Sinn und Unsinn der EU

Die für die Toilettenspülung nötige Wassermenge ist in Brüssel unerwartet zum heißen Thema geworden. Wieder ein neuer Unsinn der EU? Das fragt sich ein polnischer Kolumnist.

Veröffentlicht am 19 November 2013 um 14:20
Vlahovic

„Die EU will über unsere Toiletten bestimmen!“ Die britischen Zeitungen schlugen Alarm, als bekannt wurde, dass die Europäische Kommission das Fassungsvermögen der Spülkästen europaweit regeln will. Und obwohl sich die Nachricht als irreführend herausstellte – Brüssel hat nicht die Absicht, den Spülungsschwall zu verbieten, sondern hat nur ökologische Kriterien für Toiletten- und Urinalspülungen festgelegt – tobt der Sturm weiter.

„Es scheint nicht das geringste Limit zu geben bei diesen Einmischungen, zu denen sich die Kommission selbst ermächtigt hat“, findet Martin Callanan, Anführer der konservativen Fraktion im Europäischen Parlament und Sprecher der britischen Konservativen zum Thema EU-Umweltmaßnahmen. „Barrosos Aussage von letzter Woche, in welcher er unsere Forderung nach weniger unnötiger Bürokratie unterstützt, wird dadurch lächerlich gemacht. Er muss seinen eigenen Amtsschimmel in der Griff bekommen.“

Die Feststellung, die optimale Wassermenge zum Spülen betrage fünf Liter für Toiletten und einen Liter für Urinale, war das Ergebnis einer zweijährigen Studien, Kostenpunkt 89.000 Euro. Auch Details wie etwa die Beliebtheit von Urinalen innerhalb der EU wurden untersucht. Ebenso ist die Spülungsstudie ein Wissensschatz für Kulturanthropologen. Es stellte sich heraus, dass Deutschland, das bevölkerungsreichste EU-Land, in puncto Wasserverbrauch erst an dritter Stelle hinter Großbritannien und Italien rangiert. Polen, dessen Bevölkerungszahl nur geringfügig niedriger ist als die spanische, verbraucht dreimal weniger Wasser, wie sich bei der Studie ergab.

Einsparungen in Höhe von 390 Millionen

Der von Brüssel in Auftrag gegebene Bericht könnte leicht als ein weiteres Beispiel für Papierkram und als bürokratische Herangehensweise an die Realität bespöttelt werden, doch der Sprecher für EU-Umweltkommissar Janez Potočnik warnte davon, nun der Versuchung nachzugehen, voreilige Schlüsse zu ziehen: „[[Wenn zehn Prozent aller Toiletten innerhalb der Union mit dem Umweltzeichen versehen würden, könnten die Haushalte EU-weit knapp 390 Millionen Euro sparen.]]“

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Die EU führte das Umweltzeichen als Gütesiegel in den frühen 1990er Jahren ein, um die Verbraucher bei der Auswahl umweltfreundlicherer Produkte zu unterstützen, zunächst bei Haushaltsgeräten mit niedrigem Energieverbrauch. Für diese Initiative erntete sie viel Lob. Doch der Schritt zu Spülkästen mit Umweltzeichen löste bei den Euroskeptikern eine heftige Reaktion aus.

Es besteht natürlich kein Zweifel daran, dass die Regulationsambitionen der Kommission oft zu weit gegangen sind. Standards für Obst und Gemüse, darunter die berühmten Krümmungskriterien für Salatgurken oder Bananen, wurden 2009 wieder aufgehoben. Im Mai 2013 gab die Kommission einen Regulationsvorschlag auf, durch welchen verboten werden sollte, dass Restaurants Olivenöl in auffüllbaren Behältern servieren. Die Idee, es solle nur noch in fabrikverpackten Flaschen serviert werden, um nichtkonforme Produkte zu vermeiden, kam zwar ursprünglich aus den Olivenöl produzierenden EU-Ländern (und wurde von Polen in der Vorabstimmung unterstützt). Am Ende bekam jedoch Landwirtschaftskommissar Dacian Cioloş die meisten Beschimpfungen ab.

Wo EU-Vorschläge sinnvoll sind

„[[Nicht alles muss auf europäischer Ebene gelöst werden. Europa muss sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen es den größten Zusatznutzen bewirken kann.]] In Bereiche, in denen dies nicht möglich ist, sollte sich Europa besser nicht einmischen. Die EU sollte sich in großen Fragen stark engagieren und in kleineren Fragen zurückhalten – eine Devise, die wir in der Vergangenheit vielleicht das eine oder andere Mal vernachlässigt haben“, gab Kommissionspräsident José Manuel Barroso in seiner Rede zur
Lage der Union im September 2013 zu. Die britischen Konservativen erinnerten ihn schnell daran, als der Bericht über die Toilettenspülungen veröffentlicht wurde.

Letzten Monat initiierte Brüssel eine Überprüfung der Rechtsvorschriften REFIT, um für Bürokratieabbau zu sorgen. Unnütze Regeln sollen abgeschafft, andere vereinfacht werden. Diese „Eignungsüberprüfungen“ sind nun zu einer der Prioritäten des britischen Premierministers David Cameron geworden, der versprochen hat, bis 2017 ein Referendum über die britische Mitgliedschaft in der EU abzuhalten. Cameron glaubt fest daran, dass Großbritannien in der EU bleiben sollte, und sucht nun nach Argumenten, um die britische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sich die EU tatsächlich verändert hat. Eine frühere Idee war, die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft durch eine Neuverhandlung der EU-Verträge zu lockern – was ab und zu von Berlin versprochen wird –, doch dies dürfte voraussichtlich nicht so bald passieren. Bleibt also die „Eignungsprüfung der Vorschriften“ als einziges kurzfristig zu erreichendes Ziel.

Streit um Abbau von Schiefergas

Während des EU-Gipfels in Brüssel im Oktober nahm der polnische Ministerpräsident Donald Tusk an einer Versammlung im kleinen Kreis teil: Cameron wollte eine „Koalition zur Verminderung der Bürokratie“ zusammenwürfeln. [[Die Sache ist ernst, denn es geht beileibe nicht nur um die Krümmung der Gurken.]] Zu den 30 Empfehlungen, die in einem von der Business-Taskforce der britischen Regierung verfassten und vom [britischen] Kabinett abgesegneten Bericht aufgelistet wurden, gehört auch der Verzicht auf neue gesetzliche Regelungen über die Nutzung von Schiefergas. Warschau befürchtet, eine derartige neue Gesetzgebung könne die Rentabilität des Schiefergasabbaus stark vermindern und Investoren davon abhalten, Polens reiche Vorkommen an dieser wertvollen Energiequelle zu erschließen.

Wird Brüssel hinhören? Die Kommission bleibt in dieser Frage gespalten, doch die Entscheidung über die Regeln zum Schiefergas soll schon im Dezember getroffen werden.

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