Mitglieder der Goldenen Morgenröte demonstrieren gegen die Banken in Piräus (Athen), April 2013

Der Nährboden der Goldenen Morgenröte

Sie verklärt die Zeit der Militärdiktatur und macht Jagd auf Gewerkschafter, Kommunisten und Migranten. Die Neonazi-Bewegung „Goldene Morgenröte“ floriert dort, wo Armut und Arbeitslosigkeit am schlimmsten sind. Eine Reportage aus Piräus.

Veröffentlicht am 24 September 2013 um 15:12
Mitglieder der Goldenen Morgenröte demonstrieren gegen die Banken in Piräus (Athen), April 2013

Tsaldari-Straße in Keratsini. Frische Blumen und Kränze vor einer Konditorei. Und Kerzen. Hier wurde in der Nacht zum 18. September der junge Rapper Pavlos Fyssas von einem Mitglied der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte ermordet.

Der Mord an Pavlos war nicht nur ein Schock für die Menschen, er zeigte auch — wenn überhaupt nötig — die kriminelle Natur der Neonazi-Organisation, welche einer durchdachten Strategie folgt. Seit einigen Monaten versucht die von Nostalgikern der Militärdiktatur gegründete Partei, Angst zu verbreiten. In den Vororten von Piräus, ehemaligen Hochburgen von Arbeitern und Gewerkschaftern, ist sie auf dem Vormarsch. Jenen Orten, die heute ganz besonders unter der Finanzkrise und dem Zusammenbruch der Werftindustrie leiden. In Keratsini, Nikaia und Perama, drei Vororten im Norden von Piräus, liegt die Arbeitslosenquote bei über 40 Prozent. Die Mehrheit der Männer arbeitete zuvor im Schiffbau oder in der Metallindustrie.

Die mächtige kommunistische Gewerkschaft „Kampffront aller Arbeiter“ (PAME) wachte über die Einstellungen, aber auch die Rechte und Arbeitsbedingungen der Arbeiter. 100 Euro pro Tag verdiente man in den Werften, und Arbeit gab es immer. Doch Ende 2008 brach alles weg. Die Arbeitgeber begannen, auszulagern: in die Türkei, nach Zypern oder China. Arbeit wurde rar, doch die Gewerkschaft beharrte auf die hohen Tagessätze und die privilegierten Arbeitsbedingungen. Sie versäumte es, mit den Arbeitgebern einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Infolgedessen fand sich rasch der größte Teil der Menschen gänzlich ohne Arbeit wieder.

Für viele sind die Gewerkschaften schuld

Vier Jahre später ist der Tagessatz für den, der überhaupt Arbeit findet, nur noch halb so hoch. Mehrere Stahlfabriken mussten schließen. Nach einem Jahr bekommen Arbeitslose kein Geld mehr vom Amt und die Sozialversicherung läuft aus. „Viele machen die Gewerkschaften und damit die Kommunistische Partei für die Lage verantwortlich“, erzählt Takis Karayanakis, ein ehemaliger Werftarbeiter und Gewerkschafter aus Perama. Mit ihrem radikalen Antikommunismus und der Ablehnung des politischen Systems gebe die Goldene Morgenröte „der Verzweiflung und dem Frust all jener Ausdruck, die alles verloren haben“.

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Sie liefert einfache Erklärungen und verspricht viel: „Die Einwanderer sind schuld.“ „Wir werden euch Arbeit finden“ — und findet Resonanz. [[Mit der Krise haben viele Wähler ihre politischen Überzeugungen über Bord geworfen]], wie beispielsweise Dimitris Karavas aus Keratsini: „Meine Familie und ich, wir haben immer (die konservative) Nia Dimokratia gewählt. Doch heute befinden wir uns in einem politischen Niemandsland.“ Er sei Taxifahrer, sagt er, arbeite 14 Stunden täglich für bestenfalls 20 Euro. „Da soll mal einer Ruhe bewahren! Ich kann verstehen, dass die Menschen versucht sind, der Goldenen Morgenröte ihre Stimme zu geben.“ Er selbst sei das letzte Mal gar nicht erst wählen gegangen.

