verbrauchern im Rahmen der Genossenschaften selbst erzeugt wird, einzuheben, riefen sie zum zivilen Ungehorsam auf. Derzeit gibt es sechs Genossenschaften, die schnell wachsen und günstige Preise anbieten.

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