Das politische Ende des Cavaliere

Silvio Berlusconi verlässt endgültig die politische Bühne. Die Abgeordneten seiner Partei haben, gegen die Absicht ihres Parteichefs, der Regierung von Enrico Letta das Vertrauen ausgesprochen. Am 4. Oktober wird der Senat zudem entscheiden, ob Berlusconi sein Mandat verlieren wird.

Veröffentlicht am 3 Oktober 2013 um 16:19

Zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren wurde nicht wegen oder trotz Berlusconi eine Regierungskrise vermieden, sondern in absoluter Gleichgültigkeit darüber, was der Cavaliere getan oder nicht getan hat, unter all dem Wankelmut, in dem er tagelang mindestens ein Dutzend Mal seine Haltung änderte.

Nach einem tumultösen, aber auf seine Art historischen Tag im Parlament hatte die Tatsache, dass der Chef des Mitte-Rechts-Bündnisses wie erstarrt persönlich dem Senat mitteilte, dass er [der Regierung] sein Vertrauen aussprechen würde (obwohl er am Samstag seine Minister hatte zurücktreten lassen und kurz davor von seinen Senatoren gefordert hatte, der Regierung ihr Misstrauen auszusprechen), letztendlich keinen Einfluss auf das Resultat des komplizierten Pokerspiels dieser Tage.

Ein Resultat, das bereits feststand, als in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die Dissidenten des PdL [Popolo della Libertà, Volk der Freiheit, Partei Berlusconis, Anm. d. Ü.] mitteilten, dass sie die Regierung nicht verlassen würden: Sie konnten auf die Unterstützung einer Gruppe von Parlamentariern zählen, die ausreichte, um eine neue Mehrheit im italienischen Senat zu sichern.

Berlusconis Zauber ist gebrochen

So wurde der Symbolträger der Seconda Repubblica [Zweite Republik in Italien nach 1994], der entscheidende Mann jedes politischen Übergangs, der Partei- bzw. Bündnischef, dem es immer gelungen war, nicht nur die eigenen Reihen, sondern auch jene der Gegner grundlegend zu beeinflussen, im Großen und Ganzen überflüssig. [[Berlusconi konnte es nicht fassen und brauchte einige Stunden, um sich dessen bewusst zu werden, was geschehen war.]]

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Als er es verstanden hatte, fand er sich damit ab und stimmte für die Regierung, um bloß keine Spaltung seiner Partei zu erleben. Seine charismatische Führungsrolle, durch die er bis Montagabend noch jede Art von Diskussion in brüsker Manier vermeiden konnte, war auf einmal verschwunden.

In einem bloßen Augenblick dahin. Vernichtet in einem Sturm der Beschimpfung und des Spottes in den Online-Foren der Mitte-Rechts-Wähler, die – gelinde gesagt – orientierungslos sind ob des großen Wirrwarrs um den versuchten Sturz der Regierung, der scheiterte.

Hoffnung auf neue politische Stabilität

Nun glauben alle, dass eine neue Regierung – die zahlenmäßig praktisch der alten entspricht, sich aber auf Einigkeit zwischen dem Ministerpräsidenten und dem verantwortungsbewussteren Teil des Mitte-Rechts-Bündnisses stützen kann – auch einen neuen Bündnischef mit sich bringt, nämlich in der Person des stellvertretenden Ministerpräsidenten.

[Der stellvertretende Ministerpräsident und PdL-Vize] Angelino Alfano hatte zweifelsohne eine zentrale Rolle während der gesamten Krise inne: Er hatte sich von Anfang gegen eine Spaltung des PdL gestellt und bis zum Schluss versucht, den Cavaliere von seiner Entscheidung abzubringen.

Dies gelang ihm – nicht durch seine Überzeugungskraft, sondern durch die in der Zwischenzeit erlangte Unterstützung in den Parlamentsfraktionen, unter den Senatoren und Abgeordneten, die wie noch nie zuvor bereit waren, Berlusconi den Gehorsam zu verweigern. Alfano, dem aus den eigenen Reihen immer ein gewisser Mangel an Mut vorgeworfen wurde, blieb diesmal standhaft.

Ungewisse Zukunft für die dritte Republik

Über all die Wirren und die Führungskrise um eine bereits problembehaftete Führung hinaus – trotz der starken Wählerschaft, die „Silvio, Silvio!“-Rufe und die intensive Anteilnahme der Menschen an Berlusconis Privatleben – waren die Ereignisse dieser Tage, die im ereignisreichen gestrigen Tag gipfelten, bereits in der Geburtsstunde der Mehrparteienregierung vorgezeichnet.

Nicht die Aussöhnung, die Berlusconi zu Unrecht als das Ende seiner Misere betrachtete und die all seine letzten Schachzüge letztlich vermieden, sondern eher die Geburtsstunde einer von Präsident Giorgio Napolitano abgesegneten „Not-Achse“ zwischen Letta und Alfano, den Dioskuren der Regierung, die sich als unverwüstlich herausstellte.

[[Wohin ein Schritt von dieser Tragweite führen wird, der nur scheinbar plötzlich und erstaunlich war, kann man noch nicht sagen.]] Wir haben übrigens auch einem Generationenwechsel vor uns, mit allen Rückschlägen, die zu erwarten sind.

Möglicherweise wird es nach der Wirtschaftskrise und am Ende einer Legislaturperiode, die nun zumindest ein Jahr länger dauert, erneut einen Wettbewerb zwischen völlig veränderten, jenen in den bedeutendsten EU-Staaten ähnlicheren Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Bündnissen geben.

Doch man muss sich vor Augen führen, dass die italienische Tradition und die Protagonisten der neuen Ära ihre Bedeutung haben werden. Mit anderen Worten: Es ist möglich, vielleicht sogar mehr als wahrscheinlich beziehungsweise – je nach Standpunkt – zu befürchten, dass Italien in einer „Terza Repubblica” ein christdemokratisches Ende nimmt.

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