Die Partei als letzte Hoffnung

Nach und nach nistet sich die Goldene Morgenröte in diese Breschen ein. Im vergangenen Winter stürmten ihre Truppen in Perama ein Zentrum der Nichtregierungsorganisation Médecins du Monde mit der Forderung, alle Ausländer sollten ausgewiesen werden. In einigen Cafés und Tankstellen des Orts hat die Organisation Unterschlupf gefunden: Griechische Flaggen und ganz in schwarz vermummte Schlägertypen lassen da keinen Zweifel aufkommen.

Die Partei übernimmt auch Anwaltskosten. „Die Goldene Morgenröte ist unsere letzte Hoffnung“, sagt der arbeitslose Tassos und schlürft seinen Kaffee. Eine kriminelle Organisation, die in der Lage ist, Menschen zu töten? „Ja und? Heute verhungern die Leute und niemand spricht darüber...“, erwidert der Mann mit ungehaltenem Zorn. Wie viele andere, die sich an diesem Morgen in dem Café in der „Zone“ — dem Hafenviertel von Perama — befinden hat er nur einen Wunsch: „Samaras und Venizelos am Galgen baumeln sehen“, also den Regierungschef (Nia Dimokratia) und dessen Vize (der sozialistischen Pasok). Er will von den beiden Parteien, die in den letzten vierzig Jahren das Land abwechselnd regiert haben, nichts mehr wissen.

Die Goldene Morgenröte sucht entschlossen die Konfrontation mit den historischen Gewerkschaften der Schiffbauindustrie. Vor gut zehn Tagen klebten einige Gewerkschafter der PAME Plakate in der „Zone“. Wie aus dem Nichts tauchte aus den Nebenstraßen ein Trupp von rund vierzig schwarz uniformierten und mit Knüppeln bewaffneten Mitgliedern der Goldenen Morgenröte auf. Neun Gewerkschafter wurden verletzt.

Die Straße zurückerobern

[[In Piräus trat die Goldene Morgenröte erstmals Anfang 2012 öffentlich in Erscheinung. Jeden Sonntag Nachmittag drehten Gruppen von rund zwanzig Mitgliedern im Stadtzentrum ihre Runden]]. Eine Präsenz, die immer aggressiver wurde, je näher der Termin der vorgezogenen Neuwahlen rückte: Zweimal kesselten die Neonazis antifaschistische Aktivisten ein, um sie zu verprügeln.

„Es kommt immer häufiger zu Übergriffen gegen Linke“, meint der Piräer Dimitris Kousouris. „Meistens in den armen Arbeitervierteln, dort, wo die Partei — nach eigenem Bekunden — „die Straße zurückerobern will“. Es ist offensichtlich, dass sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, den letzten Rest der organisierten Arbeiterbewegung zu zerschlagen.“ Dimitris Kousouris ist Historiker, Spezialist der Vierzigerjahre in Griechenland. Als Anführer einer Studentengewerkschaft ist er selbst bereits zum Opfer der Goldenen Morgenröte geworden. Das war vor fünfzehn Jahren, als die Organisation noch eine winzige Splittergruppe war, die mit Vorliebe linke Studenten verprügelte.

Die Polizei sah zu

Später wurden dann immer häufiger Migranten von der Goldenen Morgenröte angegriffen — zuerst Albaner, dann Afghanen oder Pakistaner. Vor drei Jahren begann die Partei, sich in einem armen Viertel im Norden Athens (in Agios Pandeleimon) einzunisten, einem sozialen Brennpunkt. Es kam zu rassistischen Übergriffen. Die Polizei sah zu und ließ gewähren.

Takis hat mit anderen linken Aktivisten in Perama eine Selbsthilfegruppe gegründet. Sie haben ein Büro, verteilen Lebensmittel, geben ehrenamtlich Nachhilfeunterricht für Kinder und mobilisieren gegen die Sparpolitik der Regierung. Woche für Woche kommt das Thema des wachsenden Einflusses der Goldenen Morgenröte bei ihren Versammlungen zur Sprache. Die Arbeitslosen neigen leicht zu rassistischen Ausbrüchen. In den vergangenen Monaten haben einige Mitglieder das Kollektiv verlassen und sich der Goldenen Morgenröte angeschlossen.

„Es herrscht ein schleichender Bürgerkrieg“, analysiert der Historiker Dimitris Kousouris, „ermöglicht von einer Art kollektiver Amnesie und von der Verzweiflung der Menschen: eine Kombination, welche die schlafende faschistische Bestie wieder erweckt hat.“

